Der zerstörte jüdische Friedhof Schwerin im Jahr 1945

Archivalie des Monats Februar 2022

Abb. 1: Der zerstörte jüdische Friedhof in der Schweriner Bornhövedstraße (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)Details anzeigen
Abb. 1: Der zerstörte jüdische Friedhof in der Schweriner Bornhövedstraße (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)

Abb. 1: Der zerstörte jüdische Friedhof in der Schweriner Bornhövedstraße (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)

Abb. 1: Der zerstörte jüdische Friedhof in der Schweriner Bornhövedstraße (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)

Da die meisten Behörden, schon um Platz zu schaffen, früher oder später ihre im Dienstbetrieb nicht mehr benötigten Akten an die zuständigen Archive abgeben, müssen die Archivare sich eigentlich nie Sorgen machen, dass sie keine schriftlichen Quellen zur Geschichte mehr geliefert bekommen. Ganz anders sieht es freilich bei den Bildquellen aus. Hier sind die Archivare sehr auf die Unterstützung historisch interessierter Bürger angewiesen. Ein solcher Glücksfall liegt auch den beiden vorliegenden Fotos zu Grunde. In den 1960er Jahren übergab ein unbekannter Einwohner des Kreises Wismar dem Leiter des dortigen Kreisarchivs, Max Artmeier, zwei Aufnahmen des zerstörten jüdischen Friedhofs Schwerin. Artmeier notierte auf der Rückseite: "Durch SS zerstörter Friedhof der Juden in Schwerin I/M". Da Schwerin nicht zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte, leitete er die beiden Fotos am 26. April 1966 an den Archivar Peter-Joachim Rakow im Staatsarchiv Schwerin weiter, der sie in die Generalakte des Ministeriums für Unterricht und geistliche Angelegenheiten, die Aufsicht über die jüdischen Friedhöfe im Land betreffend, legte. Und in dieser Akte befinden sie sich bis heute.

Tatsächlich wurde der an der Bornhövedstraße gelegene jüdische Friedhof weder während des Novemberpogroms 1938 noch danach von der SS zerstört, sondern bis 1942 ganz regulär für Bestattungen genutzt. Das erwies sich schon deshalb als nötig, weil die Beisetzung von Juden auf dem Friedhof am Obotritenring nach 1933 in der Bevölkerung zu Protesten führte. So beschwerte sich Postdirektor a.D. Georg Reuter im November 1933 darüber, dass der jüdische Unternehmer Georg Hamburger die Grabstelle neben seiner verstorbenen Frau erhalten hatte, "weil es mir schon zuwider ist, daß ein Jude auf einem christlichen Friedhof beerdigt wird". Nachdem im November 1942 die letzten jüdischen Mitglieder der jüdischen Gemeinde Schwerin nach Theresienstadt deportiert worden waren, übertrug die Schweriner Gestapo im Mai 1943 dem Oberfinanzpräsidenten in Kiel die Verwaltung des Grundstücks. Das ungenutzte Areal weckte Begehrlichkeiten. 1950 berichtet der Vorstand der jüdischen Landesgemeinde, was in den letzten Monaten des Krieges hier geschah: "Der Schweriner Friedhof war durch die Schweriner Flak-Truppe völlig zerstört worden. Ohne Notwendigkeit waren Steine zerschlagen worden, jedes Stückchen Land war zerwühlt". Die für Schwerin zuständige Luftabwehrabteilung der Wehrmacht hatte offensichtlich die Grabsteine als Bodenbelag für eine Flakstellung verwandt, Unterstände und Splitterschutzgräben angelegt.

Abb. 2: Zerstörte Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Schwerin (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)Details anzeigen
Abb. 2: Zerstörte Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Schwerin (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)

Abb. 2: Zerstörte Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Schwerin (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)

Abb. 2: Zerstörte Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Schwerin (LHAS, 5.12-7/1, Nr. 9047a)

Als sich 1946 eine kleine Gruppe von Juden, die den Krieg überlebt hatten, in Schwerin zusammenfand und die Neugründung einer jüdischen Gemeinde ins Auge fasste, bot der Friedhof einen erschütternden Anblick. Das Foto zeigt den Blick nach Norden über die zerschlagenen Grabsteine hinweg bis zur ebenfalls teilweise zerstörten Friedhofmauer und weiter über den Heidensee die am Eichen- und Buchenweg stehenden Häusern auf dem Schelfwerder. In der Folgezeit entstand zwischen 1947 und 1952 auf einem Teil der alten Friedhofsfläche eine Gedenkstätte, auf der auch 58 unbeschädigte alte Grabsteine wieder aufgestellt wurden. Die DDR-Regierung maß dieser Aktion große außenpolitische Bedeutung bei. 1951 erklärte der Gemeindevorsitzende Dr. Franz Unikower dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Otto Nuschke: "Es ist propagandistisch überaus wichtig, daß wir nach außen zeigen, wie unsere Toten geehrt werden, d.h. daß Gräber angelegt und gepflegt werden. […] Wir können es uns nicht leisten, einem Witwer nach New York zu schreiben, daß mangels Geld wir das Grab seiner Frau nicht herstellen und pflegen können". Bis 1981 fanden insgesamt noch sechs Beerdigungen auf dem jüdischen Friedhof statt. Seitdem hat es hier keine Veränderungen mehr gegeben.

Dr. Bernd Kasten

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