„Pommern“ und Karenz. Was 1909 einen Ballon aus Greifswald mit einer mecklenburgischen Häuslerei verband

Archivalie des Monats Februar 2024

Abb. 1: Plan der Häuslerei Nr. 14 in Karenz, 1888Details anzeigen
Abb. 1: Plan der Häuslerei Nr. 14 in Karenz, 1888

Abb. 1: Plan der Häuslerei Nr. 14 in Karenz, 1888

Abb. 1: Plan der Häuslerei Nr. 14 in Karenz, 1888

Häusler Johann Jenkel dürfte am 28. Februar 1909 nicht schlecht gestaunt haben, als die Giebelwand seines Wohnhauses (Abb. 1) in Karenz bei Malliß einstürzte. Gleichsam aus heiterem Himmel. Allerdings blieb ihm die eigentliche Ursache dafür nicht verborgen, und mit der Witterung hatte sie so gar nichts zu tun. Vielmehr fuhr gegen 17.00 Uhr „der Luftballon Pommern […] über unserm Dorfe. Ein auf der Erde niederschleifendes Seil verwickelte sich am Giebelpfeiler der Häuslerei Nr. 14 […] und riß damit ein Teil der Giebelwand runter.“ Dabei war dieser Schaden gleichbedeutend mit Glück im Unglück. Denn ungeachtet von Erfolgsmomenten in seiner Geschichte erlebte der Ballon „Pommern“ später noch eine Katastrophe, die mehrere Menschenleben kostete.

Während auf letztere zurückzukommen sein wird, fällt in die erste Kategorie ohne Zweifel der Gewinn des Gordon-Bennett-Cups. Diesen 1906 erstmals ausgetragenen internationalen Wettbewerb gewinnt derjenige Gasballon, der in der größten Entfernung vom Startpunkt landet. Bei der zweiten Auflage 1907 im amerikanischen St. Louis hieß der Sieger Oskar Erbslöh, der mit dem in Rede stehenden Ballon in gut 40 Stunden eine Strecke von etwas mehr als 1.400 km bewältige. Doch das dürfte Johann Jenkel, soweit er davon überhaupt wusste, 1909 nicht sonderlich beeindruckt haben. Viel mehr interessierte ihn die Schadensregulierung an seiner Häuslerei. Deshalb ließ er seinen Dorfschulzen am 1. März beim zuständigen großherzoglichen Domanial-Amt Dömitz um eine amtliche Feststellung des Schadens, „da es ein ziemlich erheblicher ist“, nachsuchen.

Abb. 2: Bergung der Ballonreste durch Sassnitzer Fischer. Ansichtskarte nach Vorlagen von A. Bönki, SassnitzDetails anzeigen
Abb. 2: Bergung der Ballonreste durch Sassnitzer Fischer. Ansichtskarte nach Vorlagen von A. Bönki, Sassnitz

Abb. 2: Bergung der Ballonreste durch Sassnitzer Fischer. Ansichtskarte nach Vorlagen von A. Bönki, Sassnitz

Abb. 2: Bergung der Ballonreste durch Sassnitzer Fischer. Ansichtskarte nach Vorlagen von A. Bönki, Sassnitz

Als Verursacher machte er wie gesehen den Ballon „Pommern“ namhaft, ordnete ihn aber der „Luftschifferabteilung zu Berlin“ zu. Gleichsam in Windeseile ging das Amt diesem Hinweis nach. Bereits am 2. wandten sich die Dömitzer Beamten an das Polizeipräsidium Berlin, das eine Woche später die tatsächlichen Fakten mitteilte. Darüber war das Amt zu diesem Zeitpunkt im Rückgriff auf eine Notiz im „Rostocker Anzeiger“ längst im Bilde. Demnach war der Ballon nämlich unter der Ägide der Sektion Vorpommern des Pommerschen Vereins für Luftschifffahrt mit fünf Personen an Bord in Greifswald aufgestiegen und am Abend bei Dannenberg auf dem linken Elbufer gelandet.

Der Aktionismus der Dömitzer Beamten blieb ungebrochen und sie kontaktierten am 4. März den Magistrat in Greifswald mit der Bitte, „Besitzer und Führer des Ballons festzustellen“ sowie zu deren Bereitschaft zur Erstattung der verursachten Beschädigung zu befragen. Hier folgte die Reaktion gleichfalls umgehend. Bereits vier Tage später wusste der Magistrat, dass der Ballonführer schon Veranlassungen getroffen habe, und der Vorsitzende der Sektion Vorpommern war für den 10. zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes vorgeladen.

Selbiger, Privatdozent Dr. Reinhold Halben, ließ sich wie folgt ein: „Als Teilnehmer […] ist mir bekannt, daß in einem Dorfe bei Dömitz in Mecklenburg ein Wohnhaus durch das Schlepptau beschädigt worden ist.“ Und da die Ballonfahrer annahmen, es habe sich um das Dorf Malk gehandelt, sei dorthin bereits „Nachricht wegen Übernahme von Ersatzansprüchen“ gesandt. In der Tat hatte der ballonführende Infanterie-Oberleutnant Eberhard von Selasinsky am 3. März sein Bedauern nach Malk mitgeteilt. Allerdings wäre der heruntergerissene [!] Schornstein „wohl nicht mehr ganz massiv und fest“ gewesen, „denn um den anderen Schornstein desselben Hauses hatte das Tau sich auch gelegt, ohne ihm zu schaden. Immerhin sind wir bereit den Schaden zu tragen.“

Dieses Schreiben übermittelte der Ortsvorsteher von Malk dem Schulzen von Karenz, der es am 7. März nach Dömitz weiterleitete. Dort wiederum lag schon die am 4. vorgenommene Abschätzung des Schadens an der Häuslerei vor, mit der das Amt bereits am 2. den Schulzen und den Ortsrepräsentanten zu Karenz unter Zuziehung des Häuslereibesitzers beauftragt hatte. Material und Lohn würden sich demnach auf 41,50 Mark belaufen. Diese Summe quittierte Johann Jenkel am 5. Mai nach der Reparatur des Schadens, sodass die Angelegenheit damit für ihn erledigt gewesen sein dürfte. Die Pechsträhne des Ballons „Pommern“ war allerdings noch nicht vorbei.

Am 3. April 1910 lockte sein unter der Ägide von Dr. Werner Delbrück, Reichstagsabgeordneter und Direktor der Seebad Heringsdorf AG, bevorstehender Start zahlreiche Zuschauer nach Stettin-Zabelsdorf. Mit in die Gondel stiegen Kaufmann Theodor Heyn, Inhaber eines Kolonialwaren- und Heringsgeschäfts en gros, der Filialprokurist der Darmstädter Bank Johannes Semmelhack und Stadtbaurat Karl Benduhn, alle aus Stettin. Kurz nach dem Start kollidierte der Ballon mit Telegrafendrähten sowie mit Kühlgestänge und Schornstein einer nahen Brauerei, die Insassen trugen neben Arm- und Beinbrüchen mehr oder minder schwere Kopfverletzungen davon. Ein aufkommender Sturm drohte das angeschlagene Gefährt auf die offene See zu treiben, Turbulenzen nahe Rügen ließen es auf 50 Meter über dem Meeresspiegel fallen, 500 Meter vor Sassnitz schlug es hart auf die Wasseroberfläche. Zu Hilfe kommende Fischer konnten lediglich den Prokuristen von der treibenden Ballonhülle retten (Abb. 2), die anderen Insassen ertranken. Im Unterschied zum Unglück von 1909 erfuhr diese Katastrophe von 1910 europaweite Medienaufmerksamkeit.

Dr. Matthias Manke

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