Warum das alte lauenburgische Amt Neuhaus 1945 für 47 Jahre zu Mecklenburg kam

Archivalie des Monats Juli 2025

Abb. 1: Topografische Karte M 1 : 25.000 (Messtischblatt) des Amtes NeuhausDetails anzeigen
Abb. 1: Topografische Karte M 1 : 25.000 (Messtischblatt) des Amtes Neuhaus

Abb. 1: Topografische Karte M 1 : 25.000 (Messtischblatt) des Amtes Neuhaus

Abb. 1: Topografische Karte M 1 : 25.000 (Messtischblatt) des Amtes Neuhaus

Am 21. März 1947 versuchte Ministerpräsident Wilhelm Höcker, im Landtag die von der sowjetischen Besatzungsmacht oktroyierte Namensänderung des jungen Landes Mecklenburg-Vorpommern in Land Mecklenburg zu begründen. Anders als „so häufig“ wäre es „[k]ein Ergebnis von Zufälligkeiten“, sondern eine historisch begründete Verknüpfung. Zu überzeugen vermochte er damit nicht, auch wenn sich Parallelen wie die sogenannte Ostkolonisation, die Hanse-Verbindung der Seestädte oder die Zugehörigkeit zum deutschen Reich nicht von der Hand weisen lassen. Um Alleinstellungsmerkmale handelte es sich allerdings nicht, trafen sie doch in der einen oder anderen Form ebenso auf mecklenburgische Verbindungen mit anderen Reichsgebieten zu. Gänzlich falsch postulierte der Ministerpräsident, mit dem Westfälischen Frieden von 1648 wäre „das mecklenburgische Gebiet und zum Teil das vorpommersche Gebiet ganz in schwedischer Hand“ gewesen – es verhielt sich umgekehrt.

Wilhelm Höcker thematisierte am 21. März aber auch einen für gewöhnlich ausgeblendeten Aspekt. Infolge des Befehls Nr. 5 des Obersten Chefs der SMAD vom 9. Juli 1945 gehöre zu Mecklenburg(-Vorpommern) auch „der Kreis Neuhaus, der bereits in der ersten Zeit der Besetzung unseres Landes von der damaligen englischen Militärverwaltung von der Provinz Hannover abgetrennt und unserem Land zugelegt war.“ Tatsächlich verblieb jedoch der linkselbische Teil des Kreises bei Hannover und als Landesteile benannte der SMAD-Befehl neben Mecklenburg lediglich den Westteil von Pommern, „die Stadt Stettin ausgenommen“. Und überhaupt waren dem Ministerpräsidenten die eigentlichen Hintergründe der rechtselbischen „Zulegung“ zumindest noch kurz vor seiner Landtagsrede nicht recht geläufig.

Abb. 2: König Georg VI. von Großbritannien (m.) in Begleitung des Befehlshabers des 12. Korps der 2. Armee, Generalleutnant N. Ritchie (r.), im Gespräch mit dem Verantwortlichen für zivile Angelegenheiten des 12. Korps, Oberst W. H. Bordass (l.), am 13. Oktober 1944 während eines Besuchs beim 12. Korps in der Nähe von NijmegenDetails anzeigen
Abb. 2: König Georg VI. von Großbritannien (m.) in Begleitung des Befehlshabers des 12. Korps der 2. Armee, Generalleutnant N. Ritchie (r.), im Gespräch mit dem Verantwortlichen für zivile Angelegenheiten des 12. Korps, Oberst W. H. Bordass (l.), am 13. Oktober 1944 während eines Besuchs beim 12. Korps in der Nähe von Nijmegen

Abb. 2: König Georg VI. von Großbritannien (m.) in Begleitung des Befehlshabers des 12. Korps der 2. Armee, Generalleutnant N. Ritchie (r.), im Gespräch mit dem Verantwortlichen für zivile Angelegenheiten des 12. Korps, Oberst W. H. Bordass (l.), am 13. Oktober 1944 während eines Besuchs beim 12. Korps in der Nähe von Nijmegen

Abb. 2: König Georg VI. von Großbritannien (m.) in Begleitung des Befehlshabers des 12. Korps der 2. Armee, Generalleutnant N. Ritchie (r.), im Gespräch mit dem Verantwortlichen für zivile Angelegenheiten des 12. Korps, Oberst W. H. Bordass (l.), am 13. Oktober 1944 während eines Besuchs beim 12. Korps in der Nähe von Nijmegen

Daher kontaktierte er am 17. März seinen von der sowjetischen Besatzungsmacht abgesetzten und mittlerweile als Leiter der Reichsbahndirektion Schwerin fungierenden Amtsvorgänger Hanns Jeß. Ihm zufolge teilte der „Chef der englischen Militärverwaltung Oberst Bordass“ in den letzten Junitagen 1945 mit, „dass der Teil der Provinz Hannover, der östlich gelegen sei, also der östlich der Elbe gelegene Teil des Kreises Neuhaus, dem Lande Mecklenburg angegliedert werde. Ich erinnere es noch deutlich, dass er in etwas scherzhafter Form, aber durchaus ernst gemeint, mir erklärte, er werde mir als Minister des Landes ein Gebiet dazu schenken.“ Betont werden sollte diese Einlassung tatsächlich auf der „etwas scherzhaften Form“ – es liegt auf der Hand, dass auch der Chef der britischen Militärverwaltung für Westmecklenburg, als der Colonel William Harrison Bordass vom 17. bis 30. Juni 1945 amtierte, nicht einfach Teile seines Zuständigkeitsbereiches verschenken konnte.

Vielmehr griff er einem Beschluss des Alliierten Kontrollrates vom 30. Juli 1945 vor, der protokollarische Vereinbarungen der Alliierten vom 12. September 1944 (Londoner Protokoll) über den Verlauf der Zonengrenze präzisierte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Grenzänderung neben dem rechtselbischen Teil des alten lauenburgischen Amtes Neuhaus auch rechtselbische Gebiete des früheren lüneburgischen Amtes Bleckede einschloss. Im Gegenzug wechselte der linkselbisch gelegene Ort Kaltenhof vom mecklenburgischen Kreis Ludwigslust zum hannoverschen Kreis Dannenberg.

Hanns Jeß versicherte Wilhelm Höcker noch, den seinerzeitigen Landrat des um die ostelbischen Teile der beiden niedersächsischen Ämter erweiterten mecklenburgischen Kreises Hagenow mündlich über die britische Anordnung informiert zu haben. Verschriftlichen konnte er die daraus resultierenden „verwaltungsrechtlichen Konsequenzen“ aber nicht mehr, da die ab 1. Juli 1945 zuständige sowjetische Besatzungsmacht „meiner Amtsführung ein Ende gemacht“ habe. Die Nachfolgeregierung behandelte dann die Gebietsänderung noch im Juni 1946 ziemlich klandestin, obwohl der Text für eine Amtliche Bekanntmachung bereits vorlag: „Infolge der Besetzung Deutschlands ist der rechts der Elbe liegende Kreis Neuhaus in die Verwaltung des Kreises Hagenow überführt worden. Wirkung: 1.7.1945.“ Da die Angliederung mit „der Besetzung durch die Rote Armee“ zusammenhänge, würde aber wohl von einer Veröffentlichung der Bekanntmachung abgesehen werden, „und zwar aus politischen Gründen.“

In seiner Landtagsrede vom 21. März 1945 verstieg sich Wilhelm Höcker darauf, Mecklenburg und Vorpommern als „eng miteinander verflochten und von Menschen der gleichen Art, des gleichen Stammes und der gleichen Denkungsart besiedelt“ zu charakterisieren. Und „dasselbe gilt im wesentlichen auch für das Gebiet des Kreises Neuhaus.“ Deshalb hätten „die Einwohner des altmecklenburgischen, des vorpommerschen und des Elbufergebietes in unserm Lande ihre Heimat […] gefunden.“ Womöglich war und blieb hier der Wunsch der Vater des Gedankens: Am 31. März 1992 bildeten die acht selbständigen Gemeinden des ehemaligen Amtes Neuhaus ein neues Amt Neuhaus, die acht aus den Kommunalwahlen im Mai 1990 hervorgegangenen Gemeinderäte beschlossen jeweils einstimmig einen Länderwechsel. Auf Grundlage eines Staatsvertrages zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen wurden sie inklusive des 1974 nach Sumte eingemeindeten mecklenburgischen Ortes Niendorf am 30. Juni 1993 wieder Teil des niedersächsischen Landkreises Lüneburg.

Dr. Matthias Manke

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