Ein neuerlicher Traum von Carl Gantzel oder wie ein Malermeister aus Lübz 1912 beinahe ein Aeroplan erfand

Archivalie des Monats September 2024

Abb. 1: Zeichnung eines Aeroplanes von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912Details anzeigen
Abb. 1: Zeichnung eines Aeroplanes von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912

Abb. 1: Zeichnung eines Aeroplanes von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912

Abb. 1: Zeichnung eines Aeroplanes von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912

Vor einiger Zeit fand sich an dieser Stelle die Reflektion eines Traumes, in dem einem Lübzer Malermeister am 6. März 1899 ein Luftschiff erschien (Archivalie des Monats Juni 2023). Carl Gantzel, um den es sich dabei handelte, beschrieb und skizzierte die Vorspiegelung seiner Phantasie, um sie dann an die Militärluftschiffer-Abteilung Berlin zu senden. Dort blieb sie vermeintlich neun Jahre lang unbeachtet, bis sich der Handwerksmeister 1908 in der Reichshauptstadt nach seiner einstigen Zusendung erkundigte: „Sah man doch überall in den Zeitungen ähnliche Körper wie auch ich eingesandt hatte.“ Daraufhin erhielt er aus der Reichshauptstadt die Information, die Rücksendung der Unterlagen an ihn sei seinerzeit wohl falsch adressiert worden.

Carl Gantzel zeigte sich darob zwar einigermaßen konsterniert, ohne sich in seinem Interesse an der Luftfahrt beirren zu lassen. Am 20. Januar 1912 informierte er, inspiriert durch die Mitte Juni 1911 in Schwerin stattfindende mecklenburgische Landes-Gewerbe- und Industrie-Ausstellung, das dortige großherzoglich-mecklenburgische Innenministerium über seine vorerwähnten Aktivitäten aus den Jahren 1899 und 1908. Doch damit nicht genug. Der Besuch der Leistungsschau hat „mich wiederum veranlasst eine Skizze herzustellen.“ Nach etwa dreistündigem Ausharren auf dem Flugplatz hatte er „doch noch das Glück (und zwar das allererste Mal) einen Flieger hoch in den Lüften zu sehen zu bekommen.“ Während der Wartezeit habe sich das Publikum Gedanken über die Gründe gemacht, die die Flugzeuge am Aufstieg hinderten. „Später,“ so Carl Gantzel, „wie ich dieselben, gleich Adlern in den Lüften, schweben sah,“ schloss er sich der Meinungsfraktion an, die den Wind für zu kräftig bzw. das Wetter für „nicht windstill genug“ hielt. „Bei dieser Beobachtung macht es auf mich den Eindruck, als lägen die breiten Flugflächen zu weit vom Mittelkörper entfernt und deswegen Schwankungen (bei einer leichten Brise) nicht unterbleiben könnten.“

Beweisen könne er seine bloße Annahme allerdings nicht, aber er übersandte dem Schweriner Ministerium „zur gefälligen Prüfung“ die Zeichnung eines „als Aeroplan gedacht[en]“ Luftfahrzeuges (Abb. 1). „Es sollte mich freuen, wenn die hohe Militair-Verwaltung eine kleine Verwertung aus derselben ersehen könnte.“ Worauf dieses Selbstbewusstsein basierte, erschließt sich schon aufgrund des Fehlens jedweder technischer Informationen nicht. Überdies waren sowohl Zeppeline als auch „Aeroplane“, wie Flugzeuge mit einem französischen Lehnwort bisweilen bezeichnet wurden, im deutschen Kaiserreich zu dieser Zeit bereits in aller Munde bzw., wie Carl Gantzel selbst bemerkt hatte, in allen Zeitungen. Starrluftschiffe und Flugzeuge mussten folglich nicht mehr erfunden werden, der erste Zeppelin stieg 1900 auf und seit 1909 waren sie im Flugbetrieb dauerhaft erfolgreich. 1908 fand in Göttingen der erste öffentliche deutsche Motorflug statt, August Euler in Griesheim und Edmund Rumpler in Berlin gründeten Flugzeugwerke, letzterer begann 1910 mit der Rumpler- oder auch Etrich-Taube seine erste Flugzeug-Serienproduktion. Ebenfalls 1910 folgten in der Nähe von München die „Aeroplan-Werke Gustav Otto“, gegründet vom Sohn des Ottomotor-Erfinders Nicolaus Otto. 1909 wurde der Flugplatz Berlin-Johannisthal in Betrieb genommen und 1910 auf dem Flugplatz Döberitz die erste deutsche Militärfliegerschule, seit 1909 etablierten sich an mehreren Orten regelmäßige Flugwettbewerbe.

Abb. 2: Traumbild eines Luftfahrzeuges mit Aeroplan von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912Details anzeigen
Abb. 2: Traumbild eines Luftfahrzeuges mit Aeroplan von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912

Abb. 2: Traumbild eines Luftfahrzeuges mit Aeroplan von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912

Abb. 2: Traumbild eines Luftfahrzeuges mit Aeroplan von Malermeister Carl Gantzel aus Lübz, 1912

Insofern kann es nicht verwundern, dass nichts auf die von Carl Gantzel erhoffte Kontaktierung des Militärdepartements durch das Innenministerium hindeutete. Vermutlich wäre ersteres zur Finanzierung eines (Rüstungs-)Forschungsprojektes auch gar nicht in der Lage gewesen. Das Sendungsbewusstsein des Lübzer Malermeisters endete mit besagter Aeroplan-Zeichnung jedoch noch nicht. Am 20. Januar 2012 übermittelte er dem Innenministerium nämlich eine weitere Skizze (Abb. 2). Dieser mangelte es, während sich der vorerwähnten Zeichnung zumindest die Inspiration durch die Landesausstellung und eine konstruktiv gemeinte Idee zur Lösung eines Problems zugute halten lassen, sowohl an Plausibilität als anscheinend auch an Ernsthaftigkeit: Denn dazu, so Carl Gantzel in seiner Erläuterung der Zeichnung, „muß ich bemerken, daß ich diese […] im Traum erblickt“ habe. „Leider ist mir der eigentliche Körper […] dabei ins Vergessen geraten, als ich erwachte, wußte ich nur noch von einem mit Gas gefüllten Körper (a) […] Dieser Körper a war es, der den eigentlichen Aeroplan vorwärts zog, ich landete aus einer großen Höhe schwebend auf dem Wasser und der Traum war aus.“

Immerhin aber leistete das Innenministerium, wie dessen Markierungen in dem Schreiben verdeutlichen, Carl Gantzels Bitte „um gefällige Durchsicht“ seiner Papiere Folge. Womöglich fiel die Reaktion alles andere als gefällig aus, in Traumdeutung bzw. Werkinterpretation dürften die großherzoglichen Beamten wohl kaum geschult gewesen sein. Immerhin aber informierten sie den Malermeister darüber, seine Zeichnung zu den Akten genommen und damit seinem Wunsch, sie „auch bei einer eventuellen Nichtverwertung gütigst am Platze belassen,“ entsprochen zu haben.

Dr. Matthias Manke

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