Der Traum von Carl Gantzel oder wie ein Malermeister aus Lübz 1899 beinahe das Luftschiff erfand
Archivalie des Monats Juni 2023
Abb.: Luftschiff des Malermeisters Carl Gantzel aus Lübz
(LHAS, 5.12-3/1, Nr. 15923, fol. 99)
Abb.: Luftschiff des Malermeisters Carl Gantzel aus Lübz
(LHAS, 5.12-3/1, Nr. 15923, fol. 99)
Am 3. November 1897, das sei zur Einordnung vorangestellt, fand auf dem Tempelhofer Feld die erste Testfahrt eines Starrluftschiffes statt. Die zugehörigen Entwürfe kaufte der bekannte Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917) auf und meldete am 3. Januar 1898 einen lenkbaren motorgetriebenen Luftfahrzug zum Patent an. Am 24. März 1899 sandte der der weniger bekannte Malermeister Carl Gantzel aus Lübz „verschiedene Skizzen über Luftschiffe bzw. Aeroplane“ nebst einer Beschreibung an die Militär-Luftschiffer-Abteilung Berlin.
Carl Gantzel wurde am 31. März 1857 in Granzin als Sohn des örtlichen Schmiedes geboren. Dort wuchs er gemeinsam mit seinen älteren Geschwistern Lisette (*1843), Wilhelm (*1844), Fritz (*1848), Maria (*1852) und Emma (*1853) in der Büdnerei auf. Der Vater verstarb, bevor sein jüngster Sohn zehn Jahre alt war. Seine Witwe Lisette (*1817) führte wohl die Büdnerei weiter und die beiden älteren Söhne das väterliche Handwerk. Im Alter von 14 Jahren begann Carl Gantzel in Schwerin eine Malerlehre, nach deren Beendigung er sich auf Wanderschaft begab bzw. ab 1877 seinen Militärdienst beim Füsilierregiment 90 in Rostock leistete. Dort wurde er als Malergehilfe und Innungsmeister tätig, bis er 1899 nach Lübz ging. Als Carl Gantzel 1899 nach Berlin schrieb, hatte er mit seiner am 25. Oktober 1859 in Plau geborenen Frau Wilhelmine, die er 1882 ehelichte, die drei Kinder Ida (*25. Januar 1885), Wilhelm (*10. Juli 1888) und Ernst.
Eine direkte Reaktion auf seine Zusendung an die Militärluftschifferabteilung bekam Carl Gantzel nie. Allerdings schrieb der Mecklenburger neun Jahre später, genauer am 27. September 1908, erneut an eine Adresse in der Reichshauptstadt. Diesmal wandte er sich jedoch gleich an die Reichsspitze, an Kaiser Wilhelm II. In den beiden zurückliegenden Jahren seien ihm nämlich „überall in den Zeitungen ähnliche Körper“ aufgefallen wie der, den er seinerzeit skizzierte. „Dieses machte mich gewissermaßen neugierig,“ so informierte Carl Gantzel den Kaiser, und diesmal erhielt er auf sein Schreiben auch eine Rückäußerung. Bereits 1899, so teilte der Kommandeur der Eisenbahnbrigaden mit, sei unter Beifügung der Projektzeichnungen geantwortet worden. Adressiert allerdings „an Herrn Malermeister Gantzel, Lüben.“ Die Absenderadresse sei so undeutlich geschrieben gewesen, dass „nur ʽLübenʼ und nicht ʽLübz i/M.ʼ daraus gelesen werden konnte; letztere beiden Buchstaben fehlten überhaupt.“ Gemeint war wohl entweder das niederschlesische Lüben bei Liegnitz nördlich von Breslau oder das hannoversche Lüben bei Wittingen zwischen Uelzen und Gifhorn.
Wie dem auch sei, Carl Gantzel hielt einigermaßen konsterniert fest: „Also liegen denn auch vielleicht heute noch die Originale und Beschreibungen […] in Lüben auf dem Postamt.“ So kurios das Geschehen bis hierher anmutet – es ist noch eine Steigerung möglich. Inspiriert durch den Besuch der mecklenburgischen Landes-Gewerbe- und Industrie-Ausstellung 1911 in Schwerin informierte Carl Gantzel über seine Aktivitäten aus den Jahren 1899 und 1908 am 20. Januar 1912 das großherzogliche Innenministerium in Schwerin. Beigefügt waren neben der Reflektion des bis 1908 Geschehenen auch eine Beschreibung und eine Skizze seines Projektes von 1899. Eine konkrete Erwartung verband der Lübzer Malermeister mit der Zusendung nicht. Allerdings ließ er nicht unverhohlen, das auf seiner Zeichnung dargestellte Objekt 1899 „im Traum erblickt“ zu haben! „Es war am Morgen des 6ten März, ich erwachte, ich weiß nicht, hatte ich von einer Flugmaschine geträumt, oder war, lang sie im Gedanken versunken, u. hatte Mühe mich aufrecht zu erhalten um nicht wieder einzuschlafen. Ich wollte doch diese Gedancken, die mir so über eine Flugmaschine gekommen waren, niederschreiben.“
Leitend war für ihn die Idee, dass „eine Maschine, die in der Luft bewegt werden soll, nur die Gestalt eines Vogels haben darf.“ Und daran orientierte sich seine, das Gewicht eines solchen Gerätes durchaus nicht außer Acht lassende Beschreibung tatsächlich. Der Auftrieb des wie ein Ballon zu füllenden Korpus sollte über bewegliche Flügel erfolgen, der Vortrieb über die Thermik und die weitere Steuerung mittels Seilzügen oder Drahtgestänge über „Kopf“ bzw. „Schwanz“. Die Gesamtlänge des Gefährtes schätzte Carl Gantzel auf 19 m, die Länge des 2 m hohen und 4 m breiten Korpus auf 10 m. Da die Flügel „Bedeutendes leisten“ sollen, wären sie 7 m lang und 3 m breit. Weiter ins Detail der Ausführungen des Malermeisters braucht an dieser Stelle gar nicht gegangen zu werden. Einerseits vermag die 1899 getroffene Feststellung der Berliner Militärluftschifferabteilung, sie habe von den „Vorschlägen keinen Gebrauch machen können“, nicht wirklich zu verwundern. Andererseits ist Carl Gantzels in der mecklenburgischen Provinz gewachsenes Interesse für die technischen Entwicklungen der Moderne und seine daraus resultierende Partizipationsabsicht zu würdigen.
Herr Dr. Matthias Manke
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