Raus an die frische Luft! Das ehem. Kaiser-Wilhelm-Kinderheim in Ahlbeck - heute Ferienpark der Sportjugend Berlin

Denkmal des Monats August 2018

Abb. 1. Ahlbeck, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Dünenstraße 2, Modell des Kaiser-Wilhelm-Kinderheims, 1912.Details anzeigen
Abb. 1. Ahlbeck, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Dünenstraße 2, Modell des Kaiser-Wilhelm-Kinderheims, 1912.

Abb. 1. Ahlbeck, Lkr. Vor­pom­mern-Greifs­wald, Dünenstraße 2, Modell des Kaiser-Wilhelm-Kinderheims, 1912.

Abb. 1. Ahlbeck, Lkr. Vor­pom­mern-Greifs­wald, Dünenstraße 2, Modell des Kaiser-Wilhelm-Kinderheims, 1912.

Raus an die frische Luft – so heißt es seit über 100 Jahren für Berliner Kinder und Jugendliche, die in Ahlbeck Ferien machen. 1913 bedeutete das vor allem Ferien von der Großstadt mit schlechter Luft und hygienisch nicht optimalen Verhältnissen. Kaiser Wilhelm II. gründete deshalb 1912 das nach ihm benannte Kinderheim auf der Insel Usedom, das bis heute - natürlich modernisiert und in anderer Trägerschaft - als Erholungsort für die Sommerferien in Betrieb ist (Abb. 1).

Von der Planung bis zur Fertigstellung verging nur ein Jahr. Dass so schnell die ersten Kinder einen Sommer am Meer genießen konnten, lag auch an der Bauweise des Kinderheims. Die Gebäude der Anlage wurden aus vorgefertigten Holztafeln von der Firma Christoph & Unmack in Niesky errichtet, für den Entwurf der Anlage war der Architekt Erwin Unterdörfer verantwortlich. Nach dem System Doecker fertigte die Firma Christoph & Unmack Holzelemente vor, die dann an Ort und Stelle schnell zusammengebaut werden konnten. Das System wurde von einem Captain der dänischen Armee, Johann Doecker, entwickelt. Es handelt sich um Fertigteile in genormter Größe, die aus Holzrahmen mit einer beidseitigen waagerechten Bretterverschalung bestehen. Diese werden mit Nut und Feder zusammengesetzt, die Fuge durch senkrechte Leisten verdeckt (Abb. 2). Für die Dachkonstruktionen gab es ebenfalls in der Fabrik vorgefertigte Binder (Abb. 3). Auch ein Abbau und Wiederaufbau an anderer Stelle war relativ unkompliziert möglich, so dass diese Bauweise besonders für das Militär geeignet war, sei es für Mannschaftsunterkünfte aber auch als Lazarettbaracken, die Holzelemente wurden sogar nach Übersee verschifft. Aber auch eine zivile Nutzung war sehr beliebt, vor allem als Sommerhäuser. Aus den Holztafeln konnten individuell einfache Wohnhäuser oder aufwändig gestaltete Villen zusammengesetzt werden, es waren auch viele Zierelemente wie beispielsweise Drachenköpfe als Giebelschmuck im Angebot. Neben Christoph & Unmack war die Wolgaster Actiengesellschaft für Holzbearbeitung um die Jahrhundertwende, gerade im Ostseeraum, marktführend.

Als Bauplatz für das Kaiser-Wilhelm-Kinderheim (KWK) wurde ein Teil des Friedrichsthaler Waldes am östlichen Ende von Ahlbeck, heute Dünenstraße 2, ausgewählt. Auf dem rechteckigen Grundstück entstand der Gebäudekomplex mit verschiedenen Pavillons (Abb. 4), die symmetrisch angeordnet sind. Das Zentrum des ursprünglich als Garten gestalteten Innenhofs bildet die Spielhalle, ein reetgedeckter Pavillon (Abb. 5 und 6). Die Spielhalle hatte einen Sandboden, sie war quasi ein überbauter Sandkasten. Im Norden dominiert das Wohn- und Verwaltungsgebäude, in dem außer den Wohn- und Schlafräumen der Oberin und der Schwestern auch ein spezielles Zimmer für den Kaiser eingerichtet wurde. Als einziges Gebäude der Anlage hat es eine Hartdeckung mit Biberschwänzen, alle übrigen Gebäude sind mit Dachpappe eingedeckt (Abb. 7 und 8). Die gegenüberliegende Seite nimmt das Wirtschaftsgebäude mit dem Speisesaal ein (Abb. 9 und 10). An den Längsseiten reihen sich mehrere Schlafhäuser – strikt getrennt nach Jungen und Mädchen. Etwa 50 Jungen bewohnten die beiden Häuser an der Seeseite, während 100 Mädchen in zwei größeren Bettenhäusern auf der Waldseite untergebracht waren. Die Pavillons sind durch überdachte Gänge miteinander und den beiden Kopfbauten verbunden (Abb.11). Vervollständigt wird die Anlage durch ein Koffergebäude neben dem Speisesaal, dem Abortgebäude auf der Waldseite und der Isolierstation in der westlichen Ecke des Grundstücks (Abb. 12). Hinzu kamen noch zwei Strandhallen, die jedoch nicht mehr erhalten sind.

Die offizielle Einweihung fand am 3. Juni 1913 in Anwesenheit des Kaisers und der Kaiserin statt, die ersten Kinder reisten bereits im Mai an. Vorgesehen war ein Aufenthalt von vier Wochen in den Monaten April bis Oktober. Das Alter der Kinder lag zwischen 6 und 12 (Jungen) bzw. 14 Jahren (Mädchen). Die Leitung des Heimes hatte bis 1945 die Oberin Mathilde Kirschner, die sich als ausgebildete Lehrerin und Krankenschwester schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin um die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Arbeiterinnen und vor allem Alleinerziehenden gekümmert hat.

Bis auf die Kriegs- und Nachkriegsjahre, in dem es erst als Lazarett und anschließend als Stabsstelle der Roten Armee diente, hat das Kinderheim eine seltene Nutzungskontinuität: Bis 1945 blieb der Name "Kaiser-Wilhelm-Kinderheim" bestehen, da es eine persönliche Stiftung des Kaisers war, obwohl er 1918 abdanken musste. Nach seinem Tod 1941 übernahm die Reichspost die Trägerschaft. Es blieb weiterhin ein Erholungsheim für Arbeiterkinder aus Berliner Großbetrieben. 1949 wurde hier das Zentrale Pionierlager "Max Reimann", das 1959 nach dem polnischen Staatspräsidenten Bolesław Bierut umbenannt wurde, eingerichtet. Die Kinder waren nun in Zelten untergebracht und die Schlafpavillons zu Aufenthaltsräumen, Clubräumen und Unterkünften für die Betreuer und Mitarbeiter umgebaut.

Die Anlage aus zehn Holzmontagebauten steht seit 1988 unter Denkmalschutz. Durch die kontinuierliche Nutzung sind die die Anlage und mit ihr die Gebäude in einem sehr guten Überlieferungs- und Erhaltungszustand, nur die beiden Strandhallen existieren seit 1945 nicht mehr. Hinzu gekommen sind zwei Wohnhäuser und ein Sanitärgebäude, die sich jedoch in ihrer Bauweise dem Gebäudekomplex anpassen (Abb. 13).

Die qualitätvolle Gestaltung des Kinderheims mit der symmetrischen Anordnung der Gebäude erinnert an barocke Residenzarchitektur und unterstreicht den Anspruch des kaiserlichen Bauherrn. Durch die Unterschutzstellung konnte auch der geplante Abriss des Wirtschaftsgebäudes und der Neubau eines größeren Küchentrakts verhindert werden. So ist diese aus sozial- und architekturgeschichtlichen Gründen bedeutende Anlage in ihrem Bestand ungestört überliefert. Die anstehende Sanierung war schon mit dem VEB Gießerei und Maschinenbau Torgelow als Trägerbetrieb des Pionierlagers besprochen worden. Es galt vor allem die Schäden, die durch die mangelnde Dachentwässerung und durch Spritzwasser – besonders im Schwellenbereich – im Laufe der Zeit entstanden sind, zu beseitigen. Zu den notwendigen Baumaßnahmen kam es aufgrund der politischen Wende erst einmal nicht. Erst nachdem das ehem. Kaiser-Wilhelm-Kinderheim 1992 von der Berliner Sportjugend übernommen wurde, fanden in den folgenden Jahren umfassende Sanierungsarbeiten statt. Holzteile und Fenster mussten ausgetauscht, die Dachdeckung teilweise erneuert werden. Die massiven Kellerräume des Verwaltungsgebäudes und des Küchentraktes waren trockenzulegen und mit neuen Betondecken zu versehen. Wie zu Zeiten des Kaiser-Wilhelm-Kinderheims werden die Schlafpavillons nun wieder für die Übernachtungen genutzt.

Aus denkmalpflegerischer Sicht ist besonders erfreulich, dass sehr viel Originalsubstanz erhalten werden konnte. Auch wurde die Gesamtanlage nicht durch Anbauten und Neubauten in ihrem symmetrischen Grundriss gestört. Eine Ausnahme bilden nur die erwähnten Wohnhäuser und das Sanitärgebäude, die sich aber am Rande harmonisch in die Gesamtanlage einfügen.

Die Häuser von Christoph & Unmack halten 100 Jahre – so ein Slogan der Firma in den 1920er Jahren. Das stimmt! Durch die kontinuierliche Nutzung wurden die Gebäude des Kaiser-Wilhelm-Kinderheims erhalten und im Laufe der Zeit behutsam saniert, so dass die Anlage auch noch nach 105 Jahren ihren ursprünglichen Charakter und Charme beibehalten hat. Es bleibt zu wünschen, dass es noch mindestens weitere 100 Jahre gelingt, Kindern und Jugendlichen eine schöne Ferienzeit in dieser historischen Anlage zu ermöglichen.

Elke Onnen

Literatur

Bauer, Hans-Ulrich: Holzhäuser aus Wolgast. Ikonen der Bäderarchitektur, Teil I, Heringsdorf 2010.

Christoph & Unmack: Das Kaiser-Wilhelm-Kinderheim Ahlbeck. Niesky, 1914.

Nippe, Manfred: Ahlbeck. Vom Kinderheim des Kaisers zum Ferienpark der Sportjugend. Sporthistorische Blätter 18, Berlin 2013.

Wentscher, Arnold: Das Kaiser-Wilhelm-Kinderheim in Ahlbeck, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, 18.April 1914, S. 244-247.

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