Architektur zwischen Tradition und Moderne - das Landeskinderheim in Güstrow

Denkmal des Monats Okober 2022

Abb. 1. Güstrow, Lkr. Rostock, Fachhochschule, Goldberger Straße 8, Gesamtansicht von Südosten, 1926. Details anzeigen
Abb. 1. Güstrow, Lkr. Rostock, Fachhochschule, Goldberger Straße 8, Gesamtansicht von Südosten, 1926.

Abb. 1. Güstrow, Lkr. Rostock, Fachhochschule, Goldberger Straße 8, Gesamtansicht von Südosten, 1926.

Abb. 1. Güstrow, Lkr. Rostock, Fachhochschule, Goldberger Straße 8, Gesamtansicht von Südosten, 1926.

Entlang der Goldberger Straße erstreckt sich im Süden von Güstrow ein seit den 1920er Jahren aufblühendes Stadterweiterungsgebiet, das markant von ziegelsichtiger Erscheinung der Bauten geprägt ist. Im sog. Goldberger Viertel entstanden neben Wohnbauten vor allem in offener Bebauung auch ein Wasserturm nach Entwurf von Martin Eggert sowie ab den 1930er Jahren die Bauten des Lehrerbildungsseminars, der heutigen Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege (FHöVPR). Als einer der ersten Bauten wurde im Winkel der Goldberger Straße zur Wallensteinstraße in den Jahren 1924-26 auf einer großzügigen zugehörigen Freifläche das Landeskinderheim als repräsentativer staatlicher Bau im Auftrage des Mecklenburg-Schwerinschen Staatsministeriums errichtet (Abb. 1). Der Entwurf hierzu stammt von Adolf Lierse (1883 - 1965), seit 1908 Regierungsbauführer, ab 1913 Regierungsbaumeister und Leiters des Hochbauamtes Güstrow.

Der langgestreckte, entlang der Goldberger Straße ausgerichtete, zweigeschossige Bau erhebt sich über einem hohen Sockel und gibt sich mit seinem Walmdach, Zwerchhäusern und stehenden Gauben eher eine traditionelle Erscheinung mit Anklängen an Neobarock (Abb. 2). Der rotfarbige Backsteinbau mit hellen Fugen wird zurückhaltend gegliedert durch Quaderungen an den Risalitkanten und Zierverbände. Opus spicatum, fischgrätartig angeordnete Steine, füllt die Bogenfelder über den Fensteröffnungen im Erdgeschoss. An den Ortgängen der Giebel und Gaubenfronten angeordnete schräg verlaufende Ziegelschichten zitieren Backsteinbauformen des Nordwestens Deutschlands.

Zum Rot der Fassaden kontrastierten ursprünglich dunkle Dachflächen: auf der Hauptdachfläche reduziert gebrannte und dadurch grauschwarz erscheinende Hohlpfannen, auf den Treppentürmen an der Gartenseite eine Bleideckung. In den 1980er Jahren büßte die Hauptdachfläche leider diese Farbigkeit ein, als rote Hohlpfannen eindeckt wurden. Einen weiteren empfindlichen Gestaltverlust bedeutete der Austausch der Fenster um 2000, bei dem eine andere Gestalt und Aufteilung entstand.

In der bauzeitlichen Konzeption Lierses traten am Außenbau zum Rot der Mauerziegel und dem ursprünglichen dunklen Grau der Dacheindeckung nur in geringem Umfang kontrastierende Farben. Die Innenräume überraschten hingegen mit Materialvielfalt und einem teilweise kontrastreichen, auf die Raumnutzung differenziert abgestellten Farbkonzept.

Durch eine restauratorische Befunduntersuchung konnten in zentralen Bereichen des Gebäudes die bauzeitlichen Befunde dokumentiert werden, die in erstaunlich umfangreichem Maß unter großflächigen Überfassungen und Überspachtelungen angetroffen werden konnten (Abb. 3). Partielle Verluste können durch Analogien gut geschlossen werden, so dass sich ein gut belegtes Bild vom ursprünglichen Erscheinungsbild bietet. Die Befunde zeigen auf die jeweilige Raumnutzung des Kinderheimes bezogene farbpsychologisch fein differenzierte Unterschiede.

Während Zugänge, Treppenhaus und Tagesräume für die anvertrauten Kinder teilweise sehr lebendige Farben bzw. Farbkombinationen, wie zum Beispiel aus Oxidgrün und Oxidrot, aufwiesen, waren Schlafräume in ruhigen Farbtönen, wie Ocker, gehalten.

Einige der intensiv farbigen Flächen der Innenräume erinnern dabei unweigerlich an Bruno Tauts Entwürfe an Siedlungshäusern in Berlin, die nur wenige Jahre zuvor entstanden und durchaus architektonisch Aufsehen erregten. Die Wahl intensiver Farbigkeit begünstigte die im frühen 20. Jahrhundert durch die chemische Industrie in dichter Folge neu entwickelten Farbmittel. Auch in Güstrow fassten die architektonischen Strömungen Fuß, wenngleich auch in einer zwei wichtigen Strömungen im Widerstreit bezeichnenden Kombination von traditionalistischen neubarocken Formen mit knallbunten modernen Farben.

Ab August 2020 bis April 2022 erfolgte nach jahrelangem Leerstand die Herrichtung zu einem Interimsgebäude für die FHöVPR. Der in diesem Rahmen geplante Sanierungsumfang ermöglichte eine teilweise Wiederherstellung der nachgewiesenen bauzeitlichen Farbigkeit und Gestalt im Bereich des Haupteingangs mit Treppenhaus in den beiden Hauptgeschossen. Im Windfang wurde die helle Farbigkeit der Rabitzdecke mit schwarzen, absetzenden Profilen wiederhergestellt. Leider erlaubte der durch jüngere Technikeinbauten gestörte Zustand der beige-melierten Kunststeinverkleidung der Pilaster bisher noch keine Freilegung, jedoch stimmen oxidgrüne Wandrücklagen und Bogenbegleiter wieder wie in den 1920er Jahren auf die Farben der Treppenhalle ein. Die Windfangtür zeigt die im ganzen Gebäude verbindliche Fassung aus zwei Grautönen (Abb. 4-5). Die anschließende Halle im Erdgeschoss bietet erste architektonische Steigerung durch intensiven gelben Ocker und Oxidrot an den Wänden sowie einem grauen Deckenspiegel (Abb. 6). Im eigentlichen Treppenhaus tritt zum Rot, das an den Wangen der Treppenläufe noch hochläuft ein Oxidgrün im Zusammenspiel mit den Farbglasfenstern, die den Farbkanon aufgreifen (Abb. 7-11). Die Halle im Obergeschoss zeigt wiederum das Rot an den Bogenstellungen. Die Halle erstreckte sich ursprünglich bis zur Ostfassade hin und so besaß auch diese Bogenreihe diese Farbigkeit, auch wenn nur wenig später mit Schrankausbauten hier ein Raum als Bibliothek abgetrennt wurde (Abb. 12).

Zusammen mit dem Bauherrenvertreter, dem Staatlichen Bau- und Liegenschaftsamt M-V, Geschäftsbereich Neubrandenburg, sowie dem Nutzer wurde immer dort nach Kompromissen gesucht wo eine Restaurierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht durchführbar erschien. Es wurden Kompromisse gesucht und gefunden, die die historischen Gestaltungsideen insoweit transportieren, als dass das bauzeitliche Gesamtbild wieder entstehen konnte. Beispielsweise wurde das Geländer der Haupttreppe in dunkelbraunem deckendem Anstrich überfasst, da eine restauratorische Freilegung der Holzteile nicht umsetzbar war. Ursprünglich zeigten Baluster und Handläufe eine dunkle, die Holzstruktur noch zeigende Oberflächenveredlung.

An anderen Stellen konnte die umfassende Egalisierung der ursprünglichen Oberflächen mit einer Gipsglätte abgenommen werden, so dass beispielsweise an den Pfeilern zur Bibliothek die aufwändigen Kunststeinplatten nun wieder sichtbar sind.

Mit der Sanierungsmaßnahme konnten ein außergewöhnliches Baudenkmal und Architekturkapitel von Güstrow wieder sichtbar werden. Es ist ein authentisch erhaltenes Zeugnis der wichtigsten Architekturströmungen der 1920er Jahre, den modernistischen Strömungen des Expressionismus und den Einflüssen des Bauhauses. Welchen Weg Regierungsbaurat Lierse architektonisch einschlug, lässt sich am direkt benachbarten, um 1933/34 errichteten Kinderkrankenhaus, später Säuglingsheim, dem er einen sehr klaren kubischen Baukörper verlieh, erkennen.

Sabine Schöfbeck

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