Betonplatten und ihre Geschichte - das DDR-Grenzregime an der Ostsee

Denkmal des Monats Dezember 2021

Mobile Scheinwerferstellung, um 1980:  russisches Militärfahrzeug Typ SIL 130 mit zwei Soldaten und einem großen SuchscheinwerferDetails anzeigen
Mobile Scheinwerferstellung, um 1980:  russisches Militärfahrzeug Typ SIL 130 mit zwei Soldaten und einem großen Suchscheinwerfer

Abb. 1. Mobile Scheinwerferstellung, um 1980.

Abb. 1. Mobile Scheinwerferstellung, um 1980.

"Am 11.4.1987, 20:30 Uhr wurde durch Angehörige der Grenztruppen der DDR, 6. GBK beim Beziehen der Scheinwerferstellung im Bereich Kühlungsborn-Ost und der damit verbundenen Absuche des Geländes mit Scheinwerfern ein in einem Gebüsch am Strand liegender Bootskörper festgestellt. Zum gleichen Zeitpunkt wurde beobachtet, wie 2 Personen mit einem PKW 'Wartburg 311', polizeiliches Kennzeichen …, diesen Bereich verließen …

Durch Grenztruppen wurden 3 miteinander verschraubbare Sektionen eines selbstgefertigten Holzbootes, 2 Ruder und Zubehör für das Boot sichergestellt … Zur Fortbewegung des Bootes waren ein Paar Ruder sowie eine Schiffsschraube, die durch Muskelkraft angetrieben werden wollte, vorgesehen."

Was das Protokoll des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hier detailliert festhält, ist der missglückte Versuch zweier Brüder aus Güstrow im Alter von Anfang Zwanzig, die DDR zu verlassen. Sie wollten in den Westen Deutschlands gelangen. Zwei Jahre hatten sie an dem zur Tarnung Grün und Blau gestrichenen Boot von drei Metern Länge gebaut und mit ihm vorher mehrmals Probefahrten unternommen. Unmittelbar nach der Entdeckung hatte die erwähnte 6. GBK, die der Volksmarine unterstellte Grenzbrigade Küste, per Telefax gemeldet: "VERSUCHTER UNGESETZLICHER GRENZUEBERTRITT GEM. § 213 STGB."

Das Aufdecken dieser "Grenzverletzung" ereignete sich in der Gemeinde Wittenbeck an der Ostsee im Küstenabschnitt zwischen Kühlungsborn und Heiligendamm. An der Steilküste nahe eines Weges zum Strand hatte die oben genannte mobile Scheinwerferstellung ihre Position (Abb. 1-2). Es handelte sich um einen Scheinwerfer vom Typ APM-90 mit Gleichstromgenerator, der auf einem russischen Militärfahrzeug vom Typ SIL 130 installiert war. Mit dem eigentlich für die Flugsicherung entwickelten und dort in der Regel eingesetzten Scheinwerfer wurden der Strand und die See bei Dunkelheit ausgeleuchtet. Die angegebene Leuchtweite zum Erkennen von Booten auf dem Wasser betrug vier Seemeilen, zirka 7,2 Kilometer; die zum Erkennen von Personen am Strand 400 Meter. Einen weiteren gescheiterten Fluchtversuch an diesem Ort vermerken die Akten für den 22. März 1982, 7 Uhr.

Bis heute erhalten geblieben sind die Betonplatten, auf denen die schweren russischen Militärfahrzeuge mit ihrer Scheinwerferanlage entlang rollten, um dann am Rande des abschüssigen Strandes gesichert Position zu beziehen (Abb. 3-5). Gegenwärtig ist der Streifen lediglich in Teilen vom Küstenbewuchs frei gelegt und sichtbar.

Die zwei parallelen Fahrspurenspuren mit grünem Mittelstreifen sehen aus wie ein typischer Wirtschaftsweg. Sie haben eine Länge von 25 Metern und bestehen aus unbewehrten rechteckigen Betonplatten von 1 x 3 Meter bei 20 Zentimeter Stärke. In den Platten befinden sich jeweils drei Löcher mit Stahlbügeln, die beim Transport und beim Verlegen zum Anschlagen der Kranhaken dienen.

Während des Baues um 1975 und der Nutzung für die mobile Schweinwerferstellung bis 1989 war dort nur in geringem Umfang Pflanzenwerk vorhanden gewesen. Erst nach der politischen Wende kam es zur Anlage der den Strand begleitenden und als Raumkante deutlich sichtbaren Sträucher und Hecken. Da insgesamt 26 mobile Scheinwerfer an der Seegrenze an verschiedenen Standorten im Einsatz gewesen waren, ist – trotz der umfangreichen Demontage der Grenzanlagen Anfang der 1990er Jahre - von einigen weiteren erhaltenen Betonplatten zu deren Positionierung auszugehen.

Zu verdanken ist die Entdeckung und Freilegung der Betonplatten Mitgliedern des eingetragenen Vereins "Grenzturm" in Kühlungsborn. Sie machen mit ihrer Arbeit nicht nur den erhaltenen Grenzbeobachtungsturm des Seebads für Besucher zugänglich. Ebenso haben sie abseitige, kleine Relikte des DDR-Grenzregimes entdeckt und ans Licht geholt. Den Turm hatten der ehemalige Bürgermeister von Kühlungsborn und heutige Vereinsvorsitzende Knut Wiek und seine zahlreichen Mitstreiter 1990 vor dem Abriss gerettet – zu einer Zeit, als nur wenige dafür Verständnis aufbringen konnten, Bauwerke und Objekte des DDR-Grenzregimes zu erhalten.

Die Betonplatten, der Grenzturm und die weiteren Relikte gehören zu den erhaltenswerten Zeugnissen, die die Abriegelung des ostdeutschen Staates nach innen in den Jahren 1961 bis 1989 veranschaulichen. Sie dokumentieren die staatlich organisierte Menschenrechtsverletzung, die nicht nur an der 1600 Kilometer langen innerdeutschen Grenze und an der Mauer in Berlin, sondern auch an den 400 Kilometern Küste der Ostsee erfolgte. Seit Dezember 2021 sind die Betonplatten in der der Denkmalliste des Landkreises Rostock verzeichnet.

Dr. Jörg Kirchner

Karte Wittenbeck

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