Der weibliche Wagner - Ein Relief gibt Rätsel auf

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Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, Puschkinstraße 2-4/Lindenstraße 1, ehem. Ersparnisanstalt (Sparkasse).Details anzeigen
Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, Puschkinstraße 2-4/Lindenstraße 1, ehem. Ersparnisanstalt (Sparkasse).

Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, Puschkinstraße 2-4/Lindenstraße 1, ehem. Ersparnisanstalt (Sparkasse).

Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, Puschkinstraße 2-4/Lindenstraße 1, ehem. Ersparnisanstalt (Sparkasse).

Im Vestibül der Ersparnisanstalt in Schwerin, der heutigen Filiale Puschkinstraße der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin, befinden sich drei Reliefs, von denen eines ganz besondere Aufmerksamkeit verdient. Es zeigt Richard Wagner in Frauenkleidung, vertieft in eine Handarbeit. Wann diese merkwürdige Darstellung entstand und was es mit ihr auf sich hat, konnte bislang noch nicht eindeutig geklärt werden.

Die Schweriner Ersparnisanstalt wurde 1821 mit großherzoglicher Bestätigung als Institution für die Anlage kleiner Guthaben von minderbemittelten Schichten der Bevölkerung wie zum Beispiel kleinerer Handwerker, Dienstboten, Tagelöhner gegründet. Ihre ersten Räumlichkeiten befanden sich im heute nicht mehr existenten Hofmarschallamtsgebäude in der Schloßstraße. Zwischenzeitlich waren auch Geschäftsräume im Rathaus angemietet worden, bevor in den 1850er Jahren der Entschluß gefaßt wurde, ein eigenes Geschäftshaus zu beziehen.

Man erwarb drei Häuser an der Ecke Königsstraße (Puschkinstraße)/Lindenstraße zum Zwecke des Abbruchs, um hier ein neues Gebäude für die Ersparnisanstalt errichten zu können. Der nach Plänen von Theodor Krüger in weitgehend neogotischen Formen errichtete Bau konnte 1857 seiner Bestimmung übergeben werden (Abb. 1). Im Erdgeschoß befanden sich die Geschäftsräume, im Obergeschoß die Wohnräume des Direktors.

Den Bau schmücken sechs lebensgroße Skulpturen, die in der damals modernen Technik des Zementgusses von Christoph Heinrich Hermann Petters ausgeführt wurden. Die Modelle schuf der Bildhauer Carl Georg Ludwig Wiese. Beide Künstler hatten schon an der Ausstattung des Schweriner Schlosses mitgearbeitet. Die hier anzutreffenden Skulpturen sind Allegorien und stehen in enger Beziehung zur Funktion des Hauses. Dargestellt sind an der Fassade zur Lindenstraße die Wohltätigkeit, der Fleiß, die Sparsamkeit und die treue Bewahrung. Die Fassade zur Puschkinstraße zeigt den Ackerbau und das Handwerk. Eine Erweiterung des Gebäudes nach Süden fand 1890 statt. Nun wurde die Reihe der Skulpturen um die Allegorie der Gelehrsamkeit, geschaffen von Hugo Berwald, ergänzt.

Ursprünglich betrat man die Ersparnisanstalt durch den Eingang in der Lindenstraße. Man gelangte in ein großzügiges Vestibül, welches drei in Zementguß gefertigte Reliefbilder besitzt, die ebenfalls von Bildhauer Wiese stammen und 1858, also bereits nach Fertigstellung und Inbetriebnahme des Gebäudes, geliefert und angebracht wurden. Sie stellen die Gottesfurcht, die Arbeitsamkeit und die Sparsamkeit dar, allesamt Tugenden, die den Sparer auszeichnen und ihn an seinen lauteren und sittlichen Lebenswandel gemahnen sollten (Abb. 2-4). Richard Wagner erscheint im Relief "Arbeitsamkeit".

Jenes Relief zeigt im Vordergrund eine stehende weibliche Gestalt, die mit einer Handarbeit beschäftigt ist. Diese besitzt den Kopf Richard Wagners. Links im Hintergrund ist eine Frau an einem Webstuhl zu sehen und rechts sitzt ein Mann auf einer Bank, der einen Teller oder eine Schale in der Hand hält. Er hat dieses Stück zusätzlich auf seinem linken Oberschenkel abgestützt. Vermutlich könnte es sich um ein gedrechseltes Holzgefäß handeln, welches von ihm nachbearbeitet wird. An seiner Seite steht ein Mädchen, ebenfalls mit einer Handarbeit befaßt. Die Szene ist eindeutig. Man erblickt eine Familie, die in Heimarbeit verschiedene Produkte herstellt. Nur der Kopf Richard Wagners wirkt rätselhaft. Wiedergegeben wird er mit seinem Barett, das gewissermaßen zu seinem Markenzeichen wurde. Schaut man genauer hin, so stellt man fest, daß der Kopf in seinen Proportionen nicht zum Körper paßt. Er ist etwas größer und verweist damit auf zeitgenössische Karikaturen (Abb. 5). Wie kann man diesen Kopf nun einordnen?

Es ist davon auszugehen, daß die stehende Frauengestalt in diesem Relief nicht von Anfang an den Kopf Richard Wagners besaß. In den Quellen wird nur die Lieferung dieser drei Reliefbilder einschließlich der zugehörigen Modelle und Formen für den 27. April 1858 vermerkt. Die Besonderheit des Wagnerkopfes bleibt unerwähnt. Zudem entstand die erste Fotografie Richard Wagners, auf der er ein Barett trägt, erst neun Jahre später in Tribschen.

Für dieses Jahr, 1867, ist in den Quellen belegt, daß der Bildhauer August Wildhagen für "Reparaturen im Sparkassenhause" bezahlt wurde [Stadtarchiv Schwerin, ES 04, Akten betreffend Veränderungen und Ausbesserungen in der Direktorialwohnung, Rechnungen]. Unter den Begriff "Reparaturen" könnte im Zusammenhang mit einem Bildhauer auch die Veränderung des Reliefbildes fallen.

Johann Christian Andreas August Wildhagen war am 25. April 1827 in Rübeland im Harz geboren worden. 1865 stellte er in Schwerin einen Antrag auf die Erlangung des Bürgerrechts als Bildhauer. In diesem Antrag teilte er mit, er habe bereits vier Jahre unter Leitung des Bildhauers Franz Carl Gustav Scholinus an der Ausgestaltung des Schweriner Schlosses mitgearbeitet. Nach dessen Tod übernahm er auf die Bitte der Witwe die Bildhauerwerkstatt als Werkführer.

Kommt August Wildhagen nun als Verfertiger des Wagnerkopfes in Frage? Wohl eher nicht. Dagegen spricht, daß Darstellungen Richard Wagners mit Barett, die als Vorbild vom Bildhauer herangezogen worden sein könnten, 1867 noch nicht existierten. Es gab nur jene Tribschener Fotografie, die aber nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt war. Erst 1871 entstand ein Porträt Richard Wagners mit Barett im Münchner Atelier Hanfstaengl, das auch zum Verkauf angeboten wurde und größere Verbreitung erreichte. In der Folge fand man diesen Typus vermehrt in der Karikatur wieder, so 1872 in der Wiener Zeitschrift "Die Bombe", die als eine der frühesten satirischen Zeichnungen Richard Wagners mit Barett gilt. Demnach wird auch die Darstellung des Kopfes Richard Wagners im Reliefbild in der Schweriner Ersparnisanstalt nicht vor dem Beginn des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts entstanden sein.

Möglich wäre eine Entstehung am Ende des 19. Jahrhunderts. 1890 konnte die Ersparnisanstalt, wie oben bereits erwähnt, nach Ankauf eines weiteren Grundstücks und Abbruch des darauf befindlichen Hauses nach Süden um zwei Achsen erweitert werden. In diesem Zusammenhang wurden auch Renovierungsarbeiten in der Direktorenwohnung und im Treppenhaus durchgeführt. Konkrete Angaben über Bildhauerarbeiten, speziell im Vestibül, fehlen jedoch in den Quellen. Belegbar ist lediglich die Anbringung der Allegorie der Gelehrsamkeit von Hugo Berwald an der verlängerten Fassade zur heutigen Puschkinstraße, die um 1901 erfolgte.

Wenn schon keine Klarheit über die Entstehung und die Autorenschaft des Wagnerkopfes gewonnen werden kann, wie steht es denn um die Deutung dieses Reliefs, das in dieser Ausfertigung zunächst keinen Sinn zu ergeben scheint?

Gezeigt wird eine Familie, die mit Heimarbeit Geld für ihren Lebensunterhalt verdient, und damit der Fleiß in den Mittelpunkt der Handlung gestellt. Durch den Ersatz des Kopfes der vorn stehenden Person wird die Grundaussage des Bildes nicht verändert, die Figur selbst jedoch gewinnt durch den Kopf Richard Wagners besondere Aufmerksamkeit und wird deshalb nun auch losgelöst von der Szene betrachtet. Sie hält etwas Textiles in den Händen. In Bezug auf Richard Wagner könnte das ein Hinweis auf dessen Vorliebe für elegante Hauskleidung aus teuren Stoffen sein.

Bei der Wiener Putzmacherin Bertha Goldwag bestellte er zwischen 1864 und 1871 eine Vielzahl von Kleidungsstücken, aber auch Stoffe, Decken, Kunstblumen, Kissen, Gardinen und anderes mehr. Allerdings konnte er oftmals seinen daraus entstandenen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, Rechnungen blieben offen, er vertröstete die Putzmacherin ein um das andere Mal und mußte sich anderenorts Geld borgen, um Teilbeträge begleichen zu können. In seinen Briefen an Bertha Goldwag ist davon zu lesen. Diese Briefe gelangten später in die Hände des Autors und Journalisten David Spitzer, der sie 1877 in der "Neuen Freien Presse" veröffentlichte und kommentierte und so dafür sorgte, daß Richard Wagners Putzsucht in weiten Kreisen der Gesellschaft bekannt wurde. Im selben Jahr erschien dazu eine Karikatur in der Wiener Zeitschrift "Der Floh", die das Thema aufgriff. Sie zeigt einen in Rüschen gekleideten Richard Wagner mit Barett, der mit einer Elle Stoff von einem Ballen abmißt. Hinter ihm erscheint Daniel Spitzer, balancierend auf einem Stapel von Briefen und Rechnungen, und traktiert ihn mit spitzer Feder (Abb. 6).

Dieses Thema war scheinbar auch geeignet, um in der Ersparnisanstalt mit konkretem Bezug auf eine bekannte Persönlichkeit subtil auf diesen Umstand hinzuweisen und nicht nur vor übertriebener Putzsucht, die zu dieser Zeit als weibliches Laster galt, weshalb auch die Frauenkleidung ihre Berechtigung behält, sondern auch vor Unzufriedenheit und verschwenderischem risikobehaftetem Lebenswandel zu warnen, getreu dem Sprichwort: "Bleibe im Lande und nähre Dich redlich".

Dirk Handorf

Quellen und Literatur:

Stadtarchiv Schwerin, Ersparnisanstalt Schwerin (ES), 08 - Sparkassengebäude, Nr. 1-5.

Gunther Braam, Richard Wagner in der zeitgenössischen Fotografie, Regensburg 2015.

Eduard Fuchs/Ernst Kreowski, Richard Wagner in der Karikatur, Berlin 1907.

Christine Rehberg-Credé, Sparbuch statt Sparstrumpf, Die Geschichte der Schweriner Sparkasse, Schwerin 1999.

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