Denkmal des Monats August 2025

Die Restaurierung der St. Marienkirche Stralsund am Beispiel der nördlichen Westvorhalle

Abb. 1. Stralsund, Marienkirche von Nordwesten, 2025.Details anzeigen
Abb. 1. Stralsund, Marienkirche von Nordwesten, 2025.

Abb. 1. Stralsund, Marienkirche von Nordwesten, 2025.

Abb. 1. Stralsund, Marienkirche von Nordwesten, 2025.

Die Marienkirche in Stralsund wird gern als ein Hauptwerk und Gipfelpunkt der Deutschen Backsteingotik bezeichnet. Die Pfarrkirche der Stralsunder Neustadt wurde in ihrer heutigen Form in der Mitte des 14. Jahrhunderts begonnen und 1437 mit der Turmanlage vollendet. Tatsächlich weist die dreischiffige Backsteinbasilika mit Querschiff, polygonalem Umgangschor und der monumentalen Westturmanlage einige Merkmale auf, die diese Einschätzung rechtfertigen (Abb. 1). So sind z.B. die statisch notwendigen Strebebögen, die den Gewölbeschub des Mittelschiffs zu den Seitenschiffswänden ableiten, unter den Pultdächern der Seitenschiffe versteckt angeordnet. Dies steht im Gegensatz zu der älteren Stralsunder Nikolaikirche (um 1270 – Mitte des 14. Jahrhunderts), wo die Strebebögen, wie bei vergleichbaren Sakralbauten in der Gotik üblich, äußerlich dominant in Erscheinung treten (z.B. auch Lübeck, Marienkirche, 1265 – 1351; Schwerin, Dom, um 1300 – 1416.) (Abb. 2) Die Fensteröffnungen des Obergadens und des Chorumganges sind groß, flach und schlicht ausgeführt und zeigen nicht mehr den typisch gotischen Spitzbogenabschluss, sondern den sogenannten Knickbogen, bzw. in den noch ursprünglich erhaltenen Fensterabschlüssen des südlichen Seitenschiffs Segmentbögen, wie sie erst später, in der Renaissancearchitektur, üblich werden sollten (Abb. 3).

Abb. 4. Stralsund, Marienkirche, Ansicht von Norden, 2025 (Neuer Markt).Details anzeigen
Abb. 4. Stralsund, Marienkirche, Ansicht von Norden, 2025 (Neuer Markt).

Abb. 4. Stralsund, Marienkirche, Ansicht von Norden, 2025 (Neuer Markt).

Abb. 4. Stralsund, Marienkirche, Ansicht von Norden, 2025 (Neuer Markt).

Die backsteinernen Wandflächen wurden gestalterisch schlicht gehalten, so dass insgesamt ein sehr einheitlicher, schmuckloser, aber äußerst monumentaler Bau entstand. Er beherrscht in seiner Größe die gesamte Weststadt Stralsunds und insbesondere den Neuen Markt. (Abb. 4) Die große Turmanlage im Westen steigert diese ohnehin schon mächtige Wirkung nochmals. Architektonisch wirkt sie mit ihren über das Langhaus weit herausragenden hohen Nord- und Südhallen, mit vier den Hauptturm umgebenden Treppentürmen, deren westliche durch die Verkleidung mit Gotländer Kalkstein optisch besonders stark hervortreten, sowie mit ihren riesigen Fensterflächen an allen drei Seiten wie ein Westwerk (Abb. 5).

Abb. 6. Stralsund, Marienkirche, Westansicht, 2025.Details anzeigen
Abb. 6. Stralsund, Marienkirche, Westansicht, 2025.

Abb. 6. Stralsund, Marienkirche, Westansicht, 2025.

Abb. 6. Stralsund, Marienkirche, Westansicht, 2025.

Der Turm geht in seinem oberen Aufsatz in ein die Baumasse architektonisch nochmals steigerndes Oktogon über. Ursprünglich besaß er einen Spitzhelm mit einer beeindruckenden Höhe von ca. 150 Metern, der aber 1647 durch Blitzeinschlag zerstört wurde. An seiner Stelle befindet sich nun die beeindruckende barocke Turmhaube. In ihrer architektonischen Wirkung setzt sich die Turmanlage insgesamt vom ansonsten schlichten Kirchenbau deutlich steigernd ab (Abb. 6).

Abb. 7. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gewölbeuntersicht, 2021.Details anzeigen
Abb. 7. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gewölbeuntersicht, 2021.

Abb. 7. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gewölbeuntersicht, 2021.

Abb. 7. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gewölbeuntersicht, 2021.

Auch im Inneren wird diese monumentale Wirkung fortgeführt. Das Turmuntergeschoss verschmilzt mit den Seitenhallen zu einer einzigen großen Halle (Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler – Mecklenburg-Vorpommern, 2016, S. 647). Dieser fast 33 Meter hohe Raum wird von aneinandergereihten flachen, quadratischen Rippengewölben überdeckt: Das mittlere, über dem Turmjoch hat die Form eines Netzgewölbes und wird von vier kleineren Sterngewölben umgeben, die Gewölbe der Nord- und Südhalle sind als reiche Sterngewölbe gebildet (Abb. 7-9).

Abb. 10. Stralsund, Marienkirche, Blick in den Chor, 2024.Details anzeigen
Abb. 10. Stralsund, Marienkirche, Blick in den Chor, 2024.

Abb. 10. Stralsund, Marienkirche, Blick in den Chor, 2024.

Abb. 10. Stralsund, Marienkirche, Blick in den Chor, 2024.

Die Marienkirche wurde in ihrem Äußeren im Mauerwerk und den Fenstern, in den Dachwerken von Halle und Turm und im Inneren im Bereich des Langschiffes, der Vierung und den Querschiffen über die letzten Jahrzehnte ab 1991 sehr aufwendig gesichert, instandgesetzt und restauriert. Besondere Anforderungen stellten dabei die Restaurierung der hohen Gewölbezonen, der Bereich der von Gustav Hoffmann (1883 – 1974) ab den 1930er Jahren in den Seitenschiffen freigelegten und restaurierten Gewölbemalereien und zuletzt der Bereich des Binnenchores mit seinen neugotisch-klassizistischen Gips-Stuckaturen der 1840er Jahre dar. Dabei wurden insgesamt über 12,6 Mio. € aufgewendet (Auskunft Henry Held, Planungsbüro). An der Finanzierung dieser gewaltigen Summe beteiligten sich mit erheblichen Fördermitteln der Bund, das Land, die Hermann Reemtsma Stiftung sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (Abb. 10-11).

Abb. 12. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gerüststellung, 2024.Details anzeigen
Abb. 12. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gerüststellung, 2024.

Abb. 12. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gerüststellung, 2024.

Abb. 12. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Gerüststellung, 2024.

Nun aber geriet die Turmhalle zunehmend in den Blick! Dort zeigte sich zusehends, dass eine Sicherung der hohen Gewölbedecken und Fenstergewände unausweichlich war. Es hatten sich bereits einige Putz- und Mauerwerksteile gelöst, die zu Boden fielen. Zum Schutz der Besucher ließ die Kirchengemeinde ein feinmaschiges Netz im unteren Bereich der Turmhalle spannen. Mit der Instandsetzung und Restaurierung wurde im Bauabschnitt des Jahres 2024 in der Nordhalle begonnen, da hier augenscheinlich (d.h. durch Begutachtung über Fernglas) die größte Schädigung vorlag. Eine nähere Begutachtung war allerdings erst nach der Gerüststellung möglich. Dies war aufgrund der enormen Raumhöhe eine große Herausforderung (Abb. 12).

Abb. 13. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Nordgewölbe, 2024.Details anzeigen
Abb. 13. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Nordgewölbe, 2024.

Abb. 13. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Nordgewölbe, 2024.

Abb. 13. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Nordgewölbe, 2024.

Für die Sicherheit der Ausführenden und den Transport der Arbeitsmittel wurde ein Aufzug aufgebaut. Bei der Sichtung und Untersuchung insbesondere der Fensterbögen wurde deutlich, dass auch diese überaus starke Schäden und Verformungen aufwiesen. Einzelne Rippenpartien hatten sich aus dem Mauerwerksverbund gelöst, und es war nur eine Frage der Zeit, dass größere Fragmente abstürzen. Auch die Gewölbepartien wiesen mehrere dominante Mauerwerksrisse und Putzschädigungen auf. Wie oft bei Kirchensanierungen konnte die notwendige Substanzsicherung erst „kurz vor zwölf“ einsetzen. Durch das Planungsbüro wurde in Zusammenarbeit mit dem Statiker, dem Restaurator, den Denkmalbehörden und der Kirchengemeinde das Instandsetzungs- und Restaurierungskonzept entwickelt. Trotz der starken Substanzschäden galt es, den maximalen Erhalt der weitgehend mittelalterlichen Bauwerkssubstanz zu erzielen. Glücklicherweise erlaubten die Aussagen des Statikers, den überwiegenden Teil der Rippenarchitektur im Original zu erhalten (Abb. 13-15).

Abb. 16. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, mittelalterliche Gewölbemalerei, 2024.Details anzeigen
Abb. 16. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, mittelalterliche Gewölbemalerei, 2024.

Abb. 16. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, mittelalterliche Gewölbemalerei, 2024.

Abb. 16. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, mittelalterliche Gewölbemalerei, 2024.

Zunächst wurden die Risse händisch ausgeräumt und gereinigt. Wo notwendig, wurden dann ergänzende Edelstahlarmierungen zur Wiederherstellung des Mauerwerksverbundes sowie Ziegel- und Mörtelausfüllungen eingebracht. Partiell mussten auch Entsalzungsmaßnahmen im Mauerwerk durchgeführt werden. In den Wandbereichen und Gewölbekappen mussten stark geschädigte Putzbereiche zum Teil abgenommen werden. Bei den restauratorischen Untersuchungen zeigte sich dabei – wie eigentlich überall in der Marienkirche – dass auch dieser Innenraum ursprünglich ornamental und farbig gefasst war. Doch waren diese Fassungsreste im Bestand so stark minimiert bzw. in den Pigmenten verändert, dass eine partielle Freilegung oder gar Restaurierung nicht wünschenswert war und selbst einzelne Befundfenster z.B. in den Gewölbezonen kaum raumwirksam wären. Es wurde daher entschieden, alle Wand- und Gewölbebereiche nach ihrer mauerwerkstechnischen Instandsetzung und konservatorischen Sicherung wieder mit einem weißen, monochromen Anstrich zu versehen. Nach dem Abbau des Gerüstes zeigt sich die nördliche Turmhalle wieder in ihrer ganzen strahlenden architektonischen Schönheit! 425.000 € kostete die Restaurierung des Bauabschnittes 2024, und Land und Bund beteiligten sich wieder zu je einem Drittel an den Gesamtkosten (Abb. 16-19).

Abb. 20. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Südgewölbe, Untersicht, 2024.Details anzeigen
Abb. 20. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Südgewölbe, Untersicht, 2024.

Abb. 20. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Südgewölbe, Untersicht, 2024.

Abb. 20. Stralsund, Marienkirche, Turmhalle, Südgewölbe, Untersicht, 2024.

Das feinmaschige Netz wurde in die südliche Turmhalle umgehängt, denn auch hier lösten sich bereits Putzfragmente! Es ist zu befürchten, dass bald wieder eine umfassende Sicherung und Restaurierung der Substanz nötig sein wird, daher bleibt zu hoffen, dass eine Finanzierung der nächsten Bauabschnitte in den kommenden Jahren als Notsicherung deklariert und aufgestellt werden wird. Aber auch wenn dies gelingt, wird immer noch viel zu tun sein: Im Inneren bleiben noch der Chorumgang und einzelne Kapellen zu restaurieren (Abb. 20-21).

St. Marien zu Stralsund wird als Kirche von immerwährender liturgischer Bedeutung sein. Als Bauwerk mit langer Geschichte wird sie aus bautechnischer und restauratorischer – und damit auch aus denkmalpflegerischer – Sicht immer eine riesige Herausforderung bleiben!

Jens Amelung

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