Gotische Kirche am Wasser. Die Schweriner St. Paulskirche als romantisch-programmatisches Symbol

Denkmal des Monats Juni 2018

Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, St. Paulskirche von Südosten um 1870. (LAKD M-V/LD, Fotosammlung)Details anzeigen
Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, St. Paulskirche von Südosten um 1870. (LAKD M-V/LD, Fotosammlung)

Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, St. Paulskirche von Südosten um 1870.

Abb. 1. Landeshauptstadt Schwerin, St. Paulskirche von Südosten um 1870.

Am 29. Juni 1863, dem Tag des Apostel Paulus, erlebte die Hauptstadt des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin ein besonderes Spektakel. Angeführt vom Musikkorps des Gardebataillons zog ein festlicher Zug vom Schweriner Dom zur Ackertwiete, dem Bauplatz der St. Paulskirche (Abb. 1). Inmitten dieses Zuges befand sich auch Großherzog Friedrich Franz II. An diesem denkwürdigen Tag fand die Grundsteinlegung für den neuen Kirchenbau statt. Er sollte als Pfarrkirche für die westlich des Pfaffenteiches neu entstehende Paulsstadt dienen, doch wurde er gleichzeitig zu einem romantisch-programmatischen Monument und Symbol für die restaurative Regierung des Großherzogs.

Die nach Entwürfen Theodor Krügers errichtete neogotische Kirche konnte auf den Tag genau nach sechs Jahren Bauzeit, am 29. Juni 1869 geweiht werden. Möglich geworden war der Bau durch eine großzügige testamentarische Verfügung des Direktors der großherzoglichen Domänen, Friedrich Ludwig von Flotow. Es entstand eine dreischiffige, vierjochige Stufenhalle mit viergeschossigem Westturm, Querschiff, zweijochigem Chor mit 5/8-Schluss und Chornebenräumen. Bemerkenswert sind die beiden Chorflankentürme und die bekrönende Zwerggalerie am Chor, die der romanisch rheinischen Architektur entlehnt sein mögen (Abb. 2).

Der Bau spiegelt die Vorstellungen des Neuluthertums wider, zu dessen führenden Vertretern Theodor Kliefoth gehörte. Oberkirchenrat Kliefoth pflegte ein enges vertrautes Verhältnis zum Großherzog, dessen Erzieher er war und ihn nun in wichtigen Fragen beriet. Maßgeblich war er an der Reform des protestantischen Kirchenbaus beteiligt, die in den Grundsätzen des Eisenacher Regulativs von 1861 ihren Niederschlag fand. Die St. Paulskirche kann als ein Musterbeispiel für diese Kirchenbaureform angesehen werden.

Von besonderer Bedeutung ist ihre städtebauliche Lage. Sie wurde auf dem zu dieser Zeit höchsten Punkt der Paulsstadt, nahe des Pfaffenteichs errichtet. Der freistehende Bau erhebt sich über einem Sockel, was ihm denkmalhafte Züge verleiht. Seine Chorpartie wendet sich zum Pfaffenteich und ist von dort voll erlebbar (Abb. 3), denn der Großherzog legte Wert darauf, daß eine Straße, die über das bis dahin bebaute Reppenhagensche Grundstück führen sollte, angelegt wird (heute westlicher Teil der Moritz-Wiggers-Straße). Der freie Blick vom Ufer des Pfaffenteichs erlaubte nun eine wirkmächtige Inszenierung der Chorpartie mit den beiden Chorflankentürmen und dem Dachreiter über der Vierung. Gemeinsam mit dem Westturm und den schlanken Fialen erwächst ein Gotteshaus mit vielschichtiger malerischer Silhouette, das alle anderen Gebäude in seiner Nachbarschaft überragt. Der Bau wird zum Denkmal des Christentums und des christlichen Glaubens.

In der Ansicht vom Ufer des Pfaffenteichs schließt das breitgelagerte Arsenal links neben dem Gotteshaus an diesen Bau an. Rechts von ihm folgen bürgerliche Wohnhäuser. Das Arsenal verkörpert mit seinen zinnenbekrönten Türmchen und dem umlaufenden Zinnenkranz die Wehrhaftigkeit der Monarchie. Die St. Paulskirche und das Arsenal gehen, so nebeneinander stehend, eine Verbindung ein und symbolisieren die Zusammengehörigkeit von Thron und Altar, die Herrschaft des Großherzogs von Gottes Gnaden. Die Wohnhäuser der Bürger nutzt dieses Ensemble, um auf die Einmütigkeit des Volkes als Bestandteil dieser Allianz zu verweisen und damit eine Idealvorstellung vom Mittelalter zu beschwören, die Friedrich Franz II. nach dem Scheitern der Revolution von 1848 und dem folgenden Freienwalder Schiedsspruch in der Verfassungsfrage als gesellschaftliches Modell anstrebte (Abb. 4).

Die Idee für diese Bildfindung lieferte Karl Friedrich Schinkel, worauf Martin Grahl bereits hingewiesen hat. 1813 schuf er das Gemälde "Gotischer Dom am Wasser". Ein überaus feingliedriges hochgotisches Gotteshaus mit Doppelturmfassade und zwei seitlichen Türmen erhebt sich auf einem hohen Plateau, zu dem eine Treppenanlage führt, über einem Gewässer, wohl einem Fluß. Der Dom richtet seine monumentale Ostpartie genau hierher. Es ist ein großartiges Bauwerk. Das sockelartige Plateau und der den Kirchenbau umgebende Baumkranz verschaffen ihm eine monumentale Aura. Er wird zu einem Denkmal. Links schließt sich eine mittelalterliche Stadt an, aus deren Mitte ein gotischer Palast und ein Turm herausragen. Auf der rechten Seite führt eine Brücke zu einem weiteren Stadtteil (Abb. 5).

Eine besondere Rolle spielt die Atmosphäre, die K. F. Schinkel schildert: Die Abendsonne taucht den Dom in ein mystisches Licht, so daß seine Chorpartie zunächst nur schemenhaft erscheint. Rechts scheint ein Unwetter heraufzuziehen. Das ikonographisch aufgeladene Gemälde thematisiert die Situation zur Zeit der Freiheitskriege gegen die napoleonische Herrschaft. Der Dom ist bei K. F. Schinkel ein nationales Monument, das vom Volk getragen wird und dessen Zusammenhalt fördert. Während das Schweriner Ensemble die Allianz von Thron und Altar beschwört, ist das Bildthema bei K. F. Schinkel durchaus progressiv aufgefaßt.

Das Gemälde ist nicht erhalten. Es wurde vermutlich mit der Zerstörung der Reichskanzlei 1945 vernichtet. Eine zweite Fassung K. F. Schinkels ging ebenfalls verloren. Überliefert sind lediglich zwei zeitgenössische Kopien, eine von Wilhelm Ahlborn, die andere von Eduard Biermann.

Friedrich Franz II. hat dieses Gemälde vermutlich gekannt. Es soll sich im Besitz seines Onkels, König Friedrich Wilhelms IV., befunden und in dessen Wohnung im Berliner Schloß gehangen haben. Helmut Börsch-Supan bezweifelt dies jedoch, da sich das Gemälde in keinem Inventarverzeichnis des Schlosses wiederfindet. 1861 gelangte indes die Ahlborn-Kopie in den Besitz König Wilhelms I., eines Bruders Friedrich Wilhelms IV., sodaß Friedrich Franz II. spätestens jetzt Kenntnis von diesem Sujet erlangt haben kann. Dies ist umso wahrscheinlicher, weil unmittelbar darauf, 1862, mit der Planung des Kirchenbaus begonnen wurde.

Der gewählte Standort der St. Paulskirche spielt nicht nur für die Wirkung des Baus auf das Pfaffenteichufer eine Rolle. Die Kirche bildet auch eine Achse mit der Hauptportalfassade des Schlosses und der darin befindlichen Niklothalle mit dem Reiterdenkmal des slawischen Fürsten und Stammvater des mecklenburgischen Fürstenhauses. Dieser „reitet“ auf die Kirche als Symbol für die ungebrochene Gemeinschaft eines einheitlichen corpus christianum mit der uneingeschränkten Autorität des Monarchen als Gesellschaftsidee, einer Regierung von Gottes Gnaden, zu (Abb. 6).

Letztendlich steht die Wahl des Patroziniums des Apostel Paulus für die Verehrung des Vaters durch den Sohn und liefert ein Beispiel für die dynastische Memorialkultur. Friedrich Franz II. setzte mit diesem Bau seinem Vater, Großherzog Paul Friedrich ein weiteres Denkmal.

Die St. Paulskirche in Schwerin ist ein herausragendes Zeugnis für die Restauration nach 1848 und gehört zu den vortrefflichen Werken im Œuvre Theodor Krügers. Im Schweriner Residenzensemble, einer Kulturlandschaft des romantischen Historismus, nimmt dieser Kirchenbau einen hervorragenden Platz ein.

Dirk Handorf

Quellen

Stadtarchiv Schwerin
61: Magistrat zu Schwerin. Acta, betreffend die Erbauung der Paulskirche. Vol. I.
102: Acta des Bürger-Ausschusses, betreffend die Paulskirche zu Schwerin

Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland
Oberkirchenrat, 44: Acta, betreffend die Erbauung der St. Paulskirche
602: Schwerin (alt), Schwerin-Stadt, verschiedene Briefe von und an Durchlaucht, Briefe Paulskirche und St. Nicolai betreffend, Synodal-Ausarbeitung des Präpositus Klotz (1833).

Literatur

Helmut Börsch-Supan, Gottfried Riemann (Hrsg.), Karl Friedrich Schinkel — Bild-Erfindungen.
(Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk, Band 20), München, Berlin 2007.
Martin Grahl, Die Schweriner St. Paulskirche. Eine Führung aus theologischer Sicht. In: Christian Skobowsky (Hrsg.), Die Schweriner St. Paulskirche und ihre Orgel. Schwerin 1999.
Dirk Handorf, Romantischer Recke. Das Reiterdenkmal des Obotritenfürsten Niklot im Schweriner Schloss. In: Kulturerbe in Mecklenburg und Vorpommern, Band 2, Schwerin 2007.

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