Das Gutshaus in Lüssow. Die Nutzungsgeschichte und eine kunsthistorische Einordnung.

Denkmal des Monats Februar 2022

Abb.1. Lüssow, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Gutshaus, Hauptfassade, 2018. Details anzeigen
Abb.1. Lüssow, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Gutshaus, Hauptfassade, 2018.

Abb.1. Lüssow, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Gutshaus, Hauptfassade, 2018.

Abb.1. Lüssow, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Gutshaus, Hauptfassade, 2018.

In dem zwischen Gützkow und Anklam gelegenen Ort Abb. Lüssow steht inmitten eines weiträumigen Landschaftsparks ein Gutshaus, das für die Gemeinde und den engagierten Förderverein, der sich 1996 zur Erhaltung des sog. Schlosses Lüssow gegründet hatte, bis heute ein Sorgenkind ist (Abb. 1-3).

Bauherr des Gutshauses war der Kammerherr Achim von Voss-Wolffradt (1837-1904), der das Fideikommiss mit Lüssow, Klein Polzin, Consages und Owstin 1842 von seinem Vetter Hermann W. C. G. von Wolffradt (1816-1841), der kinderlos starb, geerbt hatte. Eine testamentarisch festgelegte Bedingung war, dass er seinem Namen den Namen Wolffradt hinzufügte. Achim von Voss-Wolffradt ließ sich um 1867/68 östlich der Gutsanlage ein neues repräsentatives Gutshaus im Neorenaissancestil erbauen und von einem großen Park umgeben. Der Architekt ist nicht bekannt. Das Gutshaus war bis zur Bodenreform Eigentum der Familie von Voss-Wolffradt. Der letzte Gutsherr schied nach dem Einmarsch der Roten Armee in Lüssow durch Freitod aus dem Leben. Danach gelangte das Gutshaus in Gemeindeeigentum und wurde 1945-1946 zunächst als Typhusheim genutzt. Ab 1947 diente es als Schule, Kindergarten und zu Wohnzwecken. 1971 erfolgte die Eintragung in die Denkmalliste aufgrund seiner künstlerischen und geschichtlichen Bedeutung. Die Unterschutzstellung bewahrte das Gutshaus jedoch leider nicht vor gravierenden baulichen Veränderungen. Seit Auszug des Kindergartens 1984 steht das Gebäude bis heute leer. In den Jahren 1997-1999, 2003 und 2007 erfolgten Sicherungsmaßnahmen, die eine Trockenlegung des Mauerwerks (Drainage) sowie die Dachsanierung des Hauptdaches (Schwammbekämpfung, Reparatur des Dachstuhls, Schwammsanierung im Dachgeschoss, Neueindeckung mit Faserzementplatten) betrafen. Die Maßnahmen wurden durch das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) gefördert. Eine notwendige Fortführung der Schwammsanierung erfolgte nicht. 2013 verkaufte die Gemeinde das Gutshaus an einen in den USA lebenden Privatmann, der eine denkmalgerechte Sanierung mit dem Ziel plante, eine Seminarnutzung einzubringen. Bis heute sind jedoch keine Sanierungsmaßnahmen durchgeführt worden.

Das nach einer Inschrift in der Wetterfahne 1868 fertiggestellte Gutshaus präsentiert sich als ein symmetrischer, zweigeschossiger, massiver Putzbau mit einem Satteldach über einem Feldsteinsockel und einem souterrainartigen Kellergeschoss. Das Satteldach ist mit Faserzementplatten, ursprünglich waren es Rechteckschieferplatten, eingedeckt. Das Gebäude ist auf eine Allansichtigkeit angelegt. Die nach Osten ausgerichtete Fassadenseite hat elf Achsen mit einem in der Mitte vorgezogenen, zweigeschossigen Bauteil sowie ganz leicht vorgezogenen, dreigeschossigen, übergiebelten Seitenrisaliten. Der kräftige niedrigere Mittelbau hat einen Satteldachabschluss, vor dem Rundbogenportal liegt eine vierstufige Freitreppe. Die nach Osten zeigende Parkseite hat 13 Achsen. Hier prägen ebenfalls dreigeschossige, übergiebelte Seitenrisalite sowie eine von kräftigen zweigeschossigen Rundtürmen (ohne Dächer) gerahmte übergiebelte Gebäudemitte die Fassade. Die Schmalseiten sind schlicht gehalten und schließen mit der Traufe ab. Die Gebäudeecken erfahren durch gestufte Strebepfeiler eine Betonung. Die regelmäßigen Fensterachsen haben unterschiedliche Abschlüsse. Die betonte Gebäudemitte der Parkseite und die Giebel der Seitenrisalite zeigen Rundbogenfenster, die anderen Fensteröffnungen sind rechteckig, die Zone unterhalb der Giebel vermittelt mit einem Segmentbogenabschluss. An den Schmalseiten wird die Mitte durch Fensterpaare, die durch eine Art gestufte Strebepfeiler gerahmt werden, geprägt, auch hier mit unterschiedlichen Fensterabschlüssen. Originale Fenster sind in Teilen erhalten. Zum erhaltenen Baudekor gehören eine Eckrustizierung und geschosstrennende Gesimse. Die Fensteröffnungen der Hauptgeschosse sind faschengerahmt und schließen im zweiten Geschoss mit einer gesimsartigen Verdachung ab. Das Portal ist rundbogig ausgebildet und mit einer architektonischen Rahmung versehen. Ein weiterer Eingangsbereich befand sich an der Südseite (Abb. 4).

Bei näherer Inaugenscheinnahme des imposanten Gebäudes wird insbesondere am Baudekor augenfällig, dass das Gutshaus Veränderungen erfahren hat (Abb. 5). Diese sind auf Instandsetzungsmaßnahmen der 1970er Jahre zurückzuführen und zudem eine Folge des Leerstands seit 1984. Für die Gesamtwirkung besonders gravierend ist der Verlust des hohen, weit über die Traufe hinausragenden, fassadenseitigen Mittelturms mit einer welschen Haube (Abb. 6). Von diesem ist nur noch ein Geschoss als Eingangsbau erhalten. Die Giebel der Seitenrisalite zeigen eine vom Satteldach angeschnittene Bauornamentik. Ursprünglich waren sämtliche Giebel als Schweifgiebel mit Voluten und einem Ädikulamotiv ausgebildet (Abb. 7-9). Die vereinfachende Dachausbildung, die von einer Baumaßnahme in der DDR-Zeit stammt, wurde bei den Sicherungsarbeiten des Dachstuhles in den Jahren 1998/99 und 2003 beibehalten. Auch die Schmalseiten waren durch einen Ädikulaaufsatz akzentuiert. Die Rundtürme waren bauzeitlich ein Geschoss höher und trugen Kegeldächer. Unterhalb der Dächer umgaben sie Maschikulifriese (Abb. 10). Das im Giebelfeld des Mittelrisalits angebrachte Wappen der Familie von Voss-Wolffradt ist entfernt worden. Von der Terrasse existieren nur noch die Grundmauern.

Im Gebäudeinneren ist die Raumstruktur unverändert überliefert (Abb. 11-12). Die Räume sind im Erdgeschoss durch eine Enfilade miteinander verbunden, im Obergeschoss gibt es einen Flur. Durch den mittig gelegenen ehemaligen Treppenturm gelangt man über eine dreiläufige Treppe und durch eine Spitzbogentür in die repräsentative Eingangshalle, die mit einem Sterngewölbe versehen ist. Von der baufesten Ausstattung ist nur noch wenig erhalten wie Türrahmen, Türflügel und ein Treppenhandlauf, Kaminteile sowie Teile von Stuckdecken und Nagelparkett. Im Souterrain lagen die Küche und die Wirtschaftsräume, im Erdgeschoss die repräsentativen Räumlichkeiten, im Obergeschoss die privaten Wohn- und Schlafräume und im Dach die Zimmer der Dienstboten.

Stilistisch ist das Gutshaus in seinem ursprünglichen Bestand des Außenbaus als ein Bau der deutschen Neorenaissance zu identifizieren. Kennzeichnend sind das hohe Dach, die Giebel mit Schweifwerk und der dominante Treppenturm sowie die Rundtürme mit den Kegeldächern. Vorbildhaft waren herrschaftliche Wohnhäuser aus der 2. Hälfte des 16.Jahrhunderts und dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Große Ähnlichkeiten weist das in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene und 1575 erbaute Wasserschloss in Quilow auf. Andere Bauten zeigen wesentliche Charakteristika wie das 1588 errichtete Gutshaus auf der Veste Spantekow, das 1697 erbaute Gutshaus in Stolpe mit großen Rundtürmen und Maschikulifries sowie das sog. Schloss Penkun mit seinem prägenden Eckturm mit welscher Haube (um 1600). Während bei den originalen Renaissancebauten das Prinzip der Asymmetrie vorherrschend ist, zeigt das Gutshaus in Lüssow eine strenge Symmetrie und bezieht damit den jüngeren barocken Baustil ein. Durch die Bezugnahme auf Bauformen des regionalen Renaissancestils stellte Achim von Voss-Wolffradt das Gutshaus in einen geschichtlichen Bezug zur frühen Geschichte des Gutes und setzte sich damit zugleich in die Tradition der Familie von Wolffradt.

Im erhaltenen Gutshausbestand von Mecklenburg-Vorpommern sind wenige Gutshäuser der Zeit um 1865/1875 in einem historistischen Neostil erhalten. Hierzu gehören die Gutshäuser in Altenpleen, Gültz, Sophienhof, Mallin, Beseritz und Tressow. Zuvor in den Jahren um 1840/50 war eine Vielzahl von Gutshausneubauten im damals modernen Stil der Tudorgotik erbaut worden. Einen stilistischen Übergang zeigt das 1853-1855 nach Entwurf von Friedrich Hitzig erbaute Gutshaus in Kartlow. Es weist ein Satteldach, einen dominanten Hauptturm an der Gebäudeecke und Kegeltürme mit Maschikulifries auf. Erst in den 1890er Jahren entstanden vermehrt Gutshäuser in den historistischen Stilen.

Das Gutshaus in Lüssow hat leider sehr viel von seiner ursprünglichen architektonischen Gestaltqualität verloren. Trotz dieser erheblichen Verluste handelt es sich aber noch um einen imposanten Gutshausbau. Seine vormals kunsthistorische Bedeutung ist leider nicht mehr gegeben. Der Denkmalwert und das öffentliche Erhaltungsinteresse begründen sich in seinem Wert für die Geschichte des Ortes Lüssow und die Geschichte der adligen Familie von Voss-Wolffradt sowie für die von den Gutswirtschaften geprägte Gutslandschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist zudem ein Beispiel für den Umgang der DDR-Zeit mit den erhaltenen Gutshausbauten. Das Gutshaus bildet das bauliche Zentrum der ausgedehnten Parkanlage und ist für die städtebauliche Struktur- und Geschichte des Gutsdorfes Lüssow neben der Dorfkirche das zentrale Gebäude.

Die denkmalpflegerische Zielstellung sieht einen Erhalt der original überlieferten Architektur sowie der inneren Raumstruktur und eine Sicherung und Reparatur sowie eine behutsame Ergänzung des erhaltenen bauzeitlichen Putzdekors vor. Eine vollständige Rekonstruktion der ursprünglichen Architektur des Gutshauses ist keine Forderung der Denkmalpflege.

Ob das Gutshaus in naher Zukunft genutzt und damit gerettet werden kann, ist unter den derzeitigen Vorzeichen noch ungewiss.

Beatrix Dräger-Kneißl

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