Eine Zierde für die Residenz - Anmerkungen zur Geschichte der Kirche in Görslow

Denkmal des Monats Juni 2019

Abb. 1: Görslow, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Kirche von Norden.Details anzeigen
Abb. 1: Görslow, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Kirche von Norden.

Abb. 1: Görslow, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Kirche von Norden.

Foto: LAKD M-V/LD, A. Bötefür

Abb. 1: Görslow, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Kirche von Norden.

Foto: LAKD M-V/LD, A. Bötefür

Im Dorf Görslow, am Ostufer des Schweriner Sees, trifft man auf eine kleine Dorfkirche, die anders ist, als man sich Dorfkirchen im Mecklenburgischen vorstellt. Mitnichten handelt es sich um einen backsteinsichtigen Bau in gotischen Formen. Nein, dieser Bau atmet den Geist des Klassizismus.

Inmitten alter Bäume, die inzwischen über sich hinausgewachsen sind und zumindest in den Sommermonaten den Blick auf die Kirche stark einschränken, steht dieser Bau nun seit 173 Jahren am Hochufer des Sees und schafft mit seiner landschaftlichen Umgebung eine malerische Kulisse (Abb. 1). Ihr Bauherr war der Besitzer des Gutes Görslow, Georg von Behr, der gleichzeitig die Stellung des Dirigenten (Leiter) des Kriminalgerichtes zu Schwerin innehatte.

Die Kirche ist ein graziler verputzter Saalbau im Rundbogenstil, über dessen Westgiebel sich ein schlanker Turm mit Rundbogenblenden und Rosettenfenstern auf allen vier Seiten erhebt (Abb. 2). Im Osten schließt ein eingezogener, polygonaler, lisenengegliederter Chor mit umlaufendem ornamentalem Trauffries an den Saalbau an. Er ist fensterlos, was auf den ersten Blick verwundern mag (Abb. 3). Sowohl der Turm wie auch der Saalbau werden von einem lateinischen Kreuz bekrönt.

In das Innere gelangt man über einen an der Westseite gelegenen offenen Vorbau mit Freitreppe, der das schlichte Portal der Kirche schützt (Abb. 4). Man betritt einen lichten Kirchenraum mit hölzerner Kassettendecke. Der von außen sichtbare polyganale Chor tritt im Innenraum nicht in Erscheinung, denn der Altarraum ist als Konche ausgebildet, was nun auch die Fensterlosigkeit dieses Bauteils erklärt. Sein Apsisbogen wird durch einen rechteckigen Rahmen gestalterisch besonders hervorgehoben. Seine Zwickel nehmen die Reliefs adorierender Engel auf (Abb. 5). Die Nordwestseite des Kirchenraumes prägen zwei große logenartige Öffnungen mit balkonartiger Brüstung und hölzernem Maßwerk, die zu zwei Herrschaftsständen gehören. Zwischen beiden vermittelt das innere Portal (Abb. 6).

Interessant erscheint ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Bauwerks. Ein Kirchengebäude, welches möglicherweise noch aus dem Mittelalter stammte, befand sich in unmittelbarer Nähe der Gutsanlage. Der Bauzustand dieses Gotteshauses hatte sich über die Jahre immer weiter verschlechtert. Zudem stand es an einem Platz, der durch die später errichteten Stallungen und Wirtschaftsgebäude des Gutes sehr ungünstig geworden war. Georg von Behr wandte sich deshalb im November 1836 an Großherzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin und teilte ihm mit, aus eigenen Mitteln eine neue Kirche errichten zu wollen, die an passenderer Stelle liege. Die alte Kirche habe einen höchst unangemessenen Platz „in einem Winkel zwischen dem Pferde- und dem Schweinestalle“. Darüber hinaus sei sie „in hohem Grade verfallen“. Georg von Behr bat den Großherzog, nun sein Einverständnis für den Neubau zu geben, der auf der „dicht vor dem Hofe belegenen Anhöhe, in elegantem Baustyle mit einem stattlichen Thurm“ entstehen sollte. Dabei hatte der Bauherr nicht nur die geistliche Versorgung seiner Untertanen im Sinn, sondern richtete den Blick auch auf die Landschaftsgestaltung. Den Großherzog ließ er wissen, er wolle mit dieser neuen Kirche „der Umgegend der Residenz zugleich eine neue Zierde hinzufügen“.

Friedrich Franz I. hatte offensichtlich Gefallen an diesem Vorhaben gefunden, denn im Januar 1837 teilte er von Behr mit, sein Plan „kann Uns nur zum besonderen allergnädigsten Wohlgefallen gereichen und gestatten Wir daher auch gerne“. Allerdings sollte die Kirche in einer Zahl der Gemeindeglieder angemessenen Größe errichtet werden. Bis zur Weihe des Baus vergingen jedoch noch neun Jahre.

Als Filialkirche von Pinnow war das dortige Pfarramt in den Neubau einbezogen. Es nahm Anstoß an dem gewählten Bauplatz, der direkt in der Achse des Gutshauses lag, die die gerade Zuwegung zwischen beiden Bauten noch unterstrich. Man vermutete, der Gutsherr wolle einen zu starken Einfluss auf die Kirche und deren geistliche Angelegenheiten ausüben. Dieser Streit zog sich über mehrere Jahre hin, sodass der Bau der neuen Kirche erst 1842 beginnen konnte. Drei Jahre später war sie fertig, wie Georg von Behr im Juni 1845 in einem Brief an Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin schrieb. Bis zur Weihe am 17. Mai 1846 verging noch einmal fast ein Jahr. Georg von Behr erlebte diesen Tag nicht mehr. Er war am 22. Juli 1845 verstorben.

Wer die Pläne für den Kirchenbau lieferte, ist nicht bekannt. Horst Ende vermutete, sie sei von Landbaumeister August Bartning entworfen worden, doch gibt es dafür keinen Beweis. Zuständig für Görslow, das zum Amt Schwerin gehörte, war seit 1842 Landbaumeister Friedrich Ludwig Behncke, der vormalige Baukondukteur in diesem Gebiet, so dass zu vermuten ist, dass er auch für die Planung der Kirche verantwortlich war.

Ebenso im Dunklen liegt die Entwurfsgeschichte dieses Gotteshaus, da bislang keine Zeichnungen auffindbar waren. Einfluss auf das Bauwerk übten sicherlich die seit dem frühen 19. Jahrhundert in Preußen einsetzenden Bestrebungen, den Kirchenbau in den ländlichen Gebieten durch typisierte Gebäude zu befördern, aus. 1825 entwarf Karl Friedrich Schinkel im Auftrag des Preußischen Königs einen Prototyp im Rundbogenstil, die sogenannte "Normalkirche", die auf dem Vorbild der evangelischen Kirche in Nakel, dem heutigen Nakło nad Notecią in Polen beruhte. Durch einen Erlass des Königs aus dem Jahre 1827 wurde bestimmt, diesen modifizierbaren Entwurf als Muster für den Bau kleinerer evangelischer Kirchen auf dem Lande zu verwenden. Dieser Typus war als Halle mit seitlichen Emporen konzipiert und konnte sowohl mit als auch ohne Turm erbaut werden.

Durch sehr enge familiäre Bande waren das Königreich und das Großherzogtum miteinander verbunden. Viele der später in Mecklenburg tätigen Landbaumeister und Baukondukteure erhielten zudem ihre Ausbildung in Berlin. Es dürfte also außer Frage stehen, dass Schinkels Bemühungen um einen kostengünstigen aber ästhetisch anspruchsvollen Kirchenbau auch hierzulande bekannt waren.

Doch womöglich reichte der Blick noch weiter. 1822/24 erschien in München Leo von Klenzes theoretische Schrift "Anweisung zur Architectur des christlichen Cultus", in der er beispielhaft Musterentwürfe für den Kirchenbau jener Zeit vorstellte und dabei gleichzeitig seine klassizistische Architekturtheorie, die aus der griechischen Antike gespeist wird, beförderte. Die Tafel V der "Anweisung" zeigt eine kleine Kirche, die in ihrer Disposition der Görslower Kirche sehr ähnlich ist (Abb. 7). Leo von Klenze legte für seine Kirchenbauten unter anderem fest, dass sie einen einfachen Grundriss haben und im Inneren möglichst frei sein sollten, sodass der Hauptaltar von allen Plätzen aus gesehen werden kann. Ein Turm, der mit dem Kirchenbau an der Vorderseite in eine organische Verbindung zu bringen war, war zwingend erforderlich. Hier sollte sich auch der Eingang befinden. Der Bau selbst sollte als Oblongum mit Giebeldach ausgebildet sein.

Für das Innere sah Leo von Klenze zwei Formen von Decken vor. Einerseits waren es Flachdecken aus Holz, die er empfahl, andererseits steinerne Tonnengewölbe. Die Belichtung der Räume sollte zwar mäßig sein, Glasgemälde lehnte er indes jedoch ab, weil sie die Kirchen verdunkeln würden.

Es ist schon erstaunlich, wie viele formale Parallelen die Kirche in Görslow mit von Klenzes Musterentwürfen für kleinere Dorfkirchen mit Türmen und Giebeln aus der "Anweisung" aufweist. So ist nicht gänzlich auszuschließen, dass sie auch der Schöpfer der Görslower Kirche kannte.

1834 war die zweite Auflage der "Anweisung" erschienen und noch im selben Jahr hielt Johann Heinrich Strack einen Vortrag über von Klenzes Traktat im Architekten-Verein in Berlin. Auch eine Wechselwirkung mit Karl Friedrich Schinkels Bemühungen um einen vereinfachten Kirchenbau wird man nicht ausschließen können und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Ideen bis nach Mecklenburg gelangt sind.

Die Kirche bildete nach ihrer Fertigstellung ein wichtiges Element in der gestalteten Seenlandschaft rund um das Schweriner Schloss. Sie ist malerischer Blickpunkt etwa vom Burggarten oder von der Insel Kaninchenwerder aus und gleichsam als romantische Parkarchitektur in einem großen Landschaftsgarten zu verstehen. Die Familie des Großherzogs nutzte den Wasserweg, um Görslow als Ausflugsziel aufzusuchen, wie der Tagebucheintrag des Großherzogs Friedrich Franz II. aus dem Jahr 1849 belegt: „27. Mai. Pfingsten. Wundervolles Wetter. … Wir zu Wasser nach Görslow. …“ (Abb. 8).

Im Laufe der Jahrzehnte fanden immer wieder Instandsetzungen und Renovierungsarbeiten an der Kirche statt, doch mit dem Bau einer Kaserne der NVA in der Mitte der 1970er Jahre in ihrer unmittelbaren Nähe unterblieben sie. Zu Beginn der 1980er Jahre war die Kirche extrem baufällig. Unterlassene Baupflege und Vandalismus ließen sie fast zur Ruine werden. Die Fenster waren zerschlagen, Wasser drang in das Mauerwerk ein, die Wände waren von Grünschimmel befallen. Der Fußboden war zerstört, die Kassettendecke musste mit Eichenstämmen abgestützt werden, an der Südseite wies sie bereits starke Schäden auf. Eine Baukonferenz beim Oberkirchenrat bewirkte, dass Reparaturen und Sicherungsmaßnahmen durchgeführt wurden, um den Verlust des Gotteshauses abzuwenden.

Nach der politischen Wende 1989/90 konnten dann umfangreiche Sanierungsmaßnahmen in Angriff genommen werden. 1996 waren die Arbeiten im Inneren abgeschlossen und 2001 die Außensanierung fertiggestellt. Bei der Neugestaltung des Kirchenraumes verzichtete man auf die Kanzel, die hinter der Altarmensa aufgestellt war, das Altargehege und weitere Ausstattungsstücke wie zwei Gemälde, die Maria und Christus zeigen (Abb. 9), und entschied sich für eine schlichte und funktionale Ausstattung. Nun bedarf es fachgerechter Baumpflegemaßnahmen, damit dieses wertvolle Gebäude seine malerische Erscheinung im Residenzensemble Schwerin, einer Kulturlandschaft des romantischen Historismus, wieder voll entfalten kann (Abb. 10).

Dirk Handorf

Quellen:

Landeskirchliches Archiv Schwerin, 03.01.02.F-L Oberkirchenrat Schwerin, Specialia, Abteilung 2, 212. Görslow

008, Bau einer neuen Kirche zu Görslow auf von Behr’sches Erbbegräbniß, 1836-1939.

009, Görslow, Bauten-Kapelle, 1950-1996.

010, vasa sacra, 1987.

LAKD M-V/LD, Registratur, Objektakte, Kirche Görslow, Mappe 01.

Literatur:

Leo von Klenze, Anweisung zur Architectur des christlichen Cultus. Mit einer Einführung von Adrian von Buttlar, Nördlingen 1990.

H.P. Pippig, Görslow im Wandel der Zeit. Görslow 2017.

Peter Schmidt, Eine Kirche für alle Provinzen. Schinkels Normalkirche im „Bogenstyl“, in: Die Mark Brandenburg, Heft 42, 2001, S. 20-27.

René Wiese (Hrsg.), Vormärz und Revolution. Die Tagebücher des Großherzogs Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin 1841-1854. Köln, Weimar, Wien 2014.

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