Eine Vision wird Realität. Die Kulturkirche St. Jakobi in Stralsund hat wieder eine Orgel

Denkmal des Monats Februar 2021

Abb. 1. Stralsund, Kirche St. Jakobi, Luftaufnahme, 2007.Details anzeigen
Abb. 1. Stralsund, Kirche St. Jakobi, Luftaufnahme, 2007.

Abb. 1. Stralsund, Kirche St. Jakobi, Luftaufnahme, 2007.

Abb. 1. Stralsund, Kirche St. Jakobi, Luftaufnahme, 2007.

Nach jahrelangen Diskussionen und Bemühungen vieler ist eine Vision Wirklichkeit geworden. Die Jakobikirche in Stralsund (Abb. 1-2), die seit 1990 für die Zwecke einer ganzjährig zu nutzenden Kulturkirche saniert und am 27. Januar 2017 feierlich eröffnet wurde, hat nun wieder eine Orgel.

Am 6.10.1944 war der Kirchenbau durch einen Bombenangriff schwer beschädigt und danach ein Großteil des Inventars geplündert worden. Auch die große Orgel, die 1877 von Friedrich Albert Mehmel erbaut worden war und als eine der größten, modernsten und klangschönsten Orgeln ihrer Zeit galt, blieb nicht verschont.

Die erste Orgel für die St. Jakobikirche baute in den Jahren 1740/1741 Christian Gottlieb Richter aus Alten Stettin. Den prächtigen barocken Orgelprospekt schuf der Stralsunder Bildhauer Michael Müller unter Mitarbeit des Zimmermanns Höppner und des Tischlers Pirlstiber. 1783 erfolgten Reparatur- und Änderungsarbeiten durch Ernst Julius Marx. Das Orgelwerk wurde 1870 bis 1877 durch Friedrich Albert Mehmel unter Einbeziehung von C.G. Richters Pedalwindladen, Teilen der Registertraktur und der Prospektpfeifen neu gebaut. Es entstand ein viermanualiges Instrument mit 68 klingenden Registern. Das künstlerisch bedeutsame barocke Orgelgehäuse blieb erhalten. F.A. Mehmel hatte bei so bedeutenden Meistern wie Johann Friedrich Schulze in Paulinzella und Friedrich Ladegast in Weißenfels das Orgelbauhandwerk erlernt und 1859 seine Werkstatt in Stralsund eröffnet. Mit der Orgel in St. Jakobi schuf er ein Meisterwerk (Abb. 3-4).

Wegen der durch den Zweiten Weltkrieg drohenden Gefahr entschloss man sich 1943, die Orgel vor möglichen Kriegsschäden zu schützen und das figürliche und ornamentale Schnitzwerk abzunehmen und einzulagern. Durch die Baugruppe Keibel vom Preußischen Finanzministerium Berlin erfolgte neben der Abnahme auch eine detaillierte zeichnerische und fotografische Dokumentation des Orgelgehäuses und der Empore sowie eine Mensuraufnahme der barocken Prospektpfeifen. Das Orgelwerk selbst wurde weder dokumentiert noch ausgebaut, denn lediglich den barocken Teilen wurde in jener Zeit bereits ein Denkmalwert zugesprochen.

Von den Plünderungen in der Nachkriegszeit war auch das Instrument betroffen und hat große Substanzverluste erfahren. Nur noch einige hundert von den ursprünglich 3500 Orgelpfeifen blieben erhalten. Die technische Anlage der Orgel, obwohl schadhaft und von einem hohen Verschmutzungsgrad, hatte Bestand. Seit 1999 engagierte sich das Bürgerkomitee "Rettet die Altstadt Stralsund" e.V. um eine Rekonstruktion der Mehmel-Orgel. Es erfolgte eine umfangreiche Bestandsaufnahme und Dokumentation des erhaltenen Pfeifenwerks durch die Firma Eule (Bautzen), eine erste Holzschutzbehandlung wurde vorgenommen.

Wegen der hohen Verluste aufgrund von Zerstörung und Plünderung besteht der Denkmalwert der Orgel sehr wesentlich in dem monumentalen Orgelprospekt, der für den norddeutschen Raum eine ungewöhnliche barocke Pracht zeigt. Weil zahlreiche Bauteile eingelagert worden waren, blieben ca. 85% des Schnitzwerks mit der originalen Fassung erhalten (Abb. 5-8). Der monumentale, symmetrische Prospekt mit elf teilweise überlebensgroßen Figuren und reliefartigem Schleierwerk prägt als eigenständiges Ausstattungsstück den Raumeindruck der St. Jakobikirche sehr entscheidend mit. Er ist außer dem barocken Orgelprospekt in St. Marien in Rostock (1770 vollendet) der einzige erhaltene Monumentalprospekt aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Mecklenburg-Vorpommern. Die zeitgleichen Prospekte in den Stadtkirchen in Güstrow, Malchin, Friedland, Teterow sind deutlich kleiner. Die hohe Bedeutung des Orgelprospektes führte zu einer Einstufung als National bedeutendes Baudenkmal und die Restaurierung konnte daher durch eine Förderung des Denkmalschutzsonderprogramms V der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert werden. Die fachlich hervorragende Restaurierung erfolgte durch das Holz-Atelier Karsten Püschner aus Hartmannsdorf. Die Restaurierung wurde durch die Abteilung Landesdenkmalpflege im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege fachlich begleitet (Abb. 9).

Man stellte bei der Untersuchung des Orgelwerkes fest, dass das eichene Ständerwerk von einer Vorgängerorgel, die in das Jahr 1582 datiert, erhalten ist. Neben den erhaltenen Teilen der barocken Orgel von C.G. Richter sind zwei Oberwerk-Windladen von E.J. Marx entdeckt worden. Von dem einst bedeutenden Instrument des Stralsunder Orgelbauers Friedrich Albert Mehmel war leider für eine Restaurierung nicht ausreichend viel Substanz erhalten geblieben, so dass festzustellen war, dass die Orgel weitgehend ein neues Instrument werden würde. Es bestand die Zielstellung, die bedeutende "Mehmel-Orgel" wiedererstehen zu lassen und dafür waren bereits beträchtliche Spendenmittel eingeworben worden. Die fachlich zuständige Orgelkommission nahm jedoch bald von dieser favorisierten Rekonstruktion der Orgel von F.A. Mehmel Abstand, da eine originalgetreue wissenschaftliche Rekonstruktion des Instrumentes aufgrund fehlender Kenntnisse zum Bestand der Orgel nicht möglich gewesen wäre. Es wurde orgelfachlich als die bessere Variante gesehen, eine neue Orgel zu bauen, die klanglich den Hochbarock der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederspiegelt und in ihren Dimensionen in den vorhandenen, statisch ertüchtigten Orgelprospekt passt. Die Idee, dass aus einem barocken Orgelprospekt wieder ein barocker Klang erklingt, erschien die richtige Herangehensweise gegenüber der Schaffung eines romantischen Klangkonzeptes, zumal die orgelbaugeschichtlich bedeutenden Pedalwindladen und Teile der Ton- und Registermechanik von Christian Gottlob Richter und die zwei Oberwerk-Windladen von E.J. Marx restauriert und in das neue Instrument integriert werden sollten. In Referenz und Erinnerung an die Orgel von F.A. Mehmel sollte die Restaurierung der drei originalen Register im Großpedal (Principalbass 32‘, Contraposaune 32‘ und Offenbass 16‘) erfolgen. Von einigen Orgelfachleuten, den Spendern und aus der Öffentlichkeit gab es Kritik. Sie waren von dieser Herangehensweise zunächst nicht begeistert. Die Kritiker vertraten die Ansicht, dass eine Wiederherstellung der Orgel von F.A. Mehmel aufgrund des erhaltenen Bestandes und nach erhaltenen Vorbildern wie der Orgel der St. Marienkirche Greifswald und der Ladegast-Orgel im Schweriner Dom ohne größere Probleme möglich sei. Nach einigen Auseinandersetzungen wurde die neue Herangehensweise schlussendlich akzeptiert. Die Orgelbaukommission erarbeitete für die neu zu bauende Orgel ein Klangkonzept, das die Grundlage für die Ausschreibung bildete. Die Submission gewann die Orgelbauwerkstatt Kristian Wegscheider, Dresden (Abb. 10).

Inzwischen sind die 2017 begonnenen Arbeiten an der monumentalen Orgel in der Kulturkirche St. Jakobi in Stralsund abgeschlossen (Abb. 11-14). Die "Jakobi-Orgel" von Christian Wegscheider mit ihren erhaltenen historischen Bestandteilen hat 3.246 Pfeifen auf 51 Registern, drei Klaviaturen und Pedal. Ihre Windversorgung erfolgt über sechs große Keilbälge. Die klangschöne neue Orgel mitsamt dem restaurierten prächtigen Barockprospekt wurde am 19.09.2020 in einem Gottesdienst mit geladenen Gästen unter Einhaltung der Corona-Abstandsregeln feierlich eingeweiht, ein schönes abgeschlossenes Großprojekt für das von den deutschen Landesmusikräten ausgerufene Orgeljahr 2021. Möge die neue Orgel häufig in Konzerten erklingen.

Beatrix Dräger-Kneißl

Kartendarstellung St. Jakobi Stralsund

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