Und die Herde wächst immer noch… Stierfiguren der römischen Kaiserzeit aus Vorpommern und dem östlichen Mecklenburg

Fund des Monats Dezember 2021

Abb. 1: Schwennenz (Fpl. 122), Brietzig (Fpl. 2) und Papendorf (Fpl. 35), alle Lkr. Vorpommern-Greifswald (von links nach rechts). Innerhalb nur eines Jahres wurden diese drei Stierfiguren von Martin Mieckley bei systematischen Fundplatzerfassungen im östlichen Vorpommern entdeckt.Details anzeigen
Abb. 1: Schwennenz (Fpl. 122), Brietzig (Fpl. 2) und Papendorf (Fpl. 35), alle Lkr. Vorpommern-Greifswald (von links nach rechts). Innerhalb nur eines Jahres wurden diese drei Stierfiguren von Martin Mieckley bei systematischen Fundplatzerfassungen im östlichen Vorpommern entdeckt.

Abb. 1: Schwennenz (Fpl. 122), Brietzig (Fpl. 2) und Papendorf (Fpl. 35), alle Lkr. Vorpommern-Greifswald (von links nach rechts). Innerhalb nur eines Jahres wurden diese drei Stierfiguren von Martin Mieckley bei systematischen Fundplatzerfassungen im östlichen Vorpommern entdeckt.

Abb. 1: Schwennenz (Fpl. 122), Brietzig (Fpl. 2) und Papendorf (Fpl. 35), alle Lkr. Vorpommern-Greifswald (von links nach rechts). Innerhalb nur eines Jahres wurden diese drei Stierfiguren von Martin Mieckley bei systematischen Fundplatzerfassungen im östlichen Vorpommern entdeckt.

Figürliche Plastik stellt in den ur- und frühgeschichtlichen Kulturen des nördlichen Mitteleuropa eher die Ausnahme als die Regel dar. Aber es gibt Ausnahmen von der Regel und dazu gehören seit einiger Zeit kleine Figuren aus Bronze, deren Hörner aus Draht sie unzweifelhaft als Boviden, also Rinder, kennzeichnen. Die in der Regel unverzierte Grundform (zwischen 3 und 5 cm lang und bis zu 4,5 cm hoch) erinnert allerdings eher an kurzbeinige Dackel als an Rinder. Die Gestaltung ist in der Regel stilisiert, oft deuten nur zwei Stümpfe die Vorder- und Hinterbeinpaare an. Aber auch regelrechte Vierbeiner sind darunter. Gelegentlich sind noch Schwänze und Ohren aus Bronzedraht appliziert; eine jüngst entdeckte Figur aus Papendorf hatte sogar Hörner aus Silberdraht (Abb. 1). Die Anzahl der Figuren scheint in den letzten Jahren so überproportional zuzunehmen, dass man fast an ein biologisches Phänomen denken könnte. Doch der Reihe nach, denn schon in der Forschungsgeschichte dieser Figuren gibt es eine Entwicklung, die es lohnt, sie bis in die Gegenwart nachzuvollziehen.

In seiner 1939 fertiggestellten, aber erst 1997 gedruckten Dissertation zur jüngeren Bronzezeit Mecklenburgs führte Hans-Jürgen Hundt (Hundt 1997) auch sechs kleine Bronzefigürchen im Katalog auf, für die seinerzeit ein jungbronzezeitliches Alter für sehr wahrscheinlich gehalten wurde. Nach dem 2. Weltkrieg hat sich dann Otto-Friedrich Gandert 1958 (Gandert 1958) intensiver mit den Figürchen beschäftigt und sie, auf Grund des damaligen Verbreitungsschwerpunktes am Rande der Altmark und trotz des Ausgreifens des Fundvorkommens nach Ostmecklenburg, als „Hundisburger Gruppe“ benannt. Datiert werden konnten nun bereits einige der Stücke in die römische Kaiserzeit, wofür auch die Metallzusammensetzung sprach. Die wachsende Fundzahl war schließlich für Ulrich Schoknecht (Schoknecht 2006) Anlass, die Neu- und Altfunde erneut einer Betrachtung zu unterziehen. Inzwischen waren 19 Figürchen bekannt, zum Teil bei regulären Ausgrabungen aus Befunden geborgen, dazu eine durch gezielte Detektorprospektion ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger vermehrte Zahl von Einzelfunden. Die jüngst erfolgte Vorlage durch Elke Schanz und Michael Schirren aller in Mecklenburg-Vorpommern bis 2019 gefundenen Bovidenfiguren (Schanz/Schirren 2019) umfasste mit 42 Exemplaren einen in 13 Jahren bereits verdoppelten Fundbestand. Und die Population scheint sich, auch wenn man dies bei Stieren kaum für möglich halten möchte, im Osten Mecklenburg-Vorpommerns munter weiter zu vermehren. Denn innerhalb von nur 2 Jahren wurden weitere 19 Einzelfunde (Stand November 2021) durch ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger gemeldet. Damit ist die Zahl der kleinen Stiere aus Buntmetall auf nun insgesamt 61 Exemplare angestiegen. Eine inzwischen von Arnold Muhl 2019 publizierte Neuvorlage zeigt dagegen für die Altmark nur einen unwesentlich vergrößerten Bestand (Muhl 2019).

Dieser regional so drastisch angewachsene Fundbestand figürlicher Kleinplastik wirft Fragen auf und es sind weiterreichende Erkenntnisse möglich, als dies noch vor Jahren zu erwarten gewesen wäre. Bei aller Ähnlichkeit in der Ausführung stereotyper Form gibt es graduelle Unterschiede, die auf verschiedene Hersteller, Handwerkstraditionen oder gar Werkstätten deuten (Abb. 2 und 3). Ohne ins Detail zu gehen, sei zum Beispiel auf die unterschiedlichen technischen Lösungen bei der Ausformung der Beine hingewiesen. Die Datierung in die römische Kaiserzeit ist statistisch gesehen inzwischen mehr als nur wahrscheinlich, denn gerade die letzten Funde zwischen 2019 und 2021 verdanken wir der systematischen Begehung von bislang kaum beachteten Siedlungsstellen der römische Kaiserzeit. Weitere Sicherheit für die chronologische Verortung in der römischen Kaiserzeit könnten Metallanalysen erbringen.

Besondere Beachtung verdient aber die Kartierung der Fundpunkte (Abb. 4), denn sie zeigt ein fast geschlossenes und außergewöhnlich dichtes Verbreitungsbild zwischen der Mecklenburger Seenplatte und dem Randowbruch. Auch die Neufunde der letzten beiden Jahre verdichten dieses Fundbild weiter. Was hinter einer so dichten, regionalen Streuung eines eigentlich ungewöhnlichen Fundtyps steht, bedarf weiterer Untersuchungen. Denn selbst der Formenreichtum von Fibeln in der römischen Kaiserzeit führte bislang zu keiner derartigen Konzentration innerhalb eines eher begrenzten Gebietes von 130 x 100 km Ausdehnung. Ein zufälliges Fundbild liegt wohl nicht vor, denn intensive ehrenamtliche Detektorprospektionen finden im gesamten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern statt und sind somit ein Garant für eine gewisse Repräsentativität. Vieles deutet auf ein regional begrenztes oder regional eingrenzbares Kulturphänomen hin. Steht vielleicht so etwas wie ein Kult oder wenigstens ein magisches Brauchtum hinter Produktion und Verbreitung der Figürchen? Sind die Figürchen Darstellungen von Hausrindern oder waren die bei den germanischen Stämmen als Jagdtiere beliebten Ure Vorbild? Spiegelt sich in der Verbreitung ein kurzzeitiges oder länger andauerndes Geschehen wider? Die dänische Forschung hat in den dortigen Figuren, deren Zahl aber nicht annähernd an die in Mecklenburg-Vorpommern heranreicht, Einflüsse des römischen Mithras-Kultes gesehen, in dem Stiere eine wichtige Rolle spielten (Thrane 1986, Thrane 2008, Hensen 2013). Vielfältige Verbindungen, ob es der Dienst germanischer Söldner im römischen Heer, Handel oder Wandel mit dem römischen Imperium oder komplexe sozioreligiöse Vorgänge waren, liefern Ansätze, die Übernahme bildnerischer Elemente und lokaler Transformation zu erklären. Es ist nun Aufgabe weiterer wissenschaftlicher Forschung, mit diesem hochinteressanten Fundmaterial zu arbeiten, dessen erneute Vermehrung wohl nur eine Frage der Zeit ist, wie uns die jüngste Vergangenheit eindrücklich gelehrt hat.

Elke Schanz M. A.undDr. C. Michael Schirren

Literatur:

Gandert 1958: Otto-Friedrich Gandert, Das bronzene Rinderfigürchen von Berlin-Schöneberg. Berliner Blätter für Vor- und Frühgeschichte 7, 1958, 108–152.

Hensen 2013: Andreas Hensen, Mithras. Der Mysterienkult an Limes, Rhein und Donau. Stuttgart 2013.

Hundt 1997: Hans-Jürgen Hundt, Die jüngere Bronzezeit in Mecklenburg. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 31, Lübstorf 1997.

Muhl 2019: Arnold Muhl, Germanische Rinderstatuetten der römischen Kaiserzeit aus Sachsen-Anhalt. Kleine Hefte zur Archäologie in Sachsen-Anhalt 16. Langenweißbach 2019.

Schanz/Schirren 2019: Elke Schanz / C. Michael Schirren, Die Herde wächst… Rinderfigürchen der Römischen Kaiserzeit in Mecklenburg-Vorpommern. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 26, 2019, 48-67.

Schoknecht 2006: Ulrich Schoknecht, Zu den Rinderfigürchen aus Mecklenburg-Vorpommern. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 13, 2006, 33–40.

Thrane 1986: Henrik Thrane, Bovidenstatuetten von Fünen. Frühmittelalterliche Studien 23, 1986, 362-416.

Thrane 2008: Henrik Thrane, Metal Figurines from Denmark and Sweden in the Roman and Migration Periods. In: Bogusław Gediga / Wojciech Piotrowski (Red.), Sztuka pradziejowa i wczesnośredniowieczna jako źródło historyczne. Prace Komisji Archeologicznej 17 / Biskupińskie Prace Archeologiczne 6, Biskupin/Wrocław 2008, 257-266.

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