Endlich: Nach 111 Jahren gibt es ein weiteres Lurenpaar aus Mecklenburg-Vorpommern!

Fund des Monats September 2023

Abb. 1: Gustävel, Lkr. Ludwiglust-Parchim. Hervorragend erhalten: Das Kesselmundstück von Lure 1. Rand-Durchmesser 3,9 cm.Details anzeigen
Abb. 1: Gustävel, Lkr. Ludwiglust-Parchim. Hervorragend erhalten: Das Kesselmundstück von Lure 1. Rand-Durchmesser 3,9 cm.

Abb. 1: Gustävel, Lkr. Ludwiglust-Parchim. Hervorragend erhalten: Das Kesselmundstück von Lure 1. Rand-Durchmesser 3,9 cm.

Abb. 1: Gustävel, Lkr. Ludwiglust-Parchim. Hervorragend erhalten: Das Kesselmundstück von Lure 1. Rand-Durchmesser 3,9 cm.

Im Sommer 2021 nutzte der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger René Inoks das kurze Zeitfenster zwischen Ernte und Neubestellung, um eine Ackerfläche bei Gustävel im Landkreis Ludwiglust-Parchim mit dem Detektor abzusuchen. Bislang kannte man dort keine Fundplätze, doch handelte es sich um eine Spornlage, die auch für die Menschen in früheren Zeiten attraktiv gewesen sein dürfte.

Wie richtig seine Vermutung war, zeigte sich kurz darauf, denn an einem leichten Nordhang konnte er drei Fundkonzentrationen ermitteln. Es handelte sich dabei um drei eigenständige Hortfunde der jüngeren Bronzezeit. Obwohl durch die langandauernde Ackernutzung stark in Mitleidenschaft gezogen, waren die drei Hortfunde, deren Fundorte ein Dreieck mit 70 bis 130 m Seitenlänge bildeten, deutlich gegeneinander abgesetzt. Alle drei waren während Periode V niedergelegt worden, so dass es sich um Teile einer außergewöhnlichen Sakrallandschaft handeln dürfte. Um diese besser zu verstehen und nach Möglichkeit den Deponierungsort zu ermitteln, führte Grabungstechniker Bernd Wollschläger (LAKD M-V, Landesarchäologie) im Sommer 2022 auf zwei Plätzen Baggersondagen durch, die allerdings keine aussagekräftigen Befunde zutage förderten.

Bemerkenswert ist, dass die Zusammensetzung der drei Hortinventare offenbar aufeinander abgestimmt war: So bestand die erste Niederlegung aus zwei Bronzebecken, während die zweite zwei einzigartige Plattenfibeln mit Mondsichelband und reichen Ringschmuck enthielt. Herausragend war jedoch das dritte Depot, denn dort waren zwei Luren niedergelegt worden. Leider sind beide Instrumente infolge der Feldbearbeitung in zahllose Kleinstbruchstücke zerbrochen, von denen bislang mehr als 200 sichergestellt wurden. Trotz des schlechten Überlieferungszustandes lassen sich die Luren als Periode-V-zeitlich ansprechen und näher beschreiben: Beide wurden über ein Kesselmundstück mit waagerecht ausbiegender Randlippe gespielt (Abb. 1). Der daran anschließende Rohrabschnitt besaß jeweils drei quergestellte Ösen, an denen Gehänge aus einem Ring und zwei runden Klapperblechen (2,8 x 2,5 cm) befestigt waren. Eines dieser Gehänge war bei der Auffindung noch an seinem Platz, acht weitere Klapperbleche konnten im Bereich der Fundstreuung einzeln geborgen werden (Abb. 2). Das Gros der Fundstücke stammt von den Schallrohren, wobei einige Fragmente erkennen lassen, dass die Instrumente aus mehreren Rohrabschnitten mittels Steckverbindungen zusammengesetzt waren (Abb. 3). Außerdem zeigte sich, dass auch im oberen Rohrbereich Ösengruppen – hier allerdings längsgestellt – aufgegossen waren. Auch dort dürften ehemals Klapperbleche eingehängt gewesen sein. Von den lurentypischen Mündungsscheiben liegen hingegen nur relativ wenige Bruchstücke vor. Diese sind durch plastische Ringbuckel verziert (Abb. 4).

Die wissenschaftliche Relevanz des Fundplatzensembles ergibt sich nicht nur aus der außergewöhnlichen Dichte an zeitgleichen, offensichtlich aufeinander Bezug nehmenden Mehrstückhorten, sondern insbesondere aus dem Lurenpaar, denn es sind die ersten Objekte dieses Typs, die seit 1911 in Norddeutschland gefunden wurden.

Bislang waren aus Norddeutschland sechs Luren bekannt, von denen eine in Garlstedt bei Bremen (Schween 1996, 405 ff.) gefunden wurde. Die anderen fünf stammen aus Mecklenburg-Vorpommern: Ein einzelnes, relativ unvollständiges Stück wurde 1821 in einer Tongrube bei Hofzumfelde, Lkr. Nordwestmecklenburg, in über 9 Fuß Tiefe entdeckt (Lisch 1837, 117 f.). Zwei Luren förderte der Pflug 1836 auf einem Feld bei Lübzin, Lkr. Rostock, zutage. In die Schweriner Sammlung gelangte seinerzeit jedoch nur eines (Abb. 5), während das zweite, angeblich „noch vollständige“ Exemplar auf dem Hof verblieb und später verloren ging (Schmidt 2004, 190 mit Abb.). Vollständiger, aber in schlechterem Erhaltungszustand ist das Lurenpaar aus Daberkow, Lkr. Vorpommern-Greifswald, überliefert (Schmidt 1915; Hänsel/Tolstikov 2013; Schween 2015, 44). Es wurde 1911 beim Entfernen eines ursprünglich „etwa mannshohen Felsens“ auf einer moorigen Wiese entdeckt. Seither sind in Norddeutschland keine weiteren Luren bekannt geworden. Doch auch im übrigen Nordischen Kreis der Bronzezeit gehören Luren keineswegs zum gängigen Fundmaterial. Letztmalig wurden 1988 in Ulvkær im nördlichsten Teil Jütlands zwei Exemplare gefunden (Lysdahl et al. 1990).

Insgesamt sind heute mehr als 60 Lurenfunde – Henrik Thrane (1993, 29) zählt sogar mindestens 84 Exemplare von 39 Fundorten, wenn man auch die berücksichtigt, „von denen man nur lesen kann“ – bekannt. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Garlstedt bei Bremen im Südwesten über Mecklenburg und Südskandinavien bis nach Jaungulbene in Lettland („Neu Schwaneburg“) und Rossum bei Oslo im Norden (Schween 2015). Die meisten Stücke fanden sich in Südschweden und Dänemark, wo auch die Herstellung der in der Regel mehrteilig gegossenen Instrumente erfolgt sein dürfte. Sicher belegt ist dies für dänische Insel Fünen und Ostjütland, wo Gießformreste gefunden wurden (Jantzen 2008, 73; Taf. 17, 64; Taf. 18, 65). Zumindest auf Fünen dürfte die Produktion an ein lokales Herrschaftszentrum gebunden gewesen sein.

Erstmalig sind Luren für Periode III belegt (Schween 2015, 40; zu Vorläufern vgl. Schmidt 2001). Die Exemplare aus Gustävel gehören jedoch zu den jüngsten Vertretern, die überwiegend nach Periode V datieren, vermutlich aber bis Periode VI reichen. Sie besitzen Kesselmundstücke und Schallscheiben, die plastisch mit Ringbuckeln verziert sind (Schween 2015, 41 f.; Broholm 1958, Tab. II). Typisch sind zudem Ösen, an denen regelhaft Klappergehänge befestigt sind.

Luren stammen durchweg aus Niederlegungen, die in der Regel in Feuchtgebieten, zumeist heutigen Mooren, erfolgten. In 21 Fällen wurden sie paarig deponiert, wobei es sich dann zumeist um gleichgestimmte, achsensymmetrisch gespiegelte Exemplare handelt, die in ihrer Form an Auerochsenhörner erinnern. Luren sind Kultgegenstände, die fast nie mit anderen Objektgruppen vergesellschaftet waren. Bisweilen deuten aber Gefäßscherben und/oder Tierknochen auf Feierlichkeiten oder Speiseopfer im Rahmen der Niederlegung bzw. in der Folgezeit hin. Abweichend von der Regel sind zwei Fälle gesichert, in denen die Luren bei ihrer Deponierung nicht im Moor versenkt, sondern auf der alten Oberfläche niedergelegt wurden (Lysdahl et al. 1990, 11 und 18).

Ob die Stücke in Gustävel auch an der Oberfläche – oder zumindest oberflächennah – abgelegt wurden, wird fraglich bleiben. Sicher ist lediglich, dass im Zuge der Baggersondage keine Eingrabung in den Untergrund nachgewiesen werden konnte. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie nicht in einem Feuchtgebiet niedergelegt waren, sondern auf mineralischem Untergrund. Dies ist auch für das Lübziner Lurenpaar anzunehmen, während es für die Lure von Hofzumfelde zumindest nicht auszuschließen ist, da dieses Instrument „auf dem Negenbargen“ gefunden wurde (Hundt 1997, 52, Nr. 33). Somit könnte diese Art der Niederlegung eine norddeutsche Besonderheit darstellen.

In Gustävel wurde nach nunmehr 111 Jahren erstmals wieder ein Lurenpaar in Norddeutschland entdeckt. Die beiden Fundstücke sind zwar in einem stark fragmentierten Erhaltungszustand überliefert, doch dokumentieren sie eindrucksvoll die Bedeutung der Region und deren enge Kontakte in den Kernbereich des Nordischen Kreises, wo man die Produktionsorte dieser eindrucksvollen Gießereierzeugnisse vermuten darf.

Dr. Jens-Peter Schmidt

Literatur

  • Broholm 1958: H.-C. Broholm, Bronzelurerne i National Museet. København 1958.
  • Hänsel/Tolstikov 2013: A. Hänsel/V. P. Tolstikov, Daberkow, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland. In: Bronzezeit. Europa ohne Grenzen. 4.–1. Jahrtausend v. Chr. Ausstellungskatalog, 525. Sankt Petersburg 2013.
  • Hundt 1997: H.-J. Hundt, Die jüngere Bronzezeit in Mecklenburg. – Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 31. Lübstorf 1997.
  • Jantzen 2008: D. Jantzen, Quellen zur Metallverarbeitung im Nordischen Kreis der Bronzezeit. – Prähistorische Bronzefunde XIX, 2. Stuttgart 2008.
  • Lisch 1837: G. C. F. Lisch, Friderico Francisceum oder Grossherzogliche Alterthümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust. Leipzig 1837.
  • Lysdahl et al. 1990: P. Lysdahl/M. Lundbæk/B. Gottlieb/J. N. Sørensen/B. Aaby, Lurparret fra Ulvkær i Vendssys­sel. – Kuml 1990, 7–43.
  • Schmidt 1915: H. Schmidt, Die Luren von Daberkow, Kr. Demmin. – Praehistorische Zeitschrift 7, 1915, 85–177.
  • Schmidt 2001: J.-P. Schmidt, Ein bronzezeitlicher Blashornbeschlag aus Dallmin, Lkr. Prignitz. – Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 8, 2001, 42–48.
  • Schmidt 2004: J.-P. Schmidt, Katalog. In: Mythos und Magie. Archäologische Schätze aus Mecklenburg-Vorpommern [Ausstellungskatalog Schwerin]. – Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern 3, 181–199. Lübstorf 2004.
  • Schween 1996: J. Schween, Luren – Musikinstrumente der Bronzezeit. In: G. Wegner (Hrsg.), Leben – Glauben – Sterben vor 3000 Jahren: Bronzezeit in Niedersachsen. – Beihefte zu Ausstellungen der Abteilung Urgeschichte des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover 7, 403–407. Oldenburg 1996.
  • Schween 2015: J. Schween, Luren und irische Hörner der Bronzezeit. Nordeuropäische Meisterwerke der Klangerzeugung. In: Musikarchäologie – Klänge der Vergangenheit. – Archäologie in Deutschland. Sonderheft 7/2015, 38–50. Darmstadt 2015.
  • Thrane 1993: H. Thrane, 8 fynske broncealderlurer og nogle lerstumper. – Fynske minder 1993, 29–52.

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