Brot und Stein… Eine gewichtige Trogmühle auf der Insel Rügen

Fund des Monats Februar 2017

Abbildung 1. Polkvitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Typisch für den Fundort einer vorgeschichtlichen Trogmühle sind landwirtschaftliche Lesesteinhaufen.Details anzeigen
Abbildung 1. Polkvitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Typisch für den Fundort einer vorgeschichtlichen Trogmühle sind landwirtschaftliche Lesesteinhaufen.

Abbildung 1. Polkvitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Typisch für den Fundort einer vorgeschichtlichen Trogmühle sind landwirtschaftliche Lesesteinhaufen.

Abbildung 1. Polkvitz, Lkr. Vorpommern-Rügen. Typisch für den Fundort einer vorgeschichtlichen Trogmühle sind landwirtschaftliche Lesesteinhaufen.

Seit Jahren verbringt Wolfgang Bernhardt aus Schkeuditz (Sachsen) zusammen mit seiner Frau den Urlaub auf der Insel Rügen. Und als langjährig erfahrener ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger hält er auch an der Ostseeküste die Augen offen. Dabei fiel ihm an einem großen Lesesteinhaufen nördlich von Sagard in der Gemarkung Polkvitz ein Granitfindling auf. Bei näherer Begutachtung stellte dieser sich als ungewöhnlich große vorgeschichtliche Reibmulde mit tief ausgeriebener Arbeitsfläche heraus (Abbildung 1). Offenbar war der Stein zusammen mit anderen Lesesteinen durch die landwirtschaftliche Beackerung an die Oberfläche gekommen und am Feldrain abgelegt worden.

Herr Bernhard rief umgehend die Dienststelle Stralsund des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege an, meldete den Fund und wies auf die notwendige Sicherung hin. Um das Bodendenkmal vor unbefugtem Zugriff zu schützen, deckte er den Fund mit anderen Steinen zu. Es war klar, dass die Bergung nur mit entsprechender Technik möglich würde, denn an der sprichwörtlichen "Uhrenkette" hätte man den Stein nicht tragen können. Der Rüganer Rene Schön, Handwerker und ebenfalls Bodendenkmalpfleger, ließ sich nicht lange bitten. Mit Gabelstapler, Hänger und LKW machte er sich auf den Weg nach Sagard. Inzwischen hatte sich der Stein wieder ein Stück in Richtung Straße "bewegt": offenbar hatte ihn jemand schon aus dem Haufen gezogen und für den Abtransport bereitgelegt. Es war wohl das ungewöhnliche Gewicht von deutlich mehr als 800 kg, das die frühzeitige "Abreise" verhindert hat. Selbst der Radlader von Rene Schön kam an seine Leistungsgrenze, aber mit Geschick gelang die Verladung auf einen Anhänger (Abbildung 2 und 3). Zwischengelagert befindet sich der Stein zur Zeit in Neuenkirchen auf Rügen.

In Norddeutschland kennen wir derartig von Menschenhand veränderte Geschiebe unter der Bezeichnung Getreidereiben, Reibmulden, Trogmühlen oder Mahlsteine. Ausgangsmaterial sind in der Regel metamorphe Geschiebe wie Granit. Es gibt sie in allen Stadien der Bearbeitung, die typischen Nutzungsspuren reichen von mehr oder weniger gleichmäßig konkav eingetieften Reibeflächen bis hin zu tiefen, breiten Rillen, selten auch sattelförmigen Mulden. Sie entstanden durch die regelmäße Vor- und Rück-Bewegung eines Handsteins, mit dem das Getreide geschrotet wurde (Abbildung 4). Die stark abgenutzten Zähne vorgeschichtlicher Menschen zeugen von dem dabei zermahlenen Gestein genauso wie vom hohen Anteil an pflanzlichen Ballaststoffen. Mit den handlichen Schlag-/Reibsteinen dürfte man auch die Oberflächen der Reibmulden wiederholt gerauht und geschärft haben.

Die Reibmulden stehen für den radikalsten Wandel in Wirtschaft und Ernährung des Menschen Mitteleuropas. Mit dem Getreideanbau seit dem Neolithikum kommt es an der südlichen Ostseeküsten ab dem frühen 4. Jahrtausend vor Christus zur intensiven, umfänglichen und extensiven Nutzung der Landschaft. Gleichzeitig war der Mensch gezwungen, die Ackerflächen zu pflegen und zu schützen: es kam zu einer stärkeren Bindung an die nun dicht besiedelte Landschaft.

"…Im Schweiße deines Angesichts sollst Du dein Brot essen…" heißt es in der Bibel (1. Buch Mose  3, 19). Die tief ausgeriebenen Mahlsteine zeugen eindrucksvoll von der kraftraubenden Verarbeitung des Getreides. Das enorme Gewicht der Polkvitzer Reibmulde macht es sehr unwahrscheinlich, dass sie mobiles Inventar einer Siedlung war. Vielmehr dürfte sie über einen langen Zeitraum an einem festen Ort in oder bei einer Siedlung benutzt worden sein, vielleicht sogar zusammen mit weiteren Mühlen. Denn solche Arbeiten wie das langwierige und anstrengende Mahlen werden in traditionellen Gesellschaften auch heute noch gerne gruppenweise ausgeführt.

Bei archäologischen Ausgrabungen werden in Gruben und Brunnenschächten immer wieder auch zerschlagene Reibmulden bzw. die seit Christi Geburt in Mode gekommenen Rundmühlen (zuletzt in Koitenhagen bei Greifswald: siehe Fund des Monats September 2016) gefunden. Wir können allerdings nur vermuten, dass hinter dem Akt der Zerstörung und Eingrabung mehr als nur eine profane Handlung zu sehen ist. Offenbar kam diesen wichtigen Produktionsgeräten auch ein symbolischer Wert zu.

Auf jeden Fall sind die Mahlmulden höchst anschauliche Zeugnisse der Besiedlung und Bewohnung einer Landschaft. Der Volksglauben des Mittelalters und der Neuzeit sah in den merkwürdigen Steinen gelegentlich "Teufels – " oder "Riesenfußabdrücke" oder gar "Opfersteine". Nicht selten fanden Reibmulden in Kirchen, eingemauert als Weihwasserbecken oder unter den Regenabläufen als Ableitsteine, eine nützliche Zweitverwendung. Zum Glück wurde aber das Polkvitzer Fundstück vor einem Schicksal als profaner Blumenkübel in einem Vorgarten bewahrt. Bleibt zu hoffen, dass es als anschauliches Denkmal der Wirtschaftsgeschichte eines Tages im Lapidarium (Lat. für Sammlung von Steinwerken) des zukünftigen Archäologischen Landesmuseums Mecklenburg-Vorpommern zu bewundern sein wird.

Dr. C. Michael Schirren

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