Keine Ente! Ein Depot mit Askos-Gefäß aus der Tollense bei Klempenow

Fund des Monats Dezember 2016

Das Gefäßdepot aus der Tollense bei Klempenow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte nach seiner Restaurierung.Details anzeigen
Das Gefäßdepot aus der Tollense bei Klempenow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte nach seiner Restaurierung.

Das Gefäßdepot aus der Tollense bei Klempenow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte nach seiner Restaurierung.

Das Gefäßdepot aus der Tollense bei Klempenow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte nach seiner Restaurierung.

Ehrenamtliche Bodendenkmalpflege widmet sich in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur den archäologischen Spuren auf dem trockenen Land. Auch die Ostsee, Binnenseen und Flüsse sind ein wichtiges Tätigkeitsfeld. Bei Tauchprospektionen werden z.B. Flüsse wie die Tollense regelmäßig durch ehrenamtliche Taucher kontrolliert, denn die Dynamik des Wassers legt stetig Funde und Befunde frei. Da das Tollensetal wegen seiner besonderen Bedeutung als Ort einer bronzezeitlichen Schlacht seit längerem im Fokus der Landesarchäologie steht, finden dort besonders viele Tauchgänge statt. Der Bodendenkmalpfleger Ronald Borgwardt barg im Juli 2015 bei einem dieser Einsätze in der Gemarkung Klempenow zunächst eine vollständige jungsteinzeitliche Amphore von 32 cm Höhe (Abb. 1 oben). Dabei fiel ihm auf, dass unmittelbar daneben ein weiteres großes, aber zerscherbtes Gefäß lag. Zu dessen Sicherung zog er den Grabungstechniker des Landesamtes, Jens Ulrich, hinzu. War bei der Bergung bereits zu erahnen, dass hier eine sehr merkwürdige Gefäßform aus dem Wasser geholt wurde, so bestätigte sich der Eindruck endgültig bei Zusammensetzung der Scherben (Abb. 1 unten)1.

Einem ovalen-gewölbten Gefäßkörper mit drei randlichen Bandhenkeln sitzt asymmetrisch eine langhalsige Öffnung auf (Abb. 2). Die Verzierung aus feinen, zu Dreiecken angeordneten U-Stempeln und horizontalen Strichzonen im Wechsel bedeckt nur die "Oberseite" des Gefäßes. Den Abschluss des Musterteppichs gegenüber der Öffnung bilden senkrechte Striche. Die Höhe des Gefäßes beträgt 17,5 cm, der Randdurchmesser 10,5 cm, die maximale Breite 30 cm und die Länge 36,5 cm (Abb. 3-4).

Doch was haben die Taucher da nun eigentlich aus dem Wasser geholt? Zunächst assoziiert der unvoreingenommene Betrachter die Form des verzierten Gefäßes vielleicht mit einer sogenannten "Ente", wie sie in der Krankenpflege bekannt ist. Oder er sieht allgemein eine tierartige, vogelförmige Grundform ohne Kopf und mit den drei Henkeln als Flügel und Schwanz. Tatsächlich aber vereint dieses merkwürdige Objekt beim näheren Hinsehen mehrere Merkmale einer sogenannten "Kugelamphore" der Jungsteinzeit, dies allerdings in einer bemerkenswert atypischen und deshalb verwirrenden Art und Weise.

Kugelamphoren sind hierzulange ganz überwiegend als Grabbeigaben aus Großsteingräbern bekannt (Nagel 1985). Sie haben einen kugelförmigen Bauch und meist keine Standfläche, sondern eher einen konvexen Rundboden. Auf dem rundlich-ovalen Bauch sitzt ein konisch einziehender steiler Hals mit Rand. Einige Gefäße sind ansatzweise auch schon mal etwas asymmetrisch gestaltet, nie jedoch in der Art und Weise des Klempenower Fundes. Die teppichartigen Muster bedecken nur bestimmte Flächen: horizontale Felder aus Dreiecken und Rhomben den Hals und vertikale fransenartige Zonen die Schulter. An den meist zwei gegenständigen Henkelösen – in der Regel im Hals-Schulter-Knick angebracht – konnte man diese Gefäße aufhängen. Haben wir es also bei dem Klempenower Fund mit einer "verwachsenen", "missglückten" oder "degenerierten" Kugelamphore zu tun?

Trotz aller Abweichungen von der Norm erscheint das Gefäß aus der Tollense ausgesprochen schlüssig hinsichtlich Verzierung, Form und Funktionalität. Da aber hinter der Gestaltung eines Objektes die Hand, die Erfahrung, die Kreativität und der Wille der herstellenden Persönlichkeit stehen, müssen wir den kulturellen Kontext des Fundes hinterfragen.

Mit der Kugelamphorenkultur wird im norddeutschen Raum ein kulturelles Phänomen der Zeit zwischen 3100 und 2700 v. Chr., also der Jungsteinzeit, erfasst, dessen Bild sich in den letzten Jahren durch intensive Erforschung stetig wandelte (zuletzt ausführlich: Woidich 2014). Wohl durch Einwanderung aus den Entstehungsgebieten im heutigen Zentralpolen (Wiślański 1966) entwickelte sich zwischen Ostsee und Böhmen in einem komplexen kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenspiel eine Vielzahl von (archäologisch definierten) Kultur-Gruppen. Sie haben bestimmte kultische Handlungen (u.a. Rinderdeponierungen), Verzierungen auf Gefäßen, Gefäßtypen und Steinäxte (Nackenkammäxte) gemeinsam. Dazu verbindet sie vermutlich auch Ackerbau und nomadische Viehzucht. Für den mecklenburgisch-vorpommerschen Raum allerdings spricht E. Nagel (1985) einschränkend nur von "Erscheinungen der Kugelamphorenkultur". Denn hier sind überwiegend (Nach-)Bestattungen in Großsteingräbern, kaum Einzelgräber, vereinzelte Äxte und allenfalls gelegentlich Gefäßfragmente in Siedlungen der zeitgleichen Trichterbecherkultur bekannt. An diesem diffusen Bild haben auch die vielen Großgrabungen der letzten Jahre in Mecklenburg-Vorpommern wenig geändert, denn neue aussagekräftige Funde und Befunde der Kugelamphorenkultur wurden fast gar nicht entdeckt.

Im Fall der Gefäße aus der Tollense ist am ehesten an ein Fluss- oder Mooropfer zu denken, denn die Gefäße standen deutlich unterhalb der Wasseroberfläche im Flussgrund. Auch wenn sich der Fluss seit dem Neolithikum in seinem Verlauf, seinem Wasserstand und sedimentologisch stetig änderte, dürfte bereits die ursprüngliche Deponierung der Gefäße in nassem Milieu stattgefunden haben. Wegen der unmittelbaren räumlichen Nähe beider Gefäße darf man wohl auch von einer zeitgleichen Deponierung ausgehen. Das Opfern von Gefäßen (samt Inhalt) in Gewässern oder Mooren war in der Trichterbecherkultur unseres Raumes seit ihrer Herausbildungsphase in der 1. Hälfte des 4. Jahrtausends bekannt und wurde über mehr als 800 Jahre praktiziert. Bekannt ist der Moorfund von Gingst/Rügen mit einer Vielzahl keramischer Formen. Für die Kugelamphorenkultur steht der Flußfund aus der Tollense jedoch – nicht nur hierzulande – einzigartig da. Gefäßdeponierungen der Kugelamphorenkultur kannte man in ihrem Verbreitungsgebiet bisher lediglich an großen Steinen.

In diesem Zusammenhang ist dann auch das zweite Gefäß unseres Fundes aus der Tollense besonders aufschlussreich, stellt doch dieses dreihenkelige Zylinderhalsgefäß durchaus eine bekannte Form dar. Es handelt sich, geht man nach Größe, Volumen und Wandungsstärke, um typische Siedlungskeramik, also ein Koch- oder Speichergefäß. In kleineren Varianten wurde die Form u.a. schon in den Großsteingräbern von Liepen oder Forst Tarnow gefunden (Schuldt 1972, Abb. 28 a und 59 f.). Die kleinen Gefäße gibt es aus Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie aus Brandenburg (Kirsch 1993) in einer verzierten Variante. Von E. Schuldt (1972) auch als Hängegefäße bezeichnet, tragen sie Muster, wie man sie mit der Kugelamphorenkultur verbindet.

Das "entenförmige" Gefäß aus der Tollense entspricht annähernd einer Form, die in der archäologischen Forschung auch als Askos (altgriechisch: Schlauch oder Tasche; Plural: Askoi) bekannt ist. Die merkwürdige Form geht vermutlich auf organische Vorbilder wie Ledergefäße aus Schafs- oder Ziegenbälgen zurück, die mit einer Öffnung aus Holz oder Horn versehen waren. Vor allem in der Bronze- und Eisenzeit des Mittelmeerraumes sind Askoi als Krugform mit einem Henkel verbreitet. Doch reichen die Anfänge der Herstellung solcher Gefäße im balkanischen Frühneolithikum bis in die Zeit von 6000 v. Chr. zurück. Vornehmlich sind sie dort im Zusammenhang mit Herd- und Haustempeln beobachtet worden und wurden wahrscheinlich bei kultischen Handlungen zur Darbringung von Trankopfern benutzt (z.B. Kovacs 2014, 201 Fig. 11 und 215 ff.). Gelegentlich wurden derartige Gefäße auch schon im nördlichen Mitteleuropa (Abb. 5) gefunden, so ein tiergestaltiger, mit vier Füssen und Hängeösen versehener Askos der Stichbandkeramik (4900-4500 v. Chr.) aus dem polnischen Dobre/Woj. Wrocławskie (Kulczycka-Leciejewiczowa 1979, 97 Abb. 36, 2) oder zwei Askoi aus Großjena, Kr. Weißenfels und Braunsdorf, Kr. Merseburg (Gandert u. Behrens 1953). Das vogelförmige Gefäß aus Großjena wurde der Salzmünder Gruppe (ca. 3400-4100 v. Chr.) und das als Askos mit Bandhenkel auf dem Rücken rekonstruierbare Fragment aus Braunsdorf der Baalberger Kultur (4200-3100 v. Chr.) zugeordnet. Gandert u. Behrens ( 1953, 47 ff.) gingen von der Umsetzung fremden Gedankenguts und nicht von direktem Import vom Balkan aus. Auf jeden Fall war der/die TöpferIn des "Askos" aus Klempenow mit dem Formen- und Musterkanon der Kugelamphorenkultur sehr vertraut. Die Verzierung des Gefäßes entspricht der von J. Müller (2001) mittels Seriation und Korrespondenzanalyse ermittelten Inventargruppe A. Sie ist gekennzeichnet durch Bogen- bzw. Winkelstich und deren Anordnung zu dreieckigen Motiven. Detaillierte Untersuchungen von M. Woidich (2014, 170 Abb. 56 sowie 173 Abb. 58) lassen einen Akkulturationsvorgang annehmen, wobei es in der Frühphase der Ausbreitung der Kugelamphorenkultur (zwischen 3100 und 2900 cal BC) im nördlichen Brandenburg und dem Mittelelbe-Saale-Gebiet zu einer besonderen Entwicklung kommt. Technik und Musterkombination der Verzierung auf Gefäßen stehen für die kulturelle Wirkung der Kugelamphoren auf die Elb-Havel-Kultur, in der einige Elemente aufgegriffen und weitergeführt wurden2.

Das Askos- Gefäß aus Klempenow ist zu spezifisch und entwickelt, als dass man eine spontane Eigenschöpfung im norddeutschen Raum annehmen möchte. Und da wir weder aus der Kugelamphorenkultur selbst noch aus den benachbarten zeitgleichen Kontaktkulturen des Neolithikums bisher direkt vergleichbare Gefäße kennen, kann die Idee hierfür durchaus aus größerer Entfernung gekommen sein. Vermutlich erreichte sie den Norden aus dem südosteuropäischen/balkanischen Raum, in dem die Verwendung und Herstellung von Askoi lange Traditionen hatte. Fernkontakte im Neolithikum sind vielfach nachweisbar und Distanzen von mehr als 1000 Kilometern im Falle besonderer Importe (Kupfer, Spondylus-Schmuck, Beile aus Jadeit, Großgeräte aus Hornblendeschiefer u.ä.) bekannt. Und so findet sehr wahrscheinlich das Auftreten solcher eigentlich untypischer Artefakte im norddeutschen Raum seine Erklärung in der besonderen Mobilität und den interkulturellen Netzwerken nomadischer Viehzüchter zur Zeit der Kugelamphorenkultur. Wie dieser Transfer im Einzelnen aussah, ob sogar ein "Kugelamphorenkeramiker" die Idee mitbrachte oder was die Gründe für die Deponierung im Fluss gewesen sind, darüber schweigen die uns zur Verfügung stehenden archäologischen Quellen aber leider noch.

Dr. C. Michael Schirren, LAKD

Literatur

Otto Friedrich Gandert und Hermann Behrens, Zwei Askoi aus Mitteldeutschland und ihre Bedeutung für die Datierung der sog. Nordischen Kulturen der Jungsteinzeit. Jahresschrift mitteldeutsche Vorgeschichte 36, 1953, 41-52.

Eberhard Kirsch, Funde des Mittelneolithikums im Land Brandenburg. Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg 1 (Potsdam 1993)

Adela Kovacs, About Ritual Pots from European Neolithic and Copper Age Sanctuaries. In: J. Marler (Ed.) Fifty Years of Tartaria Excavations. Festschrift in Honor of Gheorge Lazarovici. (Succava 2014), 196-227.

Anna Kulczycka-Leciejewiczowa, Pierwsze Społeczeństwa Rolnicze na Ziemaich Polskich. Kultury Kręgu Naddunajskiego. In: M. Godłowska u.a. (Ed.), Neolit. Prahistoria ziem Polskich II (Wrocław, Warszawa, Kraków, Gdańsk 1979), 19-164.

Johannes Müller, Soziokulturelle Studien zum Jung- und Spätneolithikum im Mittel-Elbe-Saale-Gebiet (4100-2700 v. Chr.) eine soziahistorische Interpretation prähistorischer Quellen. Vorgeschichte Forschungen (Rhaden/Westf. 2001)

Erika Nagel, Die Erscheinungen der Kugelamphorenkultur im Norden der DDR. Beitr. Ur.- u. Frühgesch. Bez. Rostock, Schwerin und Neubrandenburg 18 (Schwerin 1985)

Ewald Schuldt, Steinzeitliche Keramik aus Mecklenburg (Schwerin 1972)

Tadeusz Wiślański, Kultura amfor kulistych w Polsce północno-zachodniej. Polskie badania Archaeologiczne 13 (Wrocław-Warsżawa-Kraków 1966)

Manfred Woidich, Die Westgruppe der Kugelamphorenkultur. Untersuchungen zu ihrer raumzeitlichen Differenzierung, kulturellen und anthropologischen Identität. Topoi Berlin Studies of the Ancient World 24 (Berlin /Boston 2014)

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