Von Rom bis Riga: Wallfahrten Wismarer Bürger im 13. Jahrhundert

Fund des Monats August 2018

Abb. 1: Wismar, Lkr. Nordwestmecklenburg. Pilgerzeichen mit Schiffsdarstellung, möglicherweise aus Canterbury.Details anzeigen
Abb. 1: Wismar, Lkr. Nordwestmecklenburg. Pilgerzeichen mit Schiffsdarstellung, möglicherweise aus Canterbury.

Abb. 1: Wismar, Lkr. Nord­west­meck­lenburg. Pilger­zeichen mit Schiffs­darstel­lung, mög­licher­weise aus Canterbury.

Abb. 1: Wismar, Lkr. Nord­west­meck­lenburg. Pilger­zeichen mit Schiffs­darstel­lung, mög­licher­weise aus Canterbury.

Als Beleg einer erfolgreichen Reise und als Ausdruck der Frömmigkeit wurden Pilgerzeichen von Wallfahrern an Kleidungsstücken oder Taschen getragen. Sie zeigen das Bild eines Heiligen und/oder dessen Attribute, eine Szene der Wunderlegende oder Reliquien, die am entsprechenden Wallfahrtsort verehrt wurden.

Während der Ausgrabung auf den Grundstücken Mecklenburger Straße 11a/b in Wismar (Lkr. Nordwestmecklenburg) kamen 2017 insgesamt zehn Pilgerzeichen aus der Zeit um 1250 bis zum Ende des 13. Jahrhunderts zu Tage. Dabei handelt es sich um den bislang umfangreichsten Komplex von Wallfahrtsdevotionalien aus der Zeit vor 1300, der in der Wismarer Altstadt geborgen wurde.

Aus Erhöhungsschichten, die zwischen den 1260er und 1280/90er Jahren abgelagert wurden, stammt eine detailreiche Schiffsdarstellung mit Rahsegel und Heckruder, die eine Person am Ruder und eine Person mit Bischofsstab neben dem Mast zeigt (Abb. 1). Möglicherweise handelt es sich um die Szene der Rückkehr des Thomas Becket aus dem Exil und würde damit auf Canterbury (England) als Pilgerort verweisen.

Pilgerzeichen mit Schiffsdarstellungen, die ebenfalls Canterbury als Wallfahrtsort zugeschrieben werden, waren bislang nur aus jüngeren Ablagerungsperioden des 14. und 15. Jahrhunderts bekannt und verfügen über Bug- und Achterkastell1, die auf dem Wismarer Fundstück fehlen. Augenscheinlich nahmen die Modelhersteller der Pilgerzeichen schiffbauliche Entwicklungen auf und orientierten sich an zeittypischen Schiffsformen und deren Merkmalen.

Am häufigsten sind mit vier Exemplaren die Kreuzigungszeichen vertreten. Während die Herkunft von drei Kruzifixen (Abb. 2 links) derzeit unbekannt ist, kann eines (Abb. 2 rechts) Stromberg als Pilgerort zugeschrieben werden2. Ein Flachguss zeigt einen Heiligen mit Buch und Schlüssel (Abb. 3). Das Pilgerzeichen weist damit die Attribute des heiligen Petrus auf und dürfte aus Rom stammen. Ein hochrechteckiges Exemplar mit Turmarchitektur (Abb. 4) stellt das Martyrium der heiligen Ursula dar und verweist auf Köln als Wallfahrtsort. Zwei kleine Pilgermuscheln (Abb. 5) sind der Form der Kammmuschel der Art Pecten Maximus, auch als Jakobsmuschel bekannt, nachempfunden. Wahrscheinlich verweisen die kleinen Nachbildungen ebenso wie die Originale auf einen der bekanntesten abendländischen Wallfahrtsorte, Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens. Das Fragment einer kleinen Pilgerampulle (Abb. 6) unbekannter Herkunft zeigt auf einer Seite eine sternförmige Verzierung, während die andere mit einem floralen Motiv versehen ist.

Selten ist der Fund eines spitzovalen Marienpilgerzeichens (Abb. 7), das in einer um 1250 abgelagerten Grabenverfüllung aufgefunden wurde. Der Flachguss zeigt neben der thronenden Maria mit dem Jesuskind auf ihrem Schoß die spiegelverkehrte Umschrift „SIGNVM S MARIE IN LIVONIA REMISSIONIS PECCATORVM“. Für dieses Pilgerzeichen sind bisher nur drei Vergleiche bekannt. Zwei eventuell modelgleiche Exemplare stammen aus Lübeck3 und Lödöse in der Provinz Västra Götalands län/Schweden4. Ein vergleichbares Stück, jedoch mit seitenrichtig ausgeführter Umschrift, wurde während unterwasserarchäologischer Untersuchungen im Wismarer Hafen geborgen5.

Die Marienpilgerzeichen beziehen sich nach Ausweis der Umschrift auf eine Herkunft aus Livland. Mit der Christianisierung des Baltikums ab Ende des 12. Jahrhunderts wurde ganz Livland der Mutter Gottes geweiht. In der Literatur wird Riga als wahrscheinlicher Pilgerort zur Diskussion gestellt6, das seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts Bischofssitz mit einem der heiligen Maria geweihten Dom war.

Testamentarisch belegt finden sich mehrere Wismarer Bürger, die im 13. Jahrhundert an einer Livlandreise teilnahmen. Die früheste Überlieferung stammt aus der Zeit kurz nach 1261, weitere Reisen werden in Testamenten um 1271, um 1272 und ab dem Ende der 1270er Jahre bis in die Mitte der 1280er Jahre erwähnt7.

So unscheinbar sie oft sind – Grabenverfüllungen, Nutzungshorizonte und Erhöhungsschichten (Abb. 8) haben sich damit einmal mehr als stadtgeschichtliche Quelle ersten Ranges erwiesen.

Peter Kaute


1 Datenbank: http//www.kunera.nl; Objektnummern 02965 und 02967.

2Jörg Ansorge, Mittelalterliche Pilgerzeichen aus Wismar. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 56, 2008. Schwerin 2009, 213-257

3 Jürgen Wittstock, Pilgerzeichen in Lübeck – alte und neue Funde. In: Lübecker Schriften zur Archäologie und Kunstgeschichte, Band 8, 1984, 15-21.

4 Monica Rydbeck, S. Maria in Livonia remissionis peccatorum. In: Nordisk medeltid, Stockholm Studies in History of Art 13. Uppsala 1967, 147-150.

5 Ostsee-Zeitung 15.11. 2017, 6.

6 Jürgen Wittstock, Pilgerzeichen in Lübeck – alte und neue Funde. In: Lübecker Schriften zur Archäologie und Kunstgeschichte, Band 8, 1984, 15-21.

7Maja Gassowska, Der Anteil der Bürger aus den norddeutschen Städten an den Pilgerreisen nach Riga im 13. Jahrhundert. In: Wallfahrten in der europäischen Kultur – Pilgrimage in European Culture. Europäische Wallfahrtsstudien 1. Frankfurt am Main 2006, 147-166.

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