Ungleiche Zwillinge: Die Doppelburg in der Eldeschleife bei Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte

Fund des Monats April 2022

Abb. 1: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Elde vor der Begradigung. Der im Text erwähnte sandige Geländesporn befindet sich im Zentrum des Bildes. Als rote Linie ist die heutige Gemarkungsgrenze dargestellt. Abbildung: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:25.000, Blatt 2741 (Wredenhagen); Details anzeigen
Abb. 1: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Elde vor der Begradigung. Der im Text erwähnte sandige Geländesporn befindet sich im Zentrum des Bildes. Als rote Linie ist die heutige Gemarkungsgrenze dargestellt. Abbildung: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:25.000, Blatt 2741 (Wredenhagen);

Abb. 1: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Elde vor der Begradigung. Der im Text erwähnte sandige Geländesporn befindet sich im Zentrum des Bildes. Als rote Linie ist die heutige Gemarkungsgrenze dargestellt. Abbildung: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:25.000, Blatt 2741 (Wredenhagen);

Abb. 1: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Elde vor der Begradigung. Der im Text erwähnte sandige Geländesporn befindet sich im Zentrum des Bildes. Als rote Linie ist die heutige Gemarkungsgrenze dargestellt. Abbildung: Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1:25.000, Blatt 2741 (Wredenhagen);

Die Elde ist der längste Fluss Mecklenburg-Vorpommerns. Rund 280 km legt sie von der Quelle bei Darze, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, bis zur Mündung in die Elbe bei Dömitz, Lkr. Ludwigslust-Parchim, zurück. Ursprünglich war sie noch viel länger, wie ein Blick auf historische Karten zeigt: Im Oberlauf reihte sich Mäander an Mäander. In der Gemarkung Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, schlängelte sich die Elde so um einen flachen, sandigen Geländesporn herum (Abb. 1).

In der Wiebekingschen Karte (um 1786) ist an dieser Stelle der Flurname "Borg Wall" eingetragen (Abb. 2). Der Grund für diese Namensgebung ist offensichtlich: Am östlichen Ende des Sporns liegen zwei Ringwälle, die trotz einiger Blessuren, die sie im Lauf der Jahrhunderte erlitten haben, auch heute noch klar erkennbar sind (Abb. 3). Der größere der beiden hat einen äußeren Durchmesser von etwa 90 Metern, der kleinere von etwa 50 Metern. Der Abstand zwischen beiden beträgt gerade einmal 30 Meter.

Abb. 2: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Ausschnitt aus der Wiebekingschen Karte (um 1786) mit der Eintragung „Borg Wall“ oberhalb einer kreisrunden Fläche, die sicher für einen der beiden slawischen Burgwälle steht. Auch die nordwestlich gelegenen „Burg Wiesen“ sind wohl in Anlehnung an die slawischen Burgwälle so benannt worden.Details anzeigen
Abb. 2: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Ausschnitt aus der Wiebekingschen Karte (um 1786) mit der Eintragung „Borg Wall“ oberhalb einer kreisrunden Fläche, die sicher für einen der beiden slawischen Burgwälle steht. Auch die nordwestlich gelegenen „Burg Wiesen“ sind wohl in Anlehnung an die slawischen Burgwälle so benannt worden.

Abb. 2: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Ausschnitt aus der Wiebekingschen Karte (um 1786) mit der Eintragung „Borg Wall“ oberhalb einer kreisrunden Fläche, die sicher für einen der beiden slawischen Burgwälle steht. Auch die nordwestlich gelegenen „Burg Wiesen“ sind wohl in Anlehnung an die slawischen Burgwälle so benannt worden.

Abb. 2: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Ausschnitt aus der Wiebekingschen Karte (um 1786) mit der Eintragung „Borg Wall“ oberhalb einer kreisrunden Fläche, die sicher für einen der beiden slawischen Burgwälle steht. Auch die nordwestlich gelegenen „Burg Wiesen“ sind wohl in Anlehnung an die slawischen Burgwälle so benannt worden.

Eine derartige Doppelung ist ziemlich selten, und so stellt sich natürlich die Frage, in welchem zeitlichen Verhältnis die beiden Wallanlagen zueinander stehen. Das an der Oberfläche des größeren Walles (Fundplatz 1) aufgelesene Fundmaterial besteht größtenteils aus Scherben von Keramikgefäßen der slawischen Typen Feldberg, Menkendorf und Woldegk, die in das 9. und 10. Jahrhundert zu datieren sind. Ein Wetzstein, einige zerschlagene Tierknochen und eine eiserne Trense mögen ebenfalls aus dieser Zeit stammen, jedenfalls liefern sie keine Anhaltspunkte für abweichende Datierungen. Auf dem kleineren Wall (Fundplatz 26) wurden erheblich weniger Oberflächenfunde entdeckt, aber auch hier sind einige Scherben von Gefäßen des Menkendorfer Typs dabei. So scheinen die Burgwälle also zumindest in mittelslawischer Zeit tatsächlich parallel genutzt worden zu sein.

Das Phänomen der eng benachbarten oder "Doppelburgen" ist in Mitteleuropa seit der Bronzezeit zu beobachten und lässt sich bis ins Mittelalter verfolgen. Dabei sollen hier unter dem Begriff "Doppelburg" nur Paare von Burgen verstanden werden, keine miteinander verbundenen oder in Haupt- und Vorburg gegliederten Anlagen. So verschieden die Ausprägungen des Phänomens "Doppelburg" dennoch sein können, so vielfältig sind auch die Erklärungsmodelle (Gringmuth-Dallmer 2017). Eine eindeutige Erklärung ist in den wenigsten Fällen möglich, erst recht, wenn Schriftquellen fehlen wie in unserem Fall.

Abb. 3: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im digitalen Geländemodell zeichnen sich die beiden annähernd kreisrunden Burgwälle deutlich ab. Die rote Linie markiert die Gemarkungsgrenze, die auch heute noch dem Eldelauf vor der Begradigung folgt. Östlich der Elde sind die Wölbäcker einer wüst gefallenen Ackerflur zu erkennen.Details anzeigen
Abb. 3: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im digitalen Geländemodell zeichnen sich die beiden annähernd kreisrunden Burgwälle deutlich ab. Die rote Linie markiert die Gemarkungsgrenze, die auch heute noch dem Eldelauf vor der Begradigung folgt. Östlich der Elde sind die Wölbäcker einer wüst gefallenen Ackerflur zu erkennen.

Abb. 3: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im digitalen Geländemodell zeichnen sich die beiden annähernd kreisrunden Burgwälle deutlich ab. Die rote Linie markiert die Gemarkungsgrenze, die auch heute noch dem Eldelauf vor der Begradigung folgt. Östlich der Elde sind die Wölbäcker einer wüst gefallenen Ackerflur zu erkennen.

Abb. 3: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im digitalen Geländemodell zeichnen sich die beiden annähernd kreisrunden Burgwälle deutlich ab. Die rote Linie markiert die Gemarkungsgrenze, die auch heute noch dem Eldelauf vor der Begradigung folgt. Östlich der Elde sind die Wölbäcker einer wüst gefallenen Ackerflur zu erkennen.

Auch die beiden ebenfalls in mittelslawischer Zeit parallel existierenden Burgwälle bei Hohenbüssow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, liefern keine spezielleren Erklärungsansätze. Das Muster ist allerdings dem der Kiever Burgwälle ziemlich ähnlich: Ein größerer und ein kleiner Burgwall liegen unmittelbar – in einem Abstand von 50 Metern – nebeneinander auf einem von Gewässern umgebenen Geländevorsprung, hier jedoch durch einen tiefen Einschnitt voneinander getrennt.

Das Verhältnis der unmittelbar benachbarten Burgen bleibt also spekulativ. Die ungleichen Zwillinge könnten zum Beispiel als eine Sonderform des mittelslawischen Burgenbaus verstanden werden, bei der der kleinere Burgwall als Haupt-, der größere Burgwall als Vorburg diente. Dagegen spricht, dass es im Vorfeld der Kiever Burgwälle deutliche Hinweise auf eine unbefestigte Vorburgsiedlung gibt. In das Reich der Spekulation gehört auch die Vermutung, der kleinere Burgwall habe vielleicht ein Heiligtum geschützt. Das für diese Deutung immer wieder gerne bemühte Beispiel des Burgwalls von Groß Raden, Lkr. Ludwigslust-Parchim, hält einer kritischen Prüfung nicht stand. Zum einen ist die These von der Ablösung des zur Siedlung gehörenden "Tempels" durch ein Götterstandbild im eigens zu diesem Zweck errichteten Burgwall nicht haltbar, da Tempel und Burg einige Zeit parallel existierten (Wietrzichowski 2011). Zum anderen ist die Deutung einer gewaltigen Grube in der Innenfläche des Groß Radener Burgwalls als Pfostengrube, in der der Fuß eines Götterbildes steckte, keineswegs zwingend.

Auch die Deutung der ungleichen Kiever Zwillingsburgen als Sitze verfeindeter Herrscher überzeugt nicht. Sie erscheint schon aus ganz praktischen Gründen unwahrscheinlich, hätte doch ein Bautrupp in unmittelbarer Nähe einer schon existierenden oder im Bau befindlichen Burg kaum ungestört ein konkurrierendes Bauwerk aufführen könnten. Die Koexistenz muss also zumindest geduldet worden sein.

Interessanterweise scheint der kleinere Kiever Burgwall seinen größeren Zwillingsbruder eine ganze Weile überlebt zu haben. Auf dem größeren Burgwall und in der Vorburgsiedlung wurde keine jüngere Keramik als solche des Menkendorfer Typs gefunden. Dagegen stammt von dem kleineren Burgwall, trotz insgesamt deutlich geringerer Fundmenge, auch Keramik spätslawischer Machart. Erst jüngst kam mit einem Silberbrakteaten Otto II. von Brandenburg, dessen Herrschaftszeit die Jahre 1184-1205 umfasst, ein weiterer Anhaltspunkt für eine Nutzung des kleineren Burgwalles bis in das späte 12. oder sogar das beginnende 13. Jahrhundert hinzu.

Ob diese fortdauernde Nutzung in irgendeinem Zusammenhang mit der wahrscheinlich mittelalterlichen Ackerflur steht, die sich auf der anderen, östlichen Seite der Elde in Form gut erhaltener Wölbäcker zu erkennen gibt (Abb. 3), ist unklar. Der Flurname "Morins-Holz" für das Waldstück, in dem die Wölbäcker liegen, scheint auf die Familie von Morin (oder Marin) zurückzugehen, die im Mittelalter in Ludorf bei Röbel und in Marihn bei Penzlin ansässig war und im 16. Jahrhundert auch in Melz erwähnt wird, zu dessen Gemarkung die Wölbäcker gehören. Dass die Morins auch den slawischen Burgwall auf der Kiever Seite der Elde in Besitz genommen haben könnten, ist aber bislang durch nichts belegt.

Abb. 4: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Der sandige Geländesporn mit den beiden Burgwällen an der Spitze hebt sich durch seine Trockenrasenvegetation von den umgebenden Niederungen ab.Details anzeigen
Abb. 4: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Der sandige Geländesporn mit den beiden Burgwällen an der Spitze hebt sich durch seine Trockenrasenvegetation von den umgebenden Niederungen ab.

Abb. 4: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Der sandige Geländesporn mit den beiden Burgwällen an der Spitze hebt sich durch seine Trockenrasenvegetation von den umgebenden Niederungen ab.

Abb. 4: Kieve, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Der sandige Geländesporn mit den beiden Burgwällen an der Spitze hebt sich durch seine Trockenrasenvegetation von den umgebenden Niederungen ab.

Seit ihrer Begradigung 1960 mäandriert die Elde nicht mehr um die Kiever Burgwälle herum, sondern strömt zügig an ihnen vorbei. Aber immerhin kehren die umgebenden Niederungen durch die 2012 erfolgte Wiedervernässung allmählich in einen naturnahen Zustand zurück. Die Wunden, die vor allem dem größeren Burgwall 1973 zugefügt wurden, als er in Ackerland verwandelt werden sollte, werden gnädig von einer Trockenrasenvegetation verdeckt, die sich auf dem gesamten Ostteil des Geländesporns ausgebreitet hat (Abb. 4). Seit der Flurneuordnung Anfang der 2000er Jahre sind die Burgwälle Eigentum der Gemeinde. Wenn die friedliche Stille des Geländes gelegentlich gestört wird, dann hauptsächlich durch rastende Kraniche und einige Ortskundige, die dort nach dem Rechten sehen.

Dr. Detlef Jantzen

Literatur:

Gringmuth-Dallmer 2017: Eike Gringmuth-Dallmer, Benachbarte Burgen – Doppelburgen? In: Enge Nachbarn. Doppel- und Mehrfachburgen in der Bronzezeit und im Mittelalter, mittelalterliche Doppelstädte. Berlin Studies of the Ancient World 47, Berlin 2017, 165-183.

Wietrzichowski 2011: Frank Wietrzichowski, Groß Raden, Lkr. Parchim, Fpl. 1. – Bodendenkmalpflege
in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 59, 2011, 392–393.

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