Lebensbaum statt Tierstil? Ein bronzenes Ortband aus Gramzow, Lkr. Vorpommern-Greifswald

Fund des Monats Februar 2018

Abb. 1: Gramzow, Lkr. Vorpommern Greifswald, Fpl. 13. Vorderseite des Ortbandes.Details anzeigen
Abb. 1: Gramzow, Lkr. Vorpommern Greifswald, Fpl. 13. Vorderseite des Ortbandes.

Abb. 1: Gramzow, Lkr. Vorpommern Greifswald, Fpl. 13. Vorderseite des Ortbandes.

Abb. 1: Gramzow, Lkr. Vorpommern Greifswald, Fpl. 13. Vorderseite des Ortbandes.

Im Bereich der spätslawischen Siedlung Gramzow, Fpl. 13, Lkr. Vorpommern-Greifswald, hat der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger K. Rausch (Wusterhusen) seit Jahren bei zahlreichen Begehungen wichtige Funde geborgen und deren genaue Lage per GPS dokumentiert (M. Baranski 2010). Zu den jüngsten Entdeckungen gehört ein verziertes, bronzenes Ortband (ALM 2016/1025,3), also der Abschluss einer Schwertscheide (Abb. 1 und 2). Die U-förmige Grundform (L. 5,8 cm, max. Breite der Schenkel 4 cm, Dicke 1 cm) zeigt ein geschlossenes, verziertes Mittelteil, das in ein schlangenkopfähnliches Ende ausläuft. Die randlichen Schenkel reichen weit über die Bekrönung der Mittelzone hinaus und enden in jeweils einem etwas ausgestellten Nietloch auf der Vorder- und der Rückseite. An der Seite des abgebrochenen Randschenkels sind Verformungen erkennbar, ein Riss und blasige Oberflächen, die darauf hindeuten, dass das Stück zeitweise hohen Temperaturen ausgesetzt war; Ursache könnte ein Schadfeuer in der Siedlung oder der Versuch, das Stück als Altmetall einzuschmelzen, gewesen sein.

Die Verzierung umfasst, bis auf eine umlaufende, schmale Zone, die gesamte Oberfläche und beide Seiten des Ortbandes. Sie ist in Art eines Flachreliefs in die ebene Oberfläche eingetieft, die Übergänge der tiefen zu den erhabenen Zonen weisen scharfe Grate auf (Hinweis auf Schnitttechnik?). Schon bei oberflächlicher Betrachtung erkennbar ist ein (fast) spiegelsymmetrischer Ornamentaufbau. Eine mittige, baumartige Struktur hat jeweils auf jeder Seite zwei astartige Fortsätze und endet in zwei Voluten mit einem einfachen, herausstehenden Blatt in der Mitte. Die Zwickel rechts und links dieser Struktur sind mit einem komplexen, fast unüberschaubaren Muster sich über- und unterschneidender Linien gefüllt. Das Muster findet sich in gleicher Weise auf der Vorder- wie auch der Rückseite.

Es ist ein Glücksfall, dass kürzlich A. Janowski (2007) ein quasi identisches, in Stettin bei archäologischen Grabungsarbeiten entdecktes Ortband vorstellte (Abb. 3). Er sieht in dem Stettiner Fund einen Vertreter des späten Typs VI (nach P. Paulsen 1953). Der Ablagerungszeitraum des Stettiner Fundes wird stratigraphisch in die Zeit von 1165-1175 datiert (Janowski 2007, 180). Konkret wird der Fund mit historisch überlieferten Kriegshandlungen oder Raubzügen dänischer Truppen unter der Führung von König Waldemar I. in Westpommern in Verbindung gebracht.

Sehr detailliert hat A. Janowski die Verzierung der Oberfläche des Stettiner Fundes und ähnlicher Ortbänder analysiert. Demnach ist rechts und links des zentralen „Baumes“ und unmittelbar in Verbindung mit einem der Äste jeweils ein Tier mit langem, gegabeltem Schwanz angeordnet. Dieses wird von Janowski – durchaus nachvollziehbar – als Vogel und wegen des langen Schwanzes konkret am ehesten als Pfau angesprochen. Weder auf dem Stettiner noch auf den anderen Ortbändern lassen sich aber die weiteren Verzierungen inhaltlich aufschlüsseln. Erkennbar ist allenfalls eine Art Flechtband aus drei Strängen, das teilweise in Voluten oder Blättern ausläuft. Janowski (2007, 180-182) vermutet in dem Gewirr zwar Drachen und Schlangen, doch fehlen zugehörige Köpfe und die vermeintlichen „Füße“ entsprechen vielmehr den in der romanischen Kunst geläufigen Pflanzenranken und Blattformen. Auch der Ablagerungs- und mutmaßliche Nutzungszeitraum liegt deutlich nach der Hochzeit des Urnes-Stils, des letzten skandinavischen Tierstils. Vielmehr entspricht die Darstellung dem nachfolgenden skandinavisch-romanischen Stil des 12. Jh., in dem Symmetrie und Gegenständlichkeit Oberhand gegenüber den traditionellen, ornamentalen Tierleibern gewinnen (vgl. Horn-Fuglesang 1981).

Zusammen mit dem Gramzower Stück sind inzwischen fünf Ortbänder mit annähernd identischer Verzierung bekannt, bei allerdings geringen Abweichungen in der Konstruktion (Janowski 2007, 179, Abb. 2 und 180 Abb. 4). Das Verbreitungsbild lässt ob der geringen Zahl bislang kein eindeutiges Herkunftsgebiet erkennen (Abb. 4); aber Gotland als Herstellungsort erscheint nachvollziehbar. Die symmetrische Anordnung wird nur durch die leicht unterschiedliche Höhe der Voluten im zentralen Stamm gestört: dieses Merkmal ist an vier der bekannten fünf Ortbänder erkennbar und wirft die Frage auf, ob das Ornament durch den gleichen Handwerker mehrmals kopiert oder gar formgleich hergestellt wurde. Ähnliche Ortbänder, aber deutlich abstrakter gestaltet (Typ Vb nach Janowski 2006, Abb. 14), weisen auf ein im Baltikum liegendes Produktionsgebiet hin und stellen vermutlich die Weiterentwicklung des Pflanzenmotivs dar (vgl. Janowski 2006, 39 Abb. 14).

Das zentrale Motiv des Gramzower Ortbandes erinnert an einen „Lebensbaum“ (Lateinisch: „Arbor Vitae“), der oft in Verbindung mit Vogelpaaren, bereits in vorantiker Zeit im Vorderen Orient bekannt war. Er fand später in die christliche Ikonographie Eingang und taucht sowohl in der West- als auch der Ostkirche auf. Beispielsweise bekommen Lebensbaum und Kreuzstamm Christi einen identischen Bedeutungsinhalt. Dazu ist das Motiv im gleichen Zeitraum des islamischen Kulturkreises beliebt. Auch im 12./13. Jh. wird der „Lebensbaum“ über verschiedene Objektträger, vor allem byzantinische Textilien, verbreitet; das Motiv dürfte also formal wie inhaltlich auch auf der im Fernhandel als Drehscheibe agierenden Ostseeinsel Gotland hinlänglich bekannt gewesen sein. Die vegetabilen Ranken und das Flechtwerk neben dem Lebensbaum auf den Ortbändern spiegeln Stilelemente der Romanik, wie dies z. B. zeitgleiche Zierfriese gotländischer Tauffünten in großer Fülle tun, wider.

Aber gibt es vielleicht für den Baum auch noch einen anderen Deutungsansatz? Zur Beantwortung dieser Frage muss man tief in die alten, mündlich tradierten und erst im Hochmittelalter aufgeschriebenen Inhalte skandinavischer Sagas einsteigen. Die im späten 12. Jh. geschaffenen Bildwerke an einigen Stabkirchen in skandinavisch-romanischem Stil zeigen nicht nur christliche, sondern auch noch mythologische Szenen. Eine der bekanntesten ist an der Kirche von Hyllestad (Schweden) erhalten. Hier spielt der Baum mit Vögeln als Motiv eine besondere Rolle (Margeson 1982, 463-464 Abb. 4-5). Die Saga berichtet über Sigurd, er habe mit dem Schwert den Drachen Fafnir getötet und anschließend auf Bitte des Schmieds Regin das Herz des Drachen gebraten. Als er prüfte, ob es gar ist, verbrannte er sich die Finger, steckte sie sich kurz in den Mund und konnte plötzlich die Sprache der Vögel, die in einem Baum sitzend über ihm dargestellt werden, verstehen. Sie wiederum warnten ihn vor der Hinterlist Regins und so durchbohrte er diesen mit seinem Schwert.

Unabhängig also davon, ob mit dem Motiv auf dem Gramzower Ortband nun ein christliches Symbol oder die Erinnerung an traditionelle Heldenverehrung im Sinne der Sagas gemeint ist: auf jeden Fall dürften Schwert und Scheide neben ihrer praktischen Waffenfunktion auch so etwas wie Projektionsflächen heilsbringender Bilder gewesen sein. Sie wirkten auf das Gegenüber genauso wie auf ihre Besitzer zurück. Christliche Bildsprache und Heilsversprechen einerseits und die traditionelle Mythologie andererseits waren jedenfalls in Skandinavien nachweislich lange Zeit noch nebeneinander und sich ergänzend in der Vorstellungswelt der Menschen gegenwärtig. Auch dieser Dualismus könnte sich also auf dem Gramzower Ortband widerspiegeln.

Dr. C. Michael Schirren

Literatur

Michael Baranski, Wikinger- und slawenzeitliche Funde am Fpl. 13 in Gramzow (ungedr. Bachelor-Arbeit Univ. Berlin 2009/2010).

Signe Horn-Fuglesang, Stylistic Groups in Late Viking and Early Romanesque Art. Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia Ser. 2, vol. 1 (1981), 79–125.

Andrzej Janowski, Brązowe i srebrne trzewiki pochew mieczy z X-XIII w. z terenu Polski. Uwagi o proweniencji i datowaniu. Acta Militaria Mediaevalia II, 2006, 23-50.

Andrzej Janowski, Gotlandzki trzewik pochwy miecza z przedstawieniem drzewa życia ze szczecińskiegio podzamcza. Acta Militaria Mediaevalia III, 2007, 177-186.

Sue Margeson, Saga-Geschichten auf Stabkirchenportalen. In: Claus Ahrens (Hrsg.), Frühe Holzkirchen im nördlichen Europa. Veröffentlichungen des Helms Museums 39 (Hamburg 1981), 459-480.

Peter Paulsen, Die Schwertortbänder der Wikingerzeit. Ein Beitrag zur Frühgeschichte Osteuropas. Stuttgart 1953

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