Verbogen und zerbrochen. Münzen aus der Dorfkirche von Klein Rakow, Lkr. Vorpommern-Rügen

Fund des Monats Mai 2023

Abb. 1. Klein Rakow, Dorfkirche. Foto: Cathrin Patzelt.Details anzeigen
Abb. 1. Klein Rakow, Dorfkirche. Foto: Cathrin Patzelt.

Abb. 1. Klein Rakow, Dorfkirche.

Abb. 1. Klein Rakow, Dorfkirche.

Das Dorf Klein Rakow liegt nördlich des Ibitz-Grabens zwischen Loitz und Grimmen. Es gehörte seit seiner Gründung zu Pommern und gelangte erst im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges für fast 200 Jahre unter schwedische Oberherrschaft (Schwedisch-Pommern). Die kleine Kirche (Abb. 1) befindet sich leicht erhöht etwa im Zentrum des Ortes. Es handelt sich im Kern um einen Feldsteinbau, der um 1270/80 datiert. Die Südwand des Schiffes und der westlich angebaute Turm bestehen aus Backstein und wurden im 15. Jahrhundert errichtet.

Um den verrotteten Fußboden im Innenraum des Kirchenschiffes zu sanieren, wurde im Juli und August 2022 unter Leitung von Cathrin Patzelt etwa 0,2 bis 0,4 m Erde abgetragen. Durch den unermüdlichen Einsatz der ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegerin Ursel Möhle und ihrer Kollegen Martin Pessier und Jörg Fischer wurde dabei einer der größten Fundkomplexe von verstreut liegenden Münzen und Buchverschluss-Teilen in einer Dorfkirche Mecklenburg-Vorpommerns geborgen. An Befunden kamen mehrere Fundamente, Fußbodenreste und, als Besonderheit, eine bis dahin unbekannte Gruft in Form eines Tonnengewölbes mit Gurtbändern zutage (Abb. 2). Die vermutlich aus der Renaissance stammende Gruft blieb verschlossen.

Unter den insgesamt geborgenen 293 Münzen fanden sich nur 29 Münzen aus dem späten Mittelalter. Dies könnte mit den ausschließlich oberflächennahen Erdeingriffen zusammenhängen, wodurch nur bedingt in ältere Schichten eingegriffen wurde. Neben Hohlpfennigen aus Greifswald, Stralsund, Pommern und Rostock fand sich je ein Witten aus Anklam, Wolgast und Rostock.

Das 16. Jahrhundert ist nur durch eine Münze vertreten. Es handelt sich um einen Kupferpfennig der Herrschaft Pommern-Wolgast von 1592. Auch bei anderen Ausgrabungen in Dorfkirchen konnte festgestellt werden, dass Münzen aus diesem Jahrhundert selten vorkommen.

In Bezug auf die Herkunft handelt es sich bei einem Maleygroschen aus Böhmen von 1617 um einen Exoten (Abb. 3). Eventuell hat ihn ein kaiserlicher Söldner im Zuge des Dreißigjährigen Krieges mitgebracht.

Klein Rakow gehörte lange Zeit zu Schwedisch-Pommern. Daher erstaunt es nicht, dass Münzen aus Schweden oder unter schwedischer Oberherrschaft geprägte Münzen mit dem Löwenanteil von 192 Stücken vertreten sind. In großer Zahl sind in Schwedisch-Pommern zwischen 1638 und 1806 geprägte Münzen auf uns gekommen. Häufig gibt es kupferne 3-Pfennig-Stücken der Jahrgänge 1776, 1792 und 1806. Nicht erklärbar ist, warum zehn von diesen verbogen (Abb. 4) oder sogar zerbrochen (Abb. 5) wurden. Um das zu erreichen, braucht man schon etwas Kraft. Wollte da jemand den Pastor bzw. die Kirche ärgern, indem er in den Klingelbeutel beschädigte Münzen hineinwarf, oder hatte da jemand Langeweile oder sogar Frust auf Gott und die Welt? Im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges kam auch Wismar und damit die dort tätige Münze unter schwedische Oberherrschaft. Diesem Umfeld können 12 Münzen zugeordnet werden. Unter der Oberherrschaft des schwedischen Königs Karl XI. (Reg. 1660–1697) wurde zwischen 1660 und 1665 in Riga ein Solidus (Schilling) geprägt.

Im schwedischen Kernland geprägte Münzen spielen mit drei Exemplaren nur eine untergeordnete Rolle. Bemerkenswert ist das im Jahre 1807 unter König Gustav IV. Adolf (Reg. 1792–1809) geprägte Exemplar (Abb. 6). Das ¼-Schilling-Nominal scheint prägefrisch zu sein. Exakt in diesem Jahr marschierten französische Truppen mit ihren Verbündeten in Schwedisch-Pommern ein. Es wäre vorstellbar, dass damals in der Kirche zu Klein Rakow sich den Franzosen entgegenstellendes, frisch besoldetes, schwedisches Militär kurzfristig Unterkunft genommen hatte.

Aus Dänemark ist nur eine Münze in den Boden der Kirche von Klein Rakow gelangt. Es handelt sich um ein wohl prägefrisches 2-Schilling-Stück von Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen (Reg. 1699–1730), aus dem Jahre 1716 (Abb. 7). Auf den ersten Blick mag das ein Exot sein, auf den zweiten passt das aber Bestens zur Geschichte von Klein Rakow, da im Verlaufe des Großen Nordischen Krieges das nördlich der Peene gelegene Vorpommern von 1715 bis 1720 dänisch war.

Neuzeitliche Münzen aus Mecklenburg spielen nur eine untergeordnete Rolle. Neben sechs herzoglichen Prägungen ist die Stadt Rostock durch 13 kupferne 3-Pfennig-Nominale vertreten. Die jüngste Münze von 1760 hat wiederum das auffällige Schicksal der Deformierung ereilt (Abb. 8). Weiterhin kommen einige Münzen aus dem 17. und 18. Jahrhundert vor, die aus Brandenburg, Preußen, Hamburg, Hildesheim sowie den Herrschaften Schleswig-Holstein-Gottorf, Sachsen-Gotha-Altenburg, Schaumburg-Lippe, Sachsen-Coburg-Saalfeld sowie Braunschweig-Lüneburg in Blankenburg und Wolfenbüttel stammen.

Teile von Buchverschlüssen sind mit der stattlichen Anzahl von 57 Objekten vertreten. Sie dürften vor allem von Gebets- und Gesangsbüchern stammen. Am häufigsten kommen mit 27 Exemplaren gegossene Ösenplatten aus dem 17. und 18. Jahrhundert vor. Ihr Dekor ist sehr variantenreich. Bei der Figur mit der Harfe handelt es sich um König David aus dem Alten Testament (Abb. 9). Eine andere stehende Person im Strahlenkranz mit langem Rock hält ein Gefäß mit einem Standfuß und Bügelhenkel in der Hand (Abb. 10). Es dürfte sich um ein Abbild der Heiligen Dorothea mit dem mit Blumen und Früchten gefüllten Korb handeln.

An einem Emporenpfeiler lagen direkt unter dem Fußboden die gut erhaltenen Reste einer Totenkrone ohne Hinweise auf eine Bestattung (Abb. 11). Totenkronen wurden den Verstorbenen, vorwiegend jungen unverheirateten Erwachsenen, auf den Kopf gesetzt, in die Hand gegeben, auf oder vor den Sarg gelegt. Sie symbolisierten die Vermählung mit Christus. Belege für diesen Brauch gibt es in ganz Europa ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, erst nur auf Grabsteinen, später auch im archäologischen Fundgut. Ursprünglich war es wohl ein Brauchtum des Adels, der sich dann über das städtische Milieu auch in ländliche Gebiete verbreitete. Die zunehmende industrielle Fertigung von leonischen Drähten (versilberte, vergoldete oder vermessingte Kupferdrähte), die eine preiswerte Alternative zu Gold- und Silberdrähten war, ermöglichte einer breiteren Bevölkerungsschicht, vor allem im ländlichen Raum, eine Teilhabe an diesem Brauch. Die Totenkrone von Klein Rakow besteht aus solchen leonischen Bronzedrähten, die zu reich verzierten Blüten geformt sind. Sie spiegelt eine typische und weit verbreitete Form wider, die wir aus zahlreichen archäologischen Zusammenhängen in Mecklenburg-Vorpommern kennen. Das Exemplar von Klein Rakow wurde wohl nach der Aufgabe des Brauchtums im Boden deponiert.

Cathrin Patzelt, Dr. Heiko Schäfer und Elke Schanz

Literatur:

G. Adler, Handbuch Buchverschluss und Buchbeschlag. Wiesbaden 2010.

B. Ahlström, Y. Almer, K. Jonsson, Sveriges Besittningsmynt. Stockholm 1980.

S. Knöll, "Hochzeit im Himmel": Sinnstiftung und Trost beim Tod von Kindern und Jugendlichen in der Frühen Neuzeit. Historical Social Research, 34(4), 2009, 247-258. https://doi.org/10.12759/hsr.34.2009.4.247-258

J. Lippok, Neuzeitliche Totenkronen in Deutschland. Untersuchungen zum Erkenntnispotenzial von Materialanalysen unter besonderer Berücksichtigung von Datierungsfragen. – Prähistorische Zeitschrift 88, Heft 1–2, 2013, 180–207.

T. Schöfbeck, Rakow – Klein Rakow. Die Geschichte des Ortes und der Kirche. – Kirchen an Trebel und Ibitz. Ein kunst- und kulturhistorischer Führer zu den vorpommerschen Dorfkirchen Glewitz, Medrow, Nehringen, Deyelsdorf, Rakow und Bretwisch, 174–180. Petersberg 2012.

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