Nach 246 Jahren - Kriminalfall wieder aufgerollt: Die Wiederentdeckung des Familiengrabes Hoffmann auf dem Wüsten Kirchhof in Neubrandenburg

Fund des Monats März 2018

 Neubrandenburg, Poststraße. Die Mordopfer von 1770 nach der Freilegung im August 2016Details anzeigen
 Neubrandenburg, Poststraße. Die Mordopfer von 1770 nach der Freilegung im August 2016

Abb. 1: Neubrandenburg, Poststraße. Die Mordopfer von 1770 nach der Freilegung im August 2016. Unten, Arm an Arm: Michael Christoph und Anna Maria. Oben: Die Mutter Maria Elisabeth Hoffmann. Zwischen ihren Beinen sind die Schädelfragmente und Beinknochen von Johann Jacob gerade noch erkennbar. Die Särge sind bis auf wenige Holzreste vergangen.

Abb.: LAKD M-V, Landesarchäologie, C. Hartl-Reiter/S. Rahde

Abb. 1: Neubrandenburg, Poststraße. Die Mordopfer von 1770 nach der Freilegung im August 2016. Unten, Arm an Arm: Michael Christoph und Anna Maria. Oben: Die Mutter Maria Elisabeth Hoffmann. Zwischen ihren Beinen sind die Schädelfragmente und Beinknochen von Johann Jacob gerade noch erkennbar. Die Särge sind bis auf wenige Holzreste vergangen.

Abb.: LAKD M-V, Landesarchäologie, C. Hartl-Reiter/S. Rahde

Um 1570 wurde der Platz auf den Neubrandenburger Friedhöfen knapp. Abseits der Kirchen und Klöster, aber noch innerhalb der Stadtmauern, entstand deshalb ein neuer Bestattungsplatz. Er war bis kurz nach 1800 in Betrieb und ist als "Wüster Kirchhof" bekannt.

Um den Weg für eine Bebauung des Geländes an der heutigen Poststraße freizumachen, mussten von Mai 2016 bis November 2017 rund 2380 Bestattungen dokumentiert und geborgen werden. Durch die vergleichsweise kurze Belegungszeit spiegeln die geborgenen Individuen auf engem Raum das Sozialgefüge Neubrandenburgs in der frühen Neuzeit wider. Es handelt sich um die bislang größte geborgene Serie dieser Art in Mecklenburg-Vorpommern.

Unter den Toten befinden sich auch die Opfer eines historischen Kriminalfalls, wie sich anhand der zeitgenössischen Gerichtsakten feststellen ließ.

Die Witwe Hoffmann war mit ihren drei Kindern in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1770 durch eine Vielzahl von Axthieben ermordet worden. Als Täterin wurde schnell Dorothea Götterich ausgemacht, als Motiv Habgier gepaart mit soziopathischem Verhalten festgestellt. Das Urteil, Tod durch Rädern, zog sich für die Delinquentin grausam in die Länge. Darüber berichten die tradierten Gerichtsakten ebenso akribisch wie über die Verletzungen der Mordopfer bei ihrer Auffindung. Durch die Zeugenvernehmung und den Nachruf auf die Familie ist auch deren schwierige Lebenslage bekannt, nachdem der Vater ein Jahr zuvor verstorben war.

Die zwei Doppelbestattungen lagen 11 m nördlich der jetzigen Synagogengedenkstätte, 1,80 m unter der Geländeoberkante und waren annähernd ideal West-Ost ausgerichtet (Abb. 1). Im südlichen, vollständig vergangenen Sarg lagen Seite an Seite der älteste Sohn Michael Christoph (8 Jahre) und die Tochter Anna Maria (3 Jahre). Ihre Extremitäten waren in Auflösung begriffen, Hand- und Fußknochen sowie einige Rippen waren teilweise bzw. vollständig zersetzt. Der linke Oberarmknochen von Michael Christoph und der rechte von Anna Maria schmiegten sich dicht aneinander, die Schädel der Kinder waren halb zueinander gefügt, schienen sich gegenseitig in tröstend anmutender Geste zu stützen. Die Mutter, Maria Elisabeth Hoffmann (40 Jahre), lag mit dem jüngsten Sohn, Johann Jacob (1 Jahr), im nördlichen Sarg. Die Knochen der Mutter waren besser erhalten. Durch den Erddruck war der Schädel zerbrochen, auf ihrer rechten Seite waren der Arm sowie das Gros der Rippen durch die Einbringung einer jüngeren Grabgrube beseitigt worden. Der Jüngste lag ursprünglich auf ihren Knien und Unterschenkeln, seine Knochen waren größtenteils vergangen.

Zur Beisetzung der Toten heißt es: "Zu dem Ende sind die in 2 Särgen eingelegte Cörper, in dem einem die Mutter mit dem kleinsten Kinde, und in dem anderen die 2 andern Kinder verwahret gewesen, … ."

Das härteste Indiz für die Identifizierung der Mordopfer war jedoch ein Hinweis aus dem gerichtsmedizinischen Gutachten des Dr. Hempel zu den Verletzungen des ältesten Sohnes: "1 Zoll vom rechten Ohr […] ging ein querHieb durch die gantze Backe […] bis zur Spitze des Kinnes, wodurch in den OberKiefer auch ein Zahn völlig durchgehauen… ." Eine Hälfte des vertikal gespaltenen Schneidezahns steckte bei der Auffindung des Jungen noch im Oberkiefer (Abb. 2).

Die Identifizierung der Toten kann also als sicher gelten. Ein beispielloser Umstand, der die beigabenlos bestatteten Toten aus der Anonymität zurückholt und zu historischen Personen Neubrandenburgs macht. Hatte der Prozess aber die ganze Wahrheit über die Mordtat ans Licht gebracht? Die genaue anthropologische Untersuchung weckte Zweifel daran, denn außer der Axt war offenbar noch eine weitere Mordwaffe im Spiel. Hatte Dorothea Götterich Mittäter – oder war sie gar nicht die Mörderin? Es bleibt spannend…

Stefan Rahde

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