Die Drei von der Seenplatte

Fund des Monats Mai 2022

Innerhalb eines Jahres fanden drei auch sonst überaus erfolgreiche Bodendenkmalpfleger im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte jeweils eine männliche Bronzefigur. Die Fundstücke sind zwar zeitlich und handwerklich sehr unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam: Sie erweitern das Pantheon potenzieller männlicher Götterbilder, zumindest aber das in Mecklenburg-Vorpommern bislang recht überschaubare archäologische Fundspektrum menschlicher Darstellungen.

Letzteres sei hier kurz beschrieben: Herausragend – zumindest hinsichtlich ihrer Größe – sind für die vorchristliche Zeit die beiden primitiv gestalteten Holzidole der vorrömischen Eisenzeit aus Bad Doberan, Lkr. Rostock, und Klein Schönwalde, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Ihnen folgen in der römischen Kaiserzeit einige provinzialrömische Kleinplastiken, die von den Germanen in Mooren versenkt wurden. Dem slawischen Frühmittelalter werden die Figuren aus Gatschow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, und Ribnitz, Lkr. Vorpommern-Rügen, zugewiesen. Spätslawische Holzidole von Behren-Lübchin, Lkr. Rostock, Neubrandenburg, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, und Ralswiek, Lkr. Vorpommern-Rügen, ergänzen das bekannte Repertoire. Zudem gibt es die Steinbildnisse von Altenkirchen und Bergen auf Rügen sowie aus Wolgast und Grüttow im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Angesichts dieser recht übersichtlichen Reihe männlicher Abbilder sind die drei folgenden Objekte nicht nur von erheblichem kulturhistorischem, sondern auch von großem religionsgeschichtlichem Interesse.

Der gegürtete Mann

Abb. 1. Malchin, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Bronzezeitliche Männerfigur mit Zapfen unter den Füßen, die auf eine Befestigung auf einer Unterlage hindeuten. Bronzezeitliche Menschendarstellungen gibt es zwar durchaus, aber sie sind sehr selten. Inv.- Nr. ALM 2020/1071.Details anzeigen
Abb. 1. Malchin, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Bronzezeitliche Männerfigur mit Zapfen unter den Füßen, die auf eine Befestigung auf einer Unterlage hindeuten. Bronzezeitliche Menschendarstellungen gibt es zwar durchaus, aber sie sind sehr selten. Inv.- Nr. ALM 2020/1071.

Abb. 1. Malchin, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Bronzezeitliche Männerfigur mit Zapfen unter den Füßen, die auf eine Befestigung auf einer Unterlage hindeuten. Bronzezeitliche Menschendarstellungen gibt es zwar durchaus, aber sie sind sehr selten. Inv.- Nr. ALM 2020/1071.

Abb. 1. Malchin, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Bronzezeitliche Männerfigur mit Zapfen unter den Füßen, die auf eine Befestigung auf einer Unterlage hindeuten. Bronzezeitliche Menschendarstellungen gibt es zwar durchaus, aber sie sind sehr selten. Inv.- Nr. ALM 2020/1071.

Vermutlich in die jüngere Bronzezeit (1100–550 v. Chr.) datiert eine Statuette, die Mario Petznick im März 2021 auf einem Fundplatz in der Gemarkung Malchin, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, von der Ackeroberfläche barg (Abb. 1). Es handelt sich um eine stehende, nur 9,1 cm große, schlanke, aus Bronze gegossene Männerfigur, die einige Partien recht detailliert, andere hingegen nur grob darstellt und lediglich 50 g wiegt. Der kugelige Kopf (Dm. 1,1 cm) ist so scharf abgesetzt, dass der Eindruck einer Undercutfrisur oder aber eines Helms entsteht. Die Augen sind als breite, D-förmige Eintiefungen gestaltet, darunter befindet sich ein strichartiger Mund.

Der auffallend lange Hals endet auf breiten Schultern, von denen annähernd rechtwinklig die beiden Arme abgehen. Der linke Arm ist gestreckt, der rechte angewinkelt. Die Enden sind abgeflacht und stellen nach vorn gerichtete, flache Handflächen dar. Der nackte Oberkörper ist längsfacettiert und im Querschnitt sechseckig. Die Taille wird durch einen 0,5–0,6 cm breiten, eckig abgesetzten Gürtel betont, an den sich ein kurzer, scharf profilierter Rock anschließt, der nach hinten stetig länger wird, was in der heutigen Modebranche als „Vokuhila-Stil“ bezeichnet wird. Die parallel gestellten, proportional geformten Beine stehen auf Füßen, bei denen nicht zu erkennen ist, ob sie beschuht sind oder nicht. Gut sichtbar sind indes Fortsätze mit rechteckigem Querschnitt (0,4 x 0,25 cm) an der Fußunterseite. Vermutlich dienten die bis zu 3 mm lang erhaltenen Zapfen dazu, die Figur auf einer Unterlage, vermutlich aus Metall, zu befestigen.

Auf der Suche nach vergleichbaren Figuren fällt der Blick unweigerlich auf den im 7. Jahrhundert v. Chr. hergestellten Kultwagen aus dem niederösterreichischen Strettweg. Der vierrädrige Wagen trägt eine Gruppe von Tieren und Menschen. Letztere sind sowohl im Habitus als auch der Armhaltung recht gut mit der Malchiner Figur vergleichbar. Auch die mitgegossenen Nietzapfen, mittels derer die Figuren an der Unterkonstruktion des Wagens befestigt waren, ähneln den Zapfen an den Füßen der Malchiner Figur. Da sie als Einzelfund geborgen wurde, ist jedoch nicht sicher, ob auch sie ursprünglich auf einem Gefährt befestigt war. Ebensogut könnte sie ein Einzelstück sein, das als Grabbeigabe oder Opfer in den Boden gelangte.

Die Niederlegung von Opfergaben in Gewässern ist während der jüngeren Bronzezeit keineswegs selten, reich ausgestattete Gräber gibt es hingegen kaum. Gleiches gilt für männliche Figuren aus Bronze. Das Stück aus Malchin ist das erste seiner Art in Mecklenburg-Vorpommern. Aus Skandinavien liegen einzelne bronzezeitliche Männerfiguren vor, die zum Teil auch mit zapfenartigen Fortsätzen versehen sind wie z. B. der Mann aus Stockhult in Nordschonen. Diesem können wir nun unsere Figur aus Malchin zur Seite stellen.

Der nackte "Däne"

Abb. 2. Altentreptow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die kleine Bronzefigur eines nackten Mannes ist der erste Fund dieser Art der römischen Kaiserzeit/Völkerwanderungszeit aus Mecklenburg-Vorpommern und wahrscheinlich eine einheimische, aus Südskandinavien importierte Kreation. Inv.-Nr. ALM 2020/293,1.Details anzeigen
Abb. 2. Altentreptow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die kleine Bronzefigur eines nackten Mannes ist der erste Fund dieser Art der römischen Kaiserzeit/Völkerwanderungszeit aus Mecklenburg-Vorpommern und wahrscheinlich eine einheimische, aus Südskandinavien importierte Kreation. Inv.-Nr. ALM 2020/293,1.

Abb. 2. Altentreptow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die kleine Bronzefigur eines nackten Mannes ist der erste Fund dieser Art der römischen Kaiserzeit/Völkerwanderungszeit aus Mecklenburg-Vorpommern und wahrscheinlich eine einheimische, aus Südskandinavien importierte Kreation. Inv.-Nr. ALM 2020/293,1.

Abb. 2. Altentreptow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die kleine Bronzefigur eines nackten Mannes ist der erste Fund dieser Art der römischen Kaiserzeit/Völkerwanderungszeit aus Mecklenburg-Vorpommern und wahrscheinlich eine einheimische, aus Südskandinavien importierte Kreation. Inv.-Nr. ALM 2020/293,1.

Gut 1000 Jahre jünger als das Malchiner Fundstück ist die zweite, nur 5,5 cm große und 29,04 g schwere Figur, die Sebastian John 2019 bei der systematischen Begehung eines von der römischen Kaiser- bis in die späte Völkerwanderungszeit genutzten Siedlungsplatzes in der Gemarkung Altentreptow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, entdeckte (Abb. 2). Das deutlich herausgearbeitete Glied weist sie zwar als männlich aus, doch erscheint der völlig nackte Körper auf merkwürdige Weise eher schlaff und hölzern. Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier sei ein alter, vom Leben gezeichneter Mensch dargestellt. Die schlauchartigen, flachen Arme sind eng an den säulenförmigen Körper gelegt, die Hände liegen auf der Leistengegend. Unproportional wirken die kurzen Beine und der halslose, direkt auf dem Rumpf ruhende Kopf. Das Gesicht ist nur durch zwei runde Augenhöhlen und einen kleinen, strichförmigen Mund markiert.

Aus Mecklenburg-Vorpommern waren solche Menschenfiguren bisher nicht bekannt. Doch der dänische Archäologe Henrik Thrane hat vergleichbare Objekte als "Bronzemennesker", also "Bronzemenschen", publiziert. Deren Zahl ist aber auch in Dänemark überschaubar klein und sie sind bislang überwiegend auf der Insel Fünen entdeckt worden. Den in die römische Kaiserzeit datierten Figuren sind ihre steife Haltung, die kurzen Beine und eine kaum herausgearbeitete Physiologie gemeinsam. Wenn auch die Fertigung aus Buntmetall die Regel ist, so gibt es dort auch einzelne Figuren aus Edelmetall.

Meist sieht die archäologische Forschung in den primitiven "Bronzemenschen" Nachahmungen importierter römischen Bronzestatuetten, wie sie aus Dänemark und dem Nordwesten der Germania Libera durchaus bekannt sind. Sie stellen Abbilder von Gottheiten wie Jupiter, Mars, Merkur oder Aphrodite dar. Hat vielleicht für die Figur aus Altentreptow der schon den Griechen bekannte, ithyphallische Fruchtbarkeitgott Priapus Pate gestanden? Allerdings ist eine phallische Geste ebenso bei primitiven Holzidolen aus Mooren des Nordens wie z.B. beim "Broddenbjerg-Mann" bekannt. Von einer einheimischen Nachahmung antiker Götterfiguren wird man auch deswegen kaum sprechen können, weil die nordischen Figürchen außer der menschlichen Grundform eigentlich kaum Gemeinsamkeiten mit den in einer langen künstlerischen Tradition der realistischen Wiedergabe von Körper, Gestik, Kleidung und Physiognomie stehenden "Römern" haben. Die Arme der nordischen Figürchen sind in der Regel flach an den Körper angelegt, können aber auch unnatürlich rechtwinkelig abstehend oder vor dem Körper gekreuzt sein. Sie sind in der Regel nackt, nur gelegentlich tragen sie einen (mitgegossenen) Halsring.

Vielleicht ist der "hölzerne" Eindruck, den die Figuren machen, nicht zufällig, sondern ein Hinweis auf das Bild- und Körperverständnis ihrer Hersteller. Und es ist nicht auszuschließen, dass gar nicht die römischen Figuren, sondern die hölzernen Idole der ausgehenden vorrömischen Eisenzeit und römischen Kaiserzeit als Vorbilder für die Figürchen dienten und die römischen Importe lediglich der Auslöser für deren etwas unbeholfen wirkende Umsetzung in Metall waren.

Die Zahl "echter" römischer Bronzefiguren in Norddeutschland und Südskandinavien ist um vieles größer als die hier vorgestellten Figuren, die mutmaßlich aus germanischen Werkstätten stammen. Insbesondere der Nordwesten der Germania Libera mit dem Rheinmündungsgebiet kennt römische Kleinplastiken in großer Zahl. Die dortige Konzentration von Figürchen der Götter Jupiter, Mars und Merkur, deren Massenherstellung in römischen Werkstätten auf dem heimischen Markt für Tempelgaben und private Altäre diente, erklärt sich aus den engen politisch-militärischen oder auch wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem römischen Reich und den unmittelbar benachbarten germanischen Stämmen. Eine nennenswerte figurale "Reaktion" auf diese Plastiken fand aber nicht in der unmittelbaren Kontaktzone, sondern nur im weit entfernten Norden, auf den dänischen Inseln, statt, von wo auch die Figur aus Altentreptow stammen könnte.

Die Fundkonzentration der Menschenfigürchen auf Fünen scheint mit Herrschaftszentren der späten römischen Kaiser- und Völkerwanderungszeit verknüpft, in denen sich auch eine eigenständige Metallkunst entwickelte. In diesen deutet sich so etwas wie ein kultureller Schmelztiegel an, der, geistig und materiell durch das römische Reich und seine Provinzen angeregt, vielfältig in das Umfeld seiner germanischen Nachbarstämme ausstrahlte. Möglicherweise hat aber auch im Umfeld der Fundstelle der Altentreptower Figur ein solches Zentrum bestanden. In der nur gut 5 km entfernten Gemarkung Grischow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, mehren sich jedenfalls Hinweise auf arbeitsteilige Prozesse bei der Metallverarbeitung in Siedlungen der römischen Kaiserzeit. Außerdem fällt das Gebiet durch eine vergleichsweise hohe Zahl römischer Importe auf.

Der Trinker von Vipperow

Abb. 3. Vipperow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im gesamten westslawischen Siedlungsraum ist diese kleine Bronzeplatte ein Unikat. Die Darstellung entspricht den Beschreibungen deutscher Historiographen von slawischen Göttern, aber auch den Darstellungen auf Grabsteinen der ersten Rügenfürsten, die der Mission bis 1168 Widerstand leisteten und dann zum Christentum übertraten. Inv.-Nr. ALM 2019/11,1. Details anzeigen
Abb. 3. Vipperow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im gesamten westslawischen Siedlungsraum ist diese kleine Bronzeplatte ein Unikat. Die Darstellung entspricht den Beschreibungen deutscher Historiographen von slawischen Göttern, aber auch den Darstellungen auf Grabsteinen der ersten Rügenfürsten, die der Mission bis 1168 Widerstand leisteten und dann zum Christentum übertraten. Inv.-Nr. ALM 2019/11,1.

Abb. 3. Vipperow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im gesamten westslawischen Siedlungsraum ist diese kleine Bronzeplatte ein Unikat. Die Darstellung entspricht den Beschreibungen deutscher Historiographen von slawischen Göttern, aber auch den Darstellungen auf Grabsteinen der ersten Rügenfürsten, die der Mission bis 1168 Widerstand leisteten und dann zum Christentum übertraten. Inv.-Nr. ALM 2019/11,1.

Abb. 3. Vipperow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Im gesamten westslawischen Siedlungsraum ist diese kleine Bronzeplatte ein Unikat. Die Darstellung entspricht den Beschreibungen deutscher Historiographen von slawischen Göttern, aber auch den Darstellungen auf Grabsteinen der ersten Rügenfürsten, die der Mission bis 1168 Widerstand leisteten und dann zum Christentum übertraten. Inv.-Nr. ALM 2019/11,1.

Der dritte und kulturgeschichtlich Jüngste im Bunde ist der Mann aus Vipperow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Wenn ihn nicht der vielfach bewährte ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Dietmar Wulkau gefunden hätte, könnte man an einen Scherz glauben. Aber auch eine sofortige Nachfrage bei dem immer zu Späßen aufgelegten Klaus Schulz, Teilnehmer der Ausgrabungen von 1953 und Finder des ersten Vipperower Miniaturpferdchens, fiel negativ aus.

In diesem Fall handelt es sich nicht um eine plastische Darstellung, sondern ein 7 x 3,5 cm großes Flachrelief auf einer roh gegossenen Bronzeplatte (Abb. 3). Es zeigt einen Mann, der seinen rechten Arm auf die Hüfte stützt und in der linken ein großes Auerochsenhorn hält, das an der Mündung drei Rillen zeigt. Bekleidet ist er mit Faltenrock, Stiefeln und einer Kappe, die auch als Helm interpretiert werden kann. Der Oberkörper ist unbekleidet, die Brustwarzen sind durch Kreisaugen hervorgehoben.

Neben dem bekannten Mann mit Trinkhorn auf einer Riemenzunge von Mikulčice (Tschechische Republik) begegnet uns dieses Motiv auf den Bildsteinen von Bergen und Altenkirchen auf Rügen wieder. Insbesondere die Ähnlichkeit des Vipperower Fundes mit dem durch die später angebaute Sakristei vor Verwitterung geschützten Stein von Altenkirchen ist frappierend. Das Horn auf der Rückseite des Wartislawsteines von Grüttow, Lkr. Vorpommern-Greifswald, wurde hingegen zusammen mit einem Kreuz erst deutlich später als die eigentliche Darstellung angebracht und ist als christliche Zutat zu interpretieren. Viele Archäologen deuten die Bildsteine als Darstellungen slawischer Gottheiten, doch A. Holtz legte bereits 1966 plausible Gründe vor, in ihnen die Grabsteine der bereits christianisierten Herrscher Jaromar und Tetzlav zu sehen.

Für den Vipperower Mann ist die Deutung als Gottheit wegen seiner Ähnlichkeit zu zeitgenössischen Beschreibungen des Svantevit jedoch wahrscheinlicher. Der Umstand, dass unser Gott Hornlinksträger ist, deutet an, dass das Fundstück als Stempel oder Gussmodel benutzt wurde, wodurch das Füllhorn beim Endprodukt dann wieder auf die rechte Seite kommt. Als Rohmaterialien für den Gieß- bzw. Pressprozess bieten sich neben Teig in erster Linie Zinn und Blei an – und da beginnt das Problem: Das Gießerhandwerk war bei den slawischen Stämmen zwischen Elbe und Oder fast unbekannt. Die Nachweise für Gusstiegel und Gussformen finden sich fast nur in den Kontaktzonen zu den Wikingern wie z. B. in Menzlin, Ralswiek oder Usedom. Einzelfunde im Bereich des frühstädtischen Zentrums am Tollensesee sind eine regelbestätigende Ausnahme.

Zu den wenigen, eindeutig den Slawen zuzuweisenden Dingen aus dem leicht vergänglichen Zinn gehören Schläfenringe, teilweise mit zoomorphen Darstellungen. Das bemerkenswerte Fundspektrum in Vipperow, das außerdem eine bronzene Gussform für Nietköpfe, Tondüsen, Zinnperlen und gegossene Beschläge aufweist, belegt nun zweifelsfrei die slawenzeitliche Gießertätigkeit vor Ort. Selbst in den mittelalterlichen Städten entwickelte sich ein Zinngießerhandwerk erst Jahrzehnte nach Ankunft der deutschen Siedler, so dass man sich fragen muss, warum ausgerechnet Vipperow Vorreiter auf diesem Handwerkssektor war.

Vipperow war im 12 Jahrhundert das Zentrum der "terra Veprowe". Auf der Insel in der Müritz befand sich eine Burg, deren Bewohner auf den stetig steigenden Wasserspiegel mit aufwändigen Uferschutzmaßnahmen reagierten und, als sie die Burg schließlich aufgeben mussten, auf das Festland bei Solzow auswichen. Kein geringerer als Heinrich der Löwe, Gegenspieler von Kaiser Friedrich Barbarossa, dehnte mit Eloquenz und Grausamkeit sein Einflussgebiet bis hierher aus. Dieser sächsische Herrscher, der den modernsten Palast seiner Zeit in Braunschweig sein eigen nannte, brachte sicherlich auch Innovationen in das neu eroberte Gebiet.

Doch erlaubte er seine neuen Untertanen auch, heidnische Dinge herzustellen? Diese Frage kann man wohl mit "Ja" beantworten, denn Umdeutungen waren der wichtigste Bestandteil erfolgreicher Mission. So wurde aus dem kriegerischen Svantevit des Tempels von Arkona – er dürfte für die Vipperower Darstellung Pate gestanden haben – ein Herrscher mit Füllhorn, wie er auch in das Granittaufbecken von Dahlen, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, eingeritzt wurde. Nicht auszuschließen ist allerdings auch der Versuch eines "roll back", also eine heidnische Gegenbewegung, wie sie für das letzte Drittel des 12. Jahrhunderts erwähnt wird und sich sicherlich auch in der Darstellung heidnischer Götter manifestieren würde.

Dr. C. Michael Schirren, Dr. Jens-Peter Schmidt, Jens Ulrich

Literatur:

Zur Einleitung:

E. Gringmuth-Dallmer/A. Hollnagel, Jungslawische Siedlung mit Kultfiguren auf der Fischerinsel bei Neubrandenburg. – Zeitschrift für Archäologie 5, 1971, 102-133.
F. Nikulka, Tiere als Begleiter von Holzidolen in eisenzeitlichen Deponierungen. In: V. Brieske/A. Dickers/M. M. Rind (Hrsg.), Tiere und Tierdarstellungen in der Archäologie. Beiträge zum Kolloquium in Gedenken an Torsten Capelle, 30.-31. Oktober 2015 in Herne. – Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen 22, 159-168. Münster 2017.
U. Schoknecht, Eine altslawische Götterfigur aus Gatschow, Kr. Demmin, und ein Kästchenbeschlag aus Pasewalk. – Ausgrabungen und Funde 39, 1994, 129-136.

Zu Malchin:

M. Egg, Das hallstattzeitliche Fürstengrab von Strettweg bei Judenburg in der Obersteiermark. – Römisch-Germanisches Zentralmuseum Monographien 37. Mainz 1996.
M. Egg/U. Lehnert/R. Lehnert, Die Neurestaurierung des Kultwagens von Strettweg in der Obersteiermark. – Restaurierung und Archäologie 3, 2010, 1-25.
R. Fürhacker/D. Modl, Der Kultwagen von Strettweg. Eine Objektbiographie: Restaurierung und Rezeption einer archäologischen Ikone. – Schild von Steier. Beiheft 11. Graz 2021.
B. Stjernquist, Figurpar från Stockhult, Skåne. In: P. Kjaerum/R. A. Olsen (Ed.), Oldtidens Ansigt. Faces of the Past. Til hendes Majestæt Dronning Margrethe II. 16. april 1990. [Copenhagen] 1990, 54-55.

Zu Altentreptow:

P. Kjaerum/R. A. Olsen (Ed.), Oldtidens Ansigt. Faces of the Past. Til hendes Majestæt Dronning Margrethe II. 16. april 1990. [Copenhagen] 1990.
H. Steuer, „Germanen“ aus der Sicht der Archäologie: Neue Thesen zu einem alten Thema. – Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 125. Berlin, Boston 2021 (insbesondere 638 ff zu Götterbildnissen und Statuetten).
R. Stupperich, Bemerkungen zum Import im sogenannten Freien Germanien. In: G. Franzius (Hrsg.), Aspekte römisch-germanischer Beziehungen in der Frühen Kaiserzeit. Vortragsreihe zur Sonderausstellung „Kalkriese - Römer im Osnabrücker Land“ 1993 in Osnabrück. – Quellen und Schrifttum zur Kulturgeschichte des Wiehengebirgsraumes B 1, 45-98. Bramsche 1995 (insbesondere S. 65-66 mit den Verbreitungskarten römischer, figürlicher Kleinbronzen).
H. Thrane, Fynske bronzemennesker fra jernalderen. – Fynske Minder 1975, 7-22.

Zu Vipperow:

A. Holtz, Die pommerschen Bildsteine. Baltische Studien, Neue Folge 52, 1966, 7-30.
U. Schoknecht, Neue Funde und Befunde von der jungslawischen Burgwallinsel Vipperow, Kreis Röbel. – Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 1992, 213–260.
J. Herrmann (Hrsg.), Wikinger und Slawen. Zur Frühgeschichte der Ostseevölker. Berlin 1982.
G. Krüger (Bearb.), Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Freistaates Mecklenburg-Strelitz. Band 1: Das Land Stargard. Neubrandenburg/Brünslow 1929

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Die Drei von der Seenplatte

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