Wallgräben und Schanzen. Die Postierungslinie von 1712 bei Grimmen, Lkr. Vorpommern-Rügen

Fund des Monats August 1712

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Abb. 1: Kaschow, Lkr. Vorpommern-Rügen. Lage der Kaschower "Schweden"-Schanze (roter Kreis) in der Karte "Postirungs Linie gegen Strahlsund".

Abb. 1: Kaschow, Lkr. Vorpommern-Rügen. Lage der Kaschower "Schweden"-Schanze (roter Kreis) in der Karte "Postirungs Linie gegen Strahlsund".

Vorpommern und vor allem die Region um Stralsund sind in der frühen Neuzeit Räume gewesen, in denen sich die Konflikte zwischen den europäischen Mächten quasi konzentriert wie unter einem Brennglas nachvollziehen lassen. Mit dem Eintritt des schwedischen Königs Gustav II. Adolf in den Dreißigjährigen Krieg im Jahr 1624 änderte sich das politische Machtgefüge des südlichen Ostseeraumes schlagartig, denn Vorpommern wurde dadurch zum kontinentalen Brückenkopf des aufstrebenden Königreiches Schweden. In der annähernd 200jährigen "Schwedenzeit" profitierte Vorpommern zwar ökonomisch und verwaltungstechnisch, hatte aber auch unter den Konflikten zu leiden, in die sich das im Ostseeraum um Vorrang bemühte Schweden immer wieder verstrickte.

Der sogenannte "Große Nordische Krieg" (1700-1721) als Kampf um die Herrschaft im Ostseeraum versammelte das Russische Großreich, Dänemark mit Norwegen sowie Sachsen mit Polen, ab 1714/15 verstärkt durch das Königreich Hannover und Preußen, in einer Allianz gegen Schweden. Das anfängliche und fast schon legendäre Kriegsglück des schwedischen Königs Karl XII., der bis weit nach Russland vorstieß und sogar (allerdings erfolglos) den türkischen Sultan Ahmet III. in den Konflikt mit Russland hineinzuziehen versuchte, war jedoch nicht von Dauer. Am Ende des Großen Nordischen Krieges hatte Schweden seine militärischen Vormachtstellung verloren.

Spuren des Krieges sind die vielen noch erhaltenen und historisch überlieferten Schanzen im Umfeld von Stralsund, aber auch die Zeugnisse von Belagerungen, Tod und Zerstörung, die immer wieder bei archäologischen Grabungen in der Hansestadt dokumentiert werden. Eine als Bodendenkmal schon lange erfasste Schanze im Kaschower Wald, östlich der ehemaligen Kreisstadt Grimmen, trägt noch heute den Namen "Schwedenschanze". Der zuständige Revierförster H. Wojtek hatte die Schanze in ein Schülerprojekt integriert und fragte bei der Landesarchäologie nach Informationen zu dem Denkmal. Doch die Aktenlage zu diesem Befestigungswerk war wenig informativ. Erst der Hinweis von Prof. Dr. H. Porada (Leibniz-Institut für Länderkunde) auf eine jüngst online gestellte Sammlung von Kriegskarten machte den historischen Kontext dieses Bodendenkmals plötzlich im Detail nachvollziehbar (www.digitale-bibliothek-mv.de). Die Karte gehört zu einem Atlas, der von Johann Georg Maximilian Fürstenhoff, dem Halbbruder August des Starken, als Auftragswerk des sächsischen Grafen Brühl gezeichnet wurde. Fürstenhoff war Kriegsteilnehmer im kurfürstlich-sächsischen Ingenieur- und Pionierkorps und nach dem Krieg erfolgreicher Architekt der Residenzstadt Dresden.

Auf der skizzenhaften Darstellung ist die viereckige Schanze in Kaschow als Teil eines komplexen Befestigungssystems dargestellt. Die Kartenlegende verrät bereits viele Details: Den Namen "Schwedenschanze" trägt die Schanze zu Unrecht, denn gehalten und wohl auch gebaut wurde sie 1711/1712 von Truppen der Allianz gegen Schweden. Die Besatzung bestand aus 75 Königlich-Polnischen Kavalleristen und 350 Moskowiter Dragonern zu Fuß (also auch Reiter, aber ohne Pferde). Eine dänische Sicherung gegen schwedische Ausfälle zwischen Grimmen und Tribsees wird ebenfalls in der Kartenlegende erwähnt, wurde bislang jedoch weder in Altkarten noch im Gelände nachgewiesen.

Nun auf die "Spur" gesetzt, haben mehrere ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger unter Anleitung der Landesarchäologie schrittweise im Jahr 2020 mit der Erforschung der Postierungslinie begonnen. Dazu wurde die historische Planskizze in ein modernes, digitales Messtischblatt übertragen, vorliegende LIDAR-Scans gesichtet sowie Geländestrukturen vor Ort aufgesucht, photographisch und messtechnisch dokumentiert. Ein Abschnitt von 1 km Länge, in der historischen Skizze übrigens nicht verzeichnet, wurde jüngst mittels LIDAR-Scans weiter östlich in der Gemarkung Jarmshagen, parallel zum Flüsschen Ryck, identifiziert. Außerdem wurden im Herbst 2020 Geländebegehungen mit Metalldetektoren durchgeführt, bei denen sich Hinweise auf den Schanzenverlauf verdichteten.

Erste Ergebnisse zeichnen sich nun ab. So lässt sich die Postierungslinie von 1711/12 auf einer Länge von 5-6 km nachweisen. Damit gehört sie zu den größten Denkmälern ihrer Art in Mecklenburg-Vorpommern. Oberirdisch erhalten sind Wälle, Gräben und Schanzen nur unter Wald, dort teilweise aber auch schon überformt. In Ackerflächen zeigen sich unter günstigen Bedingungen lineare Bewuchsanomalien als Zeugnisse des Verlaufs. Bei systematischen Geländebegehungen mit Metalldetektoren wurden nicht nur konzentriert liegende Musketenkugeln, sondern auch andere Funde entdeckt. Die Präsenz "Moskowiter" Truppen, wie sie in der historischen Beschreibung des Kartenwerks genannt wurden, ist durch mehrere silberne Tropfkopeken der Zeit um 1700 nachweisbar. Diese Kleinstmünzen von unter 1 cm Durchmesser waren gängige Zahlungsmittel im Zarenreich Peter des Großen, aber unter den russischen Soldaten in der Etappe offenbar auch weit entfernt im westlichen Europa im Umlauf.

Doch es bleiben Fragen, wie z. B. die nach den genauen Hintergründen für den Bau der Postierungslinie, wie sie im Detail konstruktiv aufgebaut war und welches strategische Konzept hinter der aus heutiger Sicht scheinbar sinnlosen Abriegelung von wenig besiedelten Gebieten stand. Gab es vergleichbare Schanzsysteme in anderen Gebieten und wer zeichnete für die Konzeption und Umsetzung verantwortlich? Hatte die Postierungslinie im weiteren Kriegsverlauf eine Bedeutung bzw. welche Rolle kam ihr bei den Belagerungen von Stralsund zwischen 1713 und 1715 zu, in deren Zusammenhang sie offenbar keine Erwähnung mehr fand? Diese und viele andere Fragen werden sich hoffentlich interdisziplinär in Zusammenarbeit von Archäologen, historischen Geographen, Militärhistorikern und Historikern in Zukunft beantworten lassen.

Dr. C. Michael Schirren

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