Eine ausgemalte frühneuzeitliche Gruft mit Tonnengewölbe

Fund des Monats November 2017

Abb. 1: Parchim, St. Georgen. Die Gruft unmittelbar nach der Freilegung, Blick nach Westen.Details anzeigen
Abb. 1: Parchim, St. Georgen. Die Gruft unmittelbar nach der Freilegung, Blick nach Westen.

Abb. 1: Parchim, St. Georgen. Die Gruft unmittelbar nach der Freilegung, Blick nach Westen.

Abb. 1: Parchim, St. Georgen. Die Gruft unmittelbar nach der Freilegung, Blick nach Westen.

In der mittelalterlichen St. Georgenkirche zu Parchim, deren heutiger Bau zwischen 1289 und 1307 entstand, wurden im Februar 2017 Fußbodensanierungsarbeiten im Chorumgang durchgeführt und archäologisch begleitet. Bereits kurz nach Beginn der Freilegungsarbeiten wurde nordöstlich des Altars ein annähernd rechteckiges, als Gruft anzusprechendes Ziegelsteingemäuer mit den Maßen 2,10 m x 4,96 m entdeckt, welches bis etwa 20 cm unterhalb des heutigen Fußbodenniveaus erhalten war (Abb. 1). Die Gruft war mit ihrer Längsachse parallel zur Längsachse der Kirche ausgerichtet und mit einem Tonnengewölbe versehen, welches einen Radius von 105 cm hatte und an den Längsseiten noch bis zu 40 cm über dem Gewölbeansatz erhalten war (Abb. 2). Die ursprüngliche Form der Tonne war an den Lünetten noch gut erkennbar (Abb. 3). Aufgrund der Maße der Gruft handelte es sich um eine Familiengrablege, in der mehrere Personen zur letzten Ruhe gebettet wurden. Reste der Bestattungen waren allerdings nicht mehr vorhanden, da alle Gruften in der St. Georgenkirche in der ersten Hälfte des 19. Jh. ausgeräumt und dann verfüllt wurden.

Alle beobachteten Mauerreste waren mit einem feinen weißen Putz versehen, der als Grundlage für eine Malerei diente. Diese war an den nördlichen und südlichen Längsseiten sowie an der westlichen Schmalseite sehr gut erhalten und erweckte einen geradezu frischen Eindruck, womit sie in scharfem Kontrast zur Malerei am Aufgehenden der Kirche steht, welche aufgrund von Feuchtigkeitsschäden nurmehr schlecht erhalten ist. Die Malerei der östlichen Schmalseite war ebenfalls nur noch schlecht erhalten. Die einzelnen Wände umfassten als Zentralmotiv jeweils einen ovalen Tondo aus vegetabilen Elementen wie Blättern und Blüten, die an der Basis mittels einer Schleife zu einem Kranz verbunden sind. Für den Tondo an der westlichen Schmalseite wurde dabei die Lünette des Tonnengewölbes ausgenutzt. In die Tondi ist jeweils ein biblischer Text eingeschrieben, der sich aus etwa 4 cm hohen Buchstaben in Fraktur- und Antiquaschrift zusammensetzt. Der freigelegte und lesbar erhaltene Teil des Textes an der westlichen Mauer (Abb. 4) lautet:

Unser Wandel ist im Him̅el, von dannen
wir auch warten des Heilandes
Iesu
Christi
des Herrn, welcher unsern nich-
tigen Leib verklähren wird, daß er
...seinem verklährten
...damit Er
...sich unterth...

Die Buchstaben des deutschen Fließtextes sind in Frakturschrift gehalten, die des im lateinischen Genitiv stehenden Namens „Iesu Christi“ in Antiqua. Es handelt sich um den neutestamentlichen Bibelvers Philipper 3, Vers 20-21, der gemäß der Lutherübersetzung vollständig lautet: „Unser Wandel aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi, des Herrn,welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, damit er kann auch alle Dinge sich untertänig machen“. Die Schreibung des Wortes „Himmel“ mit nur einem „m“ ist dabei keine Verschreibung, da sich über dem „m“ ein Strich, das sogenannte Makron befindet, dass eine Konsonantenverdoppelung anzeigt.

Der Text an der nördlichen Längsseite (Abb. 5) entstammt ebenfalls dem Neuen Testament. Erhalten ist folgende Textpassage:

...die Krone der Gerechtigkeit, welcher uns, der
Herr am jenem Tage der gerechte Richter, ge-
ben wird, nicht uns allein sondern auch
allen, die seine Erscheinung lieb haben.
2
timoth 4 v 7-8

Unter dem Text ist die entsprechende Bibelstelle angegeben, die vollständig und gemäß der Lutherübersetzung korrekt lautet: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, nicht aber mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebhaben“. Die einzige, aber entscheidende Abweichung zum Text der Lutherübersetzung besteht in der Verwendung der ersten Person Plural anstatt der ersten Person Singular.

Der erhaltene Teil des Textes an der südlichen Längsseite (Abb. 6) lautet:

...dieser
...und werden
in unsern Fleisch Gott sehen, denselben
werden wir uns sehen, und unsere Augen
Ihm schauen, und kein Fremder
hiob 19 v 25 26 27

Hier handelt es sich wie in der Inschrift angegeben um die alttestamentliche Bibelstelle Hiob 19, Vers 25-27, die hier allerdings leicht verändert wiedergegeben ist. Nach der Lutherübersetzung lautet sie: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebet; und als der Letzte wird er über dem Staube sich erheben.Und nachdem diese meine Haut zerschlagen ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen.Denselben werde ich mir sehen, und meine Augen werden ihn schauen, und kein Fremder“. Hier wurde ebenfalls die erste Person Plural anstelle der ersten Person Singular verwendet. Ein weiterer Unterschied ist die Formulierung „in unsern (sic!) Fleisch“ anstelle von „ohne mein Fleisch“, wobei hier nicht nur in der Grammatik, sondern auch im Sinn des Textes von der zugrunde liegenden Lutherbibel abgewichen wurde. Hierbei dürfte es sich um eine Verschreibung handeln, denn der auf dem Gewölbe lesbare Text besagt sinngemäß das genaue Gegenteil des Luthertextes. Die Verwendung der Pluralformen bei den beiden Bibeltexten an den Längsseiten ist hingegen beabsichtigt und bezieht sich auf die Verwendung der Gruft als Grablege für mehrere Personen. Wie auf der westlichen Schmalseite ist der deutsche Fließtext auch an den Längsseiten in Frakturschrift gehalten ist, während für die Angabe der Bibelstellen Antiqua verwendet wurde.

Alle erhaltenen Bibelstellen drücken die christliche Hoffnung auf Auferstehung der Toten und das künftige Reich Gottes aus und boten den Bestattenden Trost, die die als Familiengrablege dienende Gruft im Rahmen von Nachbestattungen immer wieder aufsuchten. Die Verwendung der Pluralform bei den beiden Bibeltexten an den Längsseiten verweist darauf, dass die Gruft von Anfang an als Grablege für mehrere Personen beabsichtigt war, die durch die Bibelzitate gleichsam aus dem Jenseits zu den Hinterbliebenen „sprechen“.

An der östlichen Schmalseite kann man ebenfalls einen biblischen Text vermuten, hier sind aber nur noch geringe Reste des vegetabilen Tondos erkennbar, da die Malerei weitgehend der Durchfeuchtung der Mauer zum Opfer gefallen ist. Die von West nach Ost abnehmende Erhaltungsqualität der Malereien in der Gruft ist auffällig und lässt sich mit vom Osten her durch die Außenmauer der Kirche eindringender Feuchtigkeit erklären.

Bei der angetroffenen Gruft handelt es sich um eine frühneuzeitliche Grablege, die aufgrund der Ziegelmaße, der Verwendung der Ende des 16. Jh. eingeführten Verseinteilung der Bibelstellen sowie der bereits neuhochdeutschen Sprache des Textes in die zweite Hälfte des 17. Jh. oder die erste Hälfte des 18. Jh. datiert werden kann1. Das geradezu monumentale Tonnengewölbe und die Qualität der Malereien deuten auf einen hohen sozialen Stand der Auftraggeber hin, was angesichts der prominenten Lage der Gruft im Umfeld des Altars nicht verwundert. Die höhere Prominenz einer Grablege nahe am Altar verweist noch auf den katholischen Glauben, nach dem die Bestattung „ad sanctos“, also in der Nähe der üblicherweise im Altar verwahrten Reliquien eines Heiligen, die Fürsprache dieses Heiligen vor Gott und damit einen sicheren Weg ins Himmelreich verspricht. Als die Gruft angelegt wurde, war die St. Georgenkirche zwar schon über 100 Jahre lang nicht mehr katholisch und die Reliquien waren längst aus dem Altar verbannt worden, die Tradition prominenter Gräber im Altarbereich blieb jedoch auch nach der Reformation lebendig, zumal solche Grabplätze innerhalb wohlhabender Parchimer Familien über mehrere Generationen vererbt wurden.

Da keine Treppen, Trittsteine oder andere Zugangsmöglichkeiten gefunden wurden, ist unklar, wie die Grabkammer bei einer Beisetzung betreten werden konnte. Vermutlich gab es in der Gewölbetonne eine zentrale Öffnung, durch die die nicht mehr vorhandenen Särge hinabgelassen wurden und von wo man sie dann an die endgültigen Ruheplätze verbrachte. Diese Öffnung war möglicherweise mit einer abnehmbaren Grabplatte verschlossen, auf der Namen und Lebensdaten der hier Bestatteten verzeichnet waren. Mehrere solcher Grabplatten befinden sich noch heute, sekundär in Nischen der Außenmauer der Kirche aufgestellt, in unmittelbarer Nähe der Untersuchungsfläche.

Rolf Schulze


1 Freundliche mündliche Mitteilung durch Andreas Ströbl M.A., Forschungsstelle Gruft (Lübeck).

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