Eine frühe Münzwerkstatt in Mecklenburg-Vorpommern? Gegossene ‚römische‘ Denare aus Raguth, Lkr. Ludwigslust-Parchim

Fund des Monats Juni 2023

Abb. 1. Raguth, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Gegossener Denar der Faustina II., Ehefrau des Kaisers Marc Aurel. Foto: David Wigg-Wolf, RGK Frankfurt/M.Details anzeigen
Abb. 1. Raguth, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Gegossener Denar der Faustina II., Ehefrau des Kaisers Marc Aurel. Foto: David Wigg-Wolf, RGK Frankfurt/M.

Abb. 1. Raguth, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Gegossener Denar der Faustina II., Ehefrau des Kaisers Marc Aurel.

Abb. 1. Raguth, Lkr. Ludwigslust-Parchim. Gegossener Denar der Faustina II., Ehefrau des Kaisers Marc Aurel.

Manchmal freut sich der Archäologe auch über Abfallprodukte! So war es bei einem kleinen Komplex von auffälligen römischen Silbermünzen und zwei kleinen Silberblechfragmenten aus Raguth, Lkr. Ludwigslust-Parchim, die durch die Römisch-Germanische Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main wissenschaftlich bearbeitet wurden. Die Funde waren Anfang 2021 durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Stefan Fuge bei einer Detektorbegehung auf einem kaiserzeitlichen Siedlungsplatz entdeckt worden. Dieser hatte schon früher römische Münzen (z. B. KFB 2016, 238; alle bislang bearbeiteten Funde) und auch Importfunde aus dem provinzialrömischen Gebiet erbracht, z. B. einen muschelförmigen Beschlag aus Bronze (KFB 2020, Abb. 176). Nur gut 500 m entfernt war außerdem 2015 ein Münzhort mit mehr als 70 Denaren geborgen worden.

Die nun entdeckten Funde waren erneut etwas Besonderes. Bei den Münzen handelte sich um zwei Denare (Abb. 1 und Abb. 2) für Faustina II. (reg. 147-175/176 n. Chr.) mit einem unregelmäßigen Rand, der verrät, dass die Münzen nicht in der stadtrömischen Münzstätte geprägt, sondern gegossen wurden. Dazu kam der Fehlguss eines Denars des Antoninus Pius (reg. 138-161 n. Chr.) mit deutlichem Gusszapfen (Abb. 3) sowie das Bruchstück eines ebenfalls gegossenen Denars (Abb. 4), vermutlich des Hadrianus (reg. 117-138 n. Chr.). Die beiden Silberblechfragmente sind mit großer Wahrscheinlichkeit aus einem römischen Silbergefäß ausgeschnitten worden.

Schon bei der Sichtung des Komplexes kam die Frage auf, ob es sich bei den vier Münzen aus Raguth um Abfallprodukte einer Münzwerkstatt handeln könnte. Die Nachfrage beim Finder, ob er auch Material gefunden habe, das auf Metall- und vor allem Silberverarbeitung vor Ort hinweist, wurde positiv beantwortet: Es würden zahlreiche Gussreste aus Bronze und auch einige aus Silber vorliegen.

Daraufhin wurden Materialanalysen an den vier Münzen, den beiden Blechstücken und zwei silbernen Gussresten aus Raguth durchgeführt. Des Weiteren wurden zwei ebenfalls gegossene Denare des Commodus aus Stammersfelde, Lkr. Vorpommern-Greifswald, analysiert. Sie waren bereits seit 2017 bekannt, hatten aber schon damals das besondere Interesse des Bearbeiters geweckt: Da hier dieselbe römische Münze als Model für die beiden Münzen gedient hatte, stellte sich auch in diesem Fall die Frage, ob sie eine Herstellung vor Ort belegen. Grundsätzlich war das Nachgießen römischer Münzen durch die Germanen keineswegs unbekannt, doch kannte man es bislang vor allem aus der nördlichen Schwarzmeerregion, seltener aus Mittel- oder Nordeuropa!

Die Analysen wurden in Frankfurt mit einem mobilen Röntgenfluoreszenzgerät (XRF) durchgeführt. Obwohl das Verfahren nur die Oberfläche der Objekte analysiert und manche Spurenelemente, die nur in kleinen Mengen vorhanden sind, nicht erfasst werden, liefert es einen ersten Eindruck der verwendeten Legierung. Die Ergebnisse zeigten, dass mit einer Ausnahme die Münzen aus gutem Silber sind – sie haben sogar einen höheren Silbergehalt als die römischen Vorbilder! Die Ausnahme ist das Fragment des Denars des Hadrianus, das aus einer Kupfer-Zinn-Legierung besteht, die wie Silber ausgesehen haben wird. Eine ähnliche Legierung wurde auch zum Nachgießen von Denaren in den römischen Provinzen häufig verwendet. Die Gussreste passen in ihrer Metallzusammensetzung auch gut zu den Münzen und den Silberblechfragmenten. Die beiden Exemplare aus Stammersfelde sind etwa so fein wie das in Raguth geborgene Silberblech und noch feiner als die dortigen Münzen.

Es ist also durchaus möglich, dass das zerschnittene Silberblech als Rohmaterial für gegossene Denare diente. Dies kann aber erst anhand weiterer metallanalytischer Untersuchungen, die die genauere Zusammensetzung des Metalls identifizieren, bestätigt werden. Fest steht hingegen, dass die Münzen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in Raguth hergestellt wurden. Auch wenn sie nach römischem Recht vielleicht als Fälschungen galten, sind sie eher als Nachweis für eine eigene ‚germanische‘ Münzprägung einzustufen. Imitationen römischer Münzen wurden im nördlichen Barbaricum außerhalb des Imperiums in beträchtlicher Zahl hergestellt und deckten einen Bedarf an Silbermünzen in der germanischen Gesellschaft ab. In Raguth haben wir aber den ersten Nachweis für das Nachgießen römischer Münzen in Norddeutschland!

Auch wenn römische Importe im ganzen Land vorkommen, so zeigt sich im südwestlichen Landesteil eine kaiserzeitliche Siedlungskammer, die sich durch das Vorkommen diverser Importfunde deutlich gegen die benachbarten Regionen absetzt. Münzfunde machen daran nur einen kleinen Teil aus. Dass sie gerade so zahlreich im Umfeld von Raguth zutage kamen und wir hier einen Beleg für die Produktion von Münzen haben, dürfte daher vornehmlich auf die intensive Prospektionsarbeit des ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegers Stefan Fuge zurückzuführen sein.

Dr. David Wigg-Wolf, RGK Frankfurt/M.

Literatur:

KFB 2016: Kurze Fundberichte 2016. Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 64, 2016, 157–430.

KFB 2020: Kurze Fundberichte 2020. Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 68, 2020, 217-512.

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