Leider nur aus Ton – Der Geldscheißer von Anklam

Fund des Monats September

Abb. 3: Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Geldscheißer (ALM 2015 / 376, 7), 19. Jahrhundert. Details anzeigen
Abb. 3: Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Geldscheißer (ALM 2015 / 376, 7), 19. Jahrhundert.

Abb. 3: Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Geldscheißer (ALM 2015 / 376, 7), 19. Jahrhundert.

Abb. 3: Anklam, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Geldscheißer (ALM 2015 / 376, 7), 19. Jahrhundert.

Anstelle der historischen Giebelhäuser, die bis 1945 an der Ostseite des Anklamer Marktplatzes standen, prägten seit den 1970er Jahren Plattenbauten das Bild.  Im Zuge des Stadtumbaus wurden sie nach und nach abgebrochen, um den Bereich neu zu gestalten. Dabei kamen Reste von spätmittelalterlichen Kellermauern mit frühneuzeitlichen Umbau- bzw. Reparaturphasen zutage, die archäologisch dokumentiert wurden.

Zwischen den ehemaligen Grundstücken Markt 6 und 7 (Abb. 1) waren noch Reste der Glindwand (= Brandmauer zwischen beiden Grundstücken) aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert erhalten (Abb. 2). Auf der Nordseite dieses Baubefundes, also im ehemaligen Haus Markt 7, wurde aus dem neuzeitlichen Zerstörungshorizont ein 53 mm großes, massives Figürchen geborgen (Abb. 3). Es ist aus feinem, weißen Pfeifenton mit Hilfe einer Model hergestellt worden.

Die in der Hocke sitzende Gestalt hat ein sehr angestrengtes Gesicht mit weit aufgerissenem Mund und plattgedrückter Nase. Sie ist mit einer enganliegenden Jacke mit Reverskragen bekleidet, die am Rücken mit Querstreifen gemustert ist. Dazu trägt sie eine kapuzenartige Mütze, die im Nackenbereich eine Pelzverbrämung besitzt. Die Hose ist bis zu den Oberschenkeln heruntergelassen. Das nackte Gesäß wird durch ein nachträglich, nicht mittig angebrachtes Loch gekennzeichnet. Bedingt durch die Körperhaltung schlägt die Kleidung an der Vorderseite der Jacke, in den Ellenbeugen und an den Schienbeinen Falten. Als Schuhwerk dienen Stiefel mit Absätzen.

Durch Material, Machart und Kostüm kann das Objekt ins 19. Jahrhundert datiert werden.

Bedauerlicherweise fehlen der Taler oder die Geldstücke am Gesäß als kennzeichnendes Attribut. Sie waren wahrscheinlich aus vergänglichem Material, wie Holz oder Papier gefertigt. Bei der Figur handelt es sich nämlich um einen Geld- oder Dukatenscheißer, der auch unter den Bezeichnungen Dukatenkacker, Dukatenmacher, Geldmännlein oder Heckmännchen in der Sagenwelt umhergeistert. Genauer gesagt handelt es sich dabei um einen Kobold. „Meistens stellt er sich freundlich zu den Menschen. Er rackert sich ab für sie und schleppt ihnen Reichtümer zusammen.“ (Bollnow, S. 45) In diesem Fall stellte er sie sogar vor Ort her.

Die Gestalt des wundersamen Geldproduzenten lässt sich seit dem Spätmittelalter in der gesamten europäischen Sagenliteratur nachweisen. Die älteste bekannte plastische Darstellung im deutschsprachigen Raum kann heute noch an der Goslarer Kaiserworth als Architekturdetail aus Sandstein bewundert werden. Sie wurde 1494 an der Ostfassade als Konsolfigur angebracht.

Das Museum in Stade ist im Besitz einer frühneuzeitlichen Knagge vom ehemaligen Anwesen Bungenstraße 1, die mit einem Dukatenscheißer in Renaissancekleidung verziert ist. Er stammt aus der Zeit um 1530 und nimmt bereits die hockende Stellung ein.

Spätestens ab dem 17. Jahrhundert tauchen die ersten Kleinplastiken aus Elfenbein, Holz und wohl auch aus Keramik für den Hausgebrauch auf. Die Körperhaltung des Stader Männleins wurde seit der Frühen Neuzeit beibehalten, lediglich die Kleidung der zeitgenössischen Mode angepasst.

Im 19. Jahrhundert wurden Geldscheißer auch in das Programm einiger Porzellanmanufakturen aufgenommen. Aus Meißener Porzellan sind beispielsweise Biedermeierfiguren erhalten. Diese wurden für die höheren Gesellschaftsschichten hergestellt. Im Gegensatz dazu war der Anklamer Geldscheißer als Massenware sicher für jedermann erschwinglich. Ob sich die Investition gelohnt hat, ließ sich bis dato nicht belegen. Ebenso bleibt die eigentliche Funktion unklar. Scherzartikel, Spielzeug oder Dekoration? Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Anklamer Stück um einen Glücksbringer, immer mit der Hoffnung verbunden, dass er tatsächlich in irgendeiner Weise den Besitzer zu Geld verhelfen würde. Auch wenn Jakob Grimm 1835 in seiner „Deutschen Mythologie“ (S. 414) behauptete: „…doch könnte der gebrauch mit einer altheidnischen verehrung kleiner laren, denen im innersten der wohnung ein platz angewiesen wurde, zusammenhängen; der ernst wandelte sich in scherz, und die christliche ansicht duldete die beibehaltung des alten brauchs.“

Jedenfalls lässt sich das Motiv in unterschiedlichen Ausführungen bis heute nachweisen, z. B. als Schokoladenhohlfigur einer Bamberger Traditionskonditorei (Abb. 4). Diese verfügt über die entscheidenden Attribute, so wie sie wohl ursprünglich auch dem Anklamer Geldscheißer anhafteten.

Andrea Popp M.A.


 

Literatur:

Bächtold-Stäubli, Hanns: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 3, Berlin / New York 1987.

Bollnow, Otto: „Teufel über Anklam“ – Sagen in und um Anklam, Anklam 1925 – 1938. Neu herausgegeben von der Grafik- und Designschule Anklam, 1995.

Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie, Band 1, Göttingen 1835; Nachdruck Darmstadt 1992.

Jahn, Ulrich: Volkssagen aus Pommern und Rügen, Rostock 1999.

Kammel, Frank Matthias: Lebensgenuss, Analmetaphorik und moralisierender Spott – Eine Schnupftabaksdose des späten 18. Jahrhunderts im kulturgeschichtlichen Kontext; in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 2007, 137 – 160.

Scheinost, Marina: Der verborgene Schatz – Erstdruck der handschriftlichen thüringischen Sagensammlung von Georg Brückner (1800 – 1881), Hildburghausen 1993.

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