Präpositus Schliemann rettet ein Hügelgrab

Fund des Monats Februar 2022

Abb. 1: "Höchstgeehrter Herr Professor": Schliemanns Brief vom 7. Februar 1899. LAKD M-V/LA, Ortsaktenarchiv Alt Meteln, Fpl. 3.Details anzeigen
Abb. 1: "Höchstgeehrter Herr Professor": Schliemanns Brief vom 7. Februar 1899. LAKD M-V/LA, Ortsaktenarchiv Alt Meteln, Fpl. 3.

Abb. 1: "Höchstgeehrter Herr Professor": Schliemanns Brief vom 7. Februar 1899. LAKD M-V/LA, Ortsaktenarchiv Alt Meteln, Fpl. 3.

Abb. 1: "Höchstgeehrter Herr Professor": Schliemanns Brief vom 7. Februar 1899. LAKD M-V/LA, Ortsaktenarchiv Alt Meteln, Fpl. 3.

Heinrich Schliemann gehört sicherlich zu den bekanntesten Landeskindern Mecklenburgs. So verwundert es nicht, dass die zweihundertste Wiederkehr seines Geburtstages, wenn auch durch die Corona-Pandemie notgedrungen etwas gedämpft, auf verschiedenste Weise gewürdigt wird. Dabei war er, wie wir heute wissen, eine durchaus schillernde Figur. Die Berichte über seine Reisen erwiesen sich teilweise als falsch, teilweise als stark übertrieben. Gleiches gilt für die Berichte über seine Ausgrabungen und die dabei gemachten Entdeckungen. Dennoch prägt Schliemann bis heute in weiten Teilen der Öffentlichkeit das Bild der Archäologie. Die Hauptrolle in diesem Bild spielt der heldenhafte Entdecker, dem es mit Verstand und Intuition gelingt, im Wettlauf mit seinen Konkurrenten sensationelle Entdeckungen zu machen und diese in einen übergreifenden, faszinierenden Sinnzusammenhang zu stellen. Kein Wunder, dass Archäologie als sehnlicher Berufswunsch so weit verbreitet ist.

Für die Archäologie als Wissenschaft ist Schliemann bis heute eher Fluch als Segen. Sie muss sich beständig mit dem Nimbus des Abenteuerlichen, Heldenhaften und der Fixierung auf sensationelle Entdeckungen auseinandersetzen. Dabei ist von vornherein klar, dass eine professionelle, wissenschaftliche Archäologie diesen Erwartungen nicht gerecht werden kann. Für sie gelten Arbeitsschutzbestimmungen und Dokumentationsrichtlinien ebenso wie die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis. Mehr noch, die wissenschaftlich fundierte archäologische Denkmalpflege verfolgt sogar das Ziel, archäologische Fundstellen, solange es irgend geht, an Ort und Stelle zu erhalten und jede vermeidbare Ausgrabung auch tatsächlich zu vermeiden. In diesem Spannungsfeld kommt es immer wieder darauf an, eines deutlich zu machen: Das Ziel der wissenschaftlichen Archäologie ist nicht vorrangig das Finden, sondern das Herausfinden. Sie ist eine Geschichtswissenschaft, deren Aufgabe darin besteht, durch wissenschaftliche Arbeit Erkenntnisse über menschliches Leben in der Vergangenheit zu gewinnen.

Ein anderer Mecklenburger, der großherzogliche geheime Archivrat Georg Christian Friedrich Lisch, hat sicher mehr dazu beigetragen, die methodischen Grundlagen der wissenschaftlichen Archäologie zu entwickeln. Mit der Entdeckung des Dreiperiodensystems, mit der Veröffentlichung der "Instruction für Aufgrabungen" (Lisch 1837) und mit der Ordnung der archäologischen Sammlungen nach wissenschaftlichen Kriterien hat er bis heute gültige Maßstäbe gesetzt. Davon profitierte auch Heinrich Schliemann: In seinem Buch "Ilios. Stadt und Land der Trojaner", erschienen 1881 in Leipzig, zitiert Schliemann großenteils wörtlich Lischs Bemerkungen "Ueber die Verfertigung der Thongefäße zur heidnischen Zeit", die Lisch ihm in einem Brief vom 23. August 1879 übermittelt hatte. Die Initiative zu dem Briefwechsel ging allerdings nicht von Schliemann, sondern von Lisch aus, der Schliemann die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied im Verein für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde mitteilen wollte. Die Annahme, dass Lisch die Bekanntheit Schliemanns für die Sache der Archäologie in Mecklenburg zu nutzen hoffte, ist sicher nicht abwegig. Gleiches gilt übrigens für Lischs Tochter Emilie, die sich zeitweise in Bournemouth aufhielt und einen eigenen Briefwechsel mit Schliemann führte, in dem sie ihre Hoffnung, ein wenig von seinem Glanze möge auch auf ihren Vater fallen, sehr deutlich zum Ausdruck brachte (Zimmermann 2001, 106 ff.).

Zurück nach Mecklenburg: Nach Lischs Tod 1883 wurde die Verantwortung für die archäologischen Denkmale in Mecklenburg-Schwerin auf die 1887 eigens zu diesem Zweck gegründete "Commission zur Erhaltung der Denkmäler" übertragen, die beim Mecklenburg-Schwerinschen Großherzoglichen Ministerium des Innern angesiedelt war und deren Geschicke wesentlich vom Direktor des Großherzoglichen Museums, Professor Friedrich Schlie, bestimmt wurden, der als Experte für künstlerische Fragen in die Commission berufen worden war. Über das von mancherlei Schwierigkeiten geprägte Wirken der Commission ist an anderer Stelle berichtet worden (z. B. Winands 2007, Nösler 2016, 12 ff.). Sie bestand aus Museumsleuten und teilweise gegen ihren Willen in die Commission abgeordneten Beamten. Waren archäologische Sachverhalte zu beurteilen, wurde als Vertrauensmann der nebenamtlich als Abteilungsvorstand für die "Sammlung vaterländischer Altertümer" an das Großherzogliche Museum abgeordnete Oberlehrer Dr. Robert Beltz zu Rate gezogen.

Eine interessante Querverbindung ergab sich 1899. Am 7. Februar schrieb Präpositus Friedrich Wilhelm Andreas Franz Schliemann aus Alt Meteln einen Brandbrief an Professor Schlie (Abb. 1). Sein Pfarrpächter Buse habe, ohne ihn zu fragen, "mit der Abräumung des auf hiesigem Pfarracker belegenen Hünengrabes einen recht bedeutsamen Anfang gemacht". Auch wenn die Beseitigung des Hünengrabes als Verbesserung für den Pfarracker anzusehen sei, würde er nie auf eigen Hand daran gegangen sein, ohne sich zu vergewissern, ob etwa von Seiten der Commission Widerspruch erfolgen würde. Auch habe er seinem Pfarrpächter erklärt, dass er genötigt wäre, der Commission Anzeige zu machen, welches mit dem Schreiben in vollkommener Hochachtung und ganz ergebenst geschehen solle (LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3).

Friedrich Wilhelm Andreas Franz Schliemann, der bis zu seinem Tod am 25. Februar 1900 als Präpositus an der Kirche in Alt Meteln wirkte, war ein Sohn von Pastor Christian Ludwig Friedrich Schliemann (1790–1861). Dieser wiederum war der Bruder von Pastor Ernst Johann Adolph Schliemann (1780–1870), dem Vater von Heinrich Schliemann. Heinrich Schliemann wurde aus Gründen, die an anderer Stelle hinreichend dargelegt worden sind, im Frühjahr 1832 in den Haushalt von Christian Ludwig Friedrich Schliemann in Kalkhorst aufgenommen, wo er sicher auch auf den damals zweijährigen Friedrich Wilhelm Andreas Franz Schliemann traf. Da Heinrich Schliemann das Pfarrhaus in Kalkhorst aber schon 1833 wieder verließ, um das Gymnasium Carolinum in Neustrelitz zu besuchen, dürfte er bei seinem Cousin Friedrich Wilhelm Andreas Franz kaum eine bewusste Erinnerung hinterlassen haben. Auch umgekehrt ist nicht überliefert, dass Heinrich Schliemann sich später noch einmal an seinen Cousin Friedrich Wilhelm Andreas Franz erinnert hätte. Jedoch blieb er in Verbindung mit dessen älterem Bruder Wilhelm Carl Adolph, mit dem zusammen er im Kalkhorster Pfarrhaus Unterricht in Latein und Altgriechisch genossen hatte (https://de.wikipedia.org/wiki/Adolph_Schliemann).

Und noch eine interessante Querverbindung weist die Geschichte auf: Heinrich Schliemann pflegte eine intensive, freundschaftliche Korrespondenz mit Friedrich Schlie, dem Direktor des Großherzoglichen Museums (Buchholz 1995). Als Präpositus Schliemann 1899 seinen Brief an Schlie verfasste, schrieb er also nicht nur an das Mitglied der Comission zur Erhaltung der Denkmäler, sondern auch an den Korrespondenzpartner und Freund seines berühmten Cousins Heinrich.

Wie ging die Geschichte mit dem "Hünengrab" auf dem Alt Metelner Pfarracker nun weiter? Der angeschriebene Professor Schlie leitete den von Präpositus Schliemann verfassten Brief am 9. Februar 1899 mit dem Vermerk an die Kommission (Da Schlie die Kommmission mit "K" schreibt, wird im Folgenden diese Schreibweise verwendet) weiter, er habe sofort die Bitte an Präpositus Schliemann ergehen lassen, die Arbeiten nicht eher beginnen zu lassen, als bis die Meinung der Kommission eingeholt sei (Abb. 2). Oberlehrer Dr. Beltz wurde am 9. Februar 1899 mit einer Ortsbesichtigung beauftragt, die er am 18. Februar 1899 vornahm und über die er der Großherzoglichen Kommission am 21. Februar 1899 Bericht erstattete. Dr. Beltz teilte mit, auf dem Felde von Alt Meteln nahe der Zickhusener Scheide lägen zwei weithin sichtbare und sehr auffällige Kegelgräber, die "Strubbenberge". Dasjenige auf dem Pfarracker sei in der Gegend "allbekannt durch Sagen von Unterirdischen, goldenen Ringen und Bechern usw.", seine Maße gibt Beltz mit 12 bis 14 Metern Durchmesser und etwa 1,80 m Höhe an. Der Hügel sei am Nordende sehr stark, aber auch an den anderen Seiten so sehr abgegraben, dass er seine Form fast ganz verloren habe (Abb. 4). Man sei auf eine Steinmauer gestoßen und aus den Wänden ragten größere Steinsetzungen heraus, "ohne Zweifel die Grabkammer". Altsachen seien noch nicht gefunden wurden (LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3).

Letzteres erwies sich schon einen Tag später als unzutreffend, denn am 22. Februar 1899 erschien Pächter Buse bei Oberlehrer Dr. Beltz, um ihm einige Stücke Bronze zu überbringen, die von seinen Leuten "in dem abgefahrenen Theile" des Hügels gefunden worden seien. Beltz schloss daraus, dass schon Gräber in dem Hügel zerstört und weitere bronzezeitliche "Grabanlagen mit Inhalt" zu erwarten seien. Buse bat bei der Gelegenheit darum, die Arbeiten fortsetzen zu dürfen, da das eingetretene Frostwetter der Arbeit besonders günstig sei. Beltz teilte Buse mit, er habe die Angelegenheit der zuständigen Behörde übergeben, sehe im Übrigen aber kein Bedenken, wenn die Abgrabung in einem Streifen am Südende des Hügels fortgesetzt werde, weil dort noch keine Steinsetzungen zu erwarten seien. Am 23. Februar 1899 ließ die Kommission Beltz mitteilen, dass von ihrer Seite keine Bedenken gegen die Fortsetzung der Abtragung des Hügels bestünden. Über die Vornahme einer weiteren Untersuchung solle sich Beltz direkt mit dem Pächter verständigen (LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3).

So geschah es dann auch. Schon am 24. Februar 1899 begann Beltz mit den Arbeiten. Wegen starken Frostes konnten sie aber erst am 28. und 29. Februar 1899 fortgesetzt werden, wie dem für damalige Verhältnisse ausführlichen "Bericht über die Kegelgräber bei Alt-Meteln" zu entnehmen ist. Freigelegt wurden zwei längliche Steinsetzungen, die in der Mitte jeweils eine längliche Mulde aufwiesen (Abb. 5). In den Mulden lag Leichenbrand, in einem der Gräber auch "eine feine Fibel im Charakter der älteren Bronzezeit" (LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3). Das deutet darauf hin, dass die Gräber in Periode III der Bronzezeit angelegt wurden, als man zwar schon von der Körper- zur Brandbestattung übergegangen war, aber noch am klassischen Grabbau mit einem Baumsarg auf einer Steinsetzung festhielt.

Nun musste nur noch das Großherzogliche Amt über die Meinung der Kommission unterrichtet werden. Das geschah mit einem Brief am 4. April 1899, von dem sowohl der Entwurf als auch die in allersorgfältigster Kanzleischrift gehaltene Reinschrift erhalten sind, letztere mit dem Reskript des Großherzoglichen Amtes vom 18. April 1899. Das Amt stimmte der Abtragung des Hügels auf dem Pfarracker zu und kündigte an, die gegenüber dem Pächter Buse ausgesprochene Untersagung aufzuheben (LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3). Damit war das Schicksal des Hügels auf dem Pfarracker besiegelt. Heute sind keine Spuren von ihm mehr zu entdecken, weder im Gelände noch im hochauflösenden digitalen Geländemodell.

Deutlich besser erging es dem etwa 200 Meter nordöstlich gelegenen der beiden "Strubbenberge". Er lag auf dem Besitz des Erbpächters Facklam und war bei der Besichtigung am 18. Februar 1899 auch schon an einem Ende angegraben, da der Besitzer beabsichtigte, ihn zu entfernen. Beltz schrieb: "Es war also gerade noch die rechte Zeit, hier einzugreifen" (Bericht vom 21. Februar 1899, LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3). Beltz teilte Facklam mündlich mit, er habe kein Verfügungsrecht über den Hügel, der ein vorgeschichtliches Denkmal sei, und bat die Kommission um Erwägung, ob nicht möglichst bald auf amtlichem Wege dem Pächter Facklam eine Schutzerklärung zugestellt und der Hügel unter Aufsicht genommen werden könne. Die Anregung fiel auf fruchtbaren Boden und das großherzogliche Amt teilte am 18. April 1899 mit, es werde dem Erbpächter Facklam sofort jede weitere Berührung des Grabes untersagen (LAKD M-V/LA, Ortsakte Alt Meteln, Fpl. 3). So bleib wenigstens einer der beiden bronzezeitlichen Grabhügel bis heute erhalten (Abb. 6). Hätte Präpositus Friedrich Wilhelm Andreas Franz Schliemann aus Alt Meteln nicht am 7. Februar 1899 an Professor Schlie geschrieben, wäre die Geschichte sicher anders ausgegangen.

Friedrich Wilhelm Andreas Franz Schliemann starb fast genau ein Jahr später, am 25. Februar 1900. In Alt Meteln ist er heute noch präsent: Am 9. April 2019 besuchten seine Urenkel die (Kirchengemeinde Alt Meteln-Cramon-Groß Trebbow und übergaben ihr einen Tisch, den seine acht Töchter ihrem Vater seinerzeit als besonderes Geschenk überreicht hatten, und eine historische Aufnahme, die den Präpositus samt seiner Familie vor dem Pfarrhaus zeigt (Abb. 7).

Dr. Detlef Jantzen

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