Total verdreht und trotzdem eine runde Sache - Ein Wendelring aus der Müritz

Fund des Monats November 2022

Abb. 1: Waren, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Wendelring aus dem Flachwasserbereich der Müritz. Details anzeigen
Abb. 1: Waren, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Wendelring aus dem Flachwasserbereich der Müritz.

Abb. 1: Waren, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Wendelring aus dem Flachwasserbereich der Müritz.

Abb. 1: Waren, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Wendelring aus dem Flachwasserbereich der Müritz.

Es war einmal ein schöner Sommertag an der Müritz bei Klink, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Henry Johannes Tessmer zog sein Boot an Land und sah im Flachwasser etwas Rundes. Er griff ins Wasser und holte einen großen bronzenen Ring (Abb. 1) an die Oberfläche. Zwar wusste er noch nicht, was er in Händen hielt, aber er vermutete, dass es nicht nur alt, sondern auch selten sei – und machte fast alles richtig: Er merkte sich die Fundstelle und zeigte den Ring Mario Petznick, einem der erfolgreichsten ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Dieser informierte sofort seinen Ansprechpartner beim Landesamt für Kultur und Denkmalpflege, der umgehend eine Nachsuche durch die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Ina Großer und Dietmar Wulkau veranlasste, da mit weiteren Funden zu rechnen war. Dies bestätigte sich jedoch nicht, denn der etwa 2400 Jahre alte sogenannte Wendelring wurde offenbar nicht an seinem ursprünglichen Niederlegungsort entdeckt, da sich nur wenige Zentimeter unter ihm eine sehr viel jüngere Bierdose befand. Die Einmessung der Fundstelle zeigte außerdem, dass der Ring wenige Meter jenseits der Gemarkungsgrenze lag. Er wird deshalb unter der Fundplatznummer 381 der Gemarkung Waren, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, geführt.

Die anhaftende Patina macht den Ring, dessen Durchmesser bei einer Stärke von 1,1 cm stattliche 23 cm beträgt, zwar etwas unansehnlich, enthält aber wichtige Informationen, die bei einer übereilten Reinigung verloren gegangen wären. Anhaftende Reste von Seekreide (Abb. 2) zeigen, dass er ursprünglich lange Zeit auf dem Seegrund gelegen hat. Abriebspuren an der Unterseite (Abb. 3) lassen ein längeres Tragen erkennen, wahrscheinlich zusammen mit einem zweiten, gleich großen Ring, an dem er scheuerte. Dies legt zum Beispiel ein von Bodendenkmalpfleger Sebastian John gemeldetes Schmuckensemble aus der Tollense bei Weltzin (Abb. 4) nahe, das aus zwei Wendelringen besteht, die ein ganz ähnliches Abriebschema zeigen. Da die Abriebspuren nicht ganz symmetrisch sind, ging der Träger oder die Trägerin vielleicht etwas schief.

Aber was sind eigentlich "Wendelringe" und wann wurden sie getragen? Wendelringe sind eine typische Schmuckform der jüngeren Bronze- und älteren vorrömischen Eisenzeit. Anzutreffen sind sie in einem Gebiet, das von Jütland und Südschweden über die Norddeutsche Tiefebene bis zur Weichsel und im Süden bis an die Mittelgebirge reicht. Entwickelt wurden sie aus den gedrehten, also tordierten, Ringen der Bronzezeit.

Im 9. Jahrhundert v. Chr. begann man, dem Bronzestab nach einigen Zentimetern eine andere Drehrichtung zu geben, diese also zu "wenden". In diesem Falle spricht der Fachmann von einem "echten Wendelring". Die Ringkörper werden zunehmend dicker, teilweise haben sie so scharfe Kanten, dass ein Tragen auf der Haut unmöglich war ("scharflappige Wendelringe"). Es gibt aber auch Ringe, deren Windungen im eigentlichen Wortsinn "erträglicher" waren. Ein schönes Beispiel dafür ist ein Wendelring der Periode VI aus Rensow im Landkreis Rostock (Abb. 5), den Bodendenkmalpfleger Jens Klaedtke 2021 entdeckte.

In den letzten Phasen der Entwicklung dieser Ringform gingen die Bronzegießer dazu über, im Querschnitt runde Stäbe zu verwenden, in denen die Wendestellen mit sichelförmigen Punzen eingearbeitet und die Rillen eingeschnitten wurden. Dies ersparte das arbeitsaufwändige Verdrehen und minimierte die Bruchgefahr bei der Herstellung. Bei solchen Ringen, die die letzte Entwicklungsphase dieses Schmucktyps repräsentieren, spricht man von imitierten Wendelringen. Bei dem Warener Ring hingegen scheinen die Wendungen gedreht, die dazwischen liegenden Windungen aber eingeschnitten zu sein. Er gehört deshalb zur von Ronald Heynowski herausgearbeiteten Form 5, den rundstabigen Wendelringen, die eine Übergangsform zu den vollständig imitierten Wendelringen darstellen. Die Drehrichtung der erstaunlich exakt ausgeführten Torsion wechselt fünfmal, wodurch sechs etwa gleich breite Abschnitte entstehen und dem Ring eine schlichte Symmetrie verleihen. Auf der Rückseite ist der ansonsten gerundete Querschnitt abgeflacht. Die Enden haben hingegen einen viereckigen Querschnitt und sind am Ende knieartig zu einem Hakenverschluss gebogen. Auf den Enden bilden die insgesamt elf mitgegossenen Ringaugen ein dominoartiges Muster. Außerdem sind dort zwei tiefe Rillen vorhanden. Die doppelt ausgeführten Punktreihen wurden dagegen wohl nach dem Guss mit einer Punze eingearbeitet (Abb. 6 und 7).

Warum der Verschluss des Halsringes verziert ist, lässt sich durchaus erklären: Wahrscheinlich wurde der Ring mit dem Verschluss nach vorne getragen. Bei den wenigen Bildzeugnissen aus der keltischen oder römischen Welt sieht man häufig die auf der Brust getragenen Halsringverschlüsse. Dies gilt für den "sterbenden Gallier", der in kaum einem Buch über antike Kunst fehlt, ebenso wie für die 700 Jahre jüngeren Mosaike, die germanische Adelige darstellen. Für Wendelringe ist diese Art, sie zu tragen, zum Beispiel durch Grabfunde aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt betätigt.

Wie gelangte aber nun dieser Ring in die Müritz? Wahrscheinlich gar nicht, sondern die Müritz kam zu ihm. Im 4. Jahrhundert v. Chr. lag der Wasserspiegel der Müritz nämlich gut einen Meter tiefer als heute – allerdings mit steigender Tendenz, da sich das Klima stetig verschlechterte. Die Entwicklung währte damals schon einige Zeit und war sicherlich Auslöser von kriegerischen Auseinandersetzungen, die wiederum die überregionalen Handelsbeziehungen und dadurch auch die Rohstoffversorgung beeinträchtigten. Die wahrscheinlich in ganz Europa stattfindenden kriegerischen Ereignisse führten sogar in Mecklenburg-Vorpommern, z. B. in Kratzeburg, zum Bau großer Burgen am Ende der Bronzezeit. Es kam zu einer Mangelwirtschaft, die über Jahrhunderte andauerte und nur geringste kulturelle Entwicklung zuließ. Die Bronze wurde knapper und das Eisen trat auch in Mecklenburg seinen Siegeszug an. Allerdings in legendär schlechter Qualität und in geringer Menge. Eiserne Geräte fanden sich bei Siedlungsgrabungen nur sporadisch und der Schmuck aus den Urnengräberfeldern entspricht nur rustikalsten ästhetischen Ansprüchen. Edelmetalle, im westlich gelegenen keltischen Bereich durchaus üblich, waren in Mecklenburg schlicht nicht vorhanden. Damit erlangt ein Objekt wie der Warener Ring aus 429 g Bronze, betrachtet in diesem kulturellen Kontext, eine große Bedeutung. So etwas konnte sich nicht jeder leisten und wir dürften es mit einem Rangabzeichen einer höher gestellten Person zu tun haben.

Wendelringe sind weder häufig noch exorbitant selten. Solange Ackerbau und Melioration noch per Hand stattfanden, wurden etliche gut erhaltene Exemplare von Arbeitern entdeckt. Der wohl am häufigsten berührte Altfund ist der über hunderte Jahre als Türklopfer benutzte Wendelring am Güstrower Dom (Schlie 1901, Abb. 8). Nach dem 2. Weltkrieg, als Landwirtschaft und Melioration zunehmend mechanisiert wurden, kamen über Jahrzehnte kaum noch Wendelringe in die Sammlungen des Landes. Inzwischen haben wir, dank des Einsatzes von Metalldetektoren in der ehrenamtlichen Bodendenkmalpflege, jährliche Neuzugänge im unteren einstelligen Bereich. Sie stammen meist aus Hortfunden. Ob als Gaben an die Götter oder als Selbstausstattung für das Totenreich oder einfach nur als Versteckfund, lässt sich nicht sagen, da sie fast immer bereits vom Pflug verlagert sind und eine eingehende Untersuchung des Niederlegungsortes damit unmöglich wurde.

Der Fund am Klinker Strand beleuchtet aber auch noch eine ganz andere Problematik: Er zeigt nämlich überaus deutlich, dass auch im Strandbereich mit bedeutenden archäologischen Funden zu rechnen ist. Sie sind in höchstem Maße gefährdet, insbesondere dann, wenn durch YouTube-Videos oder Fernsehberichte motivierte "Schatzsucher" ohne ausreichende Sachkenntnis mit Metalldetektoren nach "Schätzen" suchen.

Jens Ulrich

Literatur

R. Beltz, Die vorgeschichtlichen Altertümer des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. Schwerin 1910.

H.-C. Broholm, Danske oldsager IV. Yngre bronzealder. København 1953.

M. Claus, Thüringische Kultur der älteren Eisenzeit (Grab-, Hort- und Einzelfunde). Irmin 2/3. Jena 1942.

R. Heynowski, Die Wendelringe der späten Bronze- und der frühen Eisenzeit. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 64. Bonn 2000.

K. Kaiser, Die hydrologische Entwicklung der Müritz im jüngeren Quartär. Zeitschrift für Geomorphologie 112, 1998, 143–176.

F. Schlie, Die Kunst-und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. Schwerin 1901.

Fund des Monats November 2022

Total verdreht und trotzdem eine runde Sache - Ein Wendelring aus der Müritz

2024 - Funde des Monats

2023 - Funde des Monats

2022 - Funde des Monats

2021 - Funde des Monats

2020 - Funde des Monats

2019 - Funde des Monats

2018 - Funde des Monats

2017 - Funde des Monats

2016 - Funde des Monats

2015 - Funde des Monats

2014 - Funde des Monats

2013 - Funde des Monats

2012 - Funde des Monats

2011 - Funde des Monats

2010 - Funde des Monats

2009 - Funde des Monats

2008 - Funde des Monats

2007 - Funde des Monats