Trinkhorn und Schlange. Ein Bronzebeschlag aus Heinrichshof, Lkr. Vorpommern-Greifswald

Fund des Monats März 2020

Abb. 1: Heinrichshof, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der Bronzebeschlag und der Niet (Inv. Nr. ALM 2018/571,1).Details anzeigen
Abb. 1: Heinrichshof, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der Bronzebeschlag und der Niet (Inv. Nr. ALM 2018/571,1).

Abb. 1: Heinrichshof, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der Bronzebeschlag und der Niet (Inv. Nr. ALM 2018/571,1).

Abb. 1: Heinrichshof, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der Bronzebeschlag und der Niet (Inv. Nr. ALM 2018/571,1).

Funde aus der Pflugschicht liefern oft den ersten Hinweis auf ein Bodendenkmal. Nicht selten gehören sie sogar zu den interessantesten Hinterlassenschaften der Menschen, die sich vor hunderten oder tausenden von Jahren an der Fundstelle aufgehalten haben. Wenn ein Bodendenkmal geborgen und dokumentiert werden muss, wird deshalb auch der Oberboden untersucht.

Bei einer Maßnahme in der Gemarkung Heinrichshof, Lkr. Vorpommern-Greifswald, hatte der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Mario Rappräger diese Aufgabe übernommen. Um die Trasse für die EUGAL-Pipeline frei zu machen, sollten hier Teile eines in der vorrömischen Eisenzeit und der späten Slawenzeit besiedelten Areals ausgegraben werden.

Wie sich zeigte, enthielt der Oberboden nicht nur Keramik, sondern auch einen kleinen, figürlich gestalteten Bronzebeschlag (4,5 x 0,9 cm, Abb. 1). Auf der Schauseite ist reliefartig in halber Frontansicht eine Person mit angewinkelten Beinen und erhobenem Arm dargestellt, während die Rückseite flach und glatt gestaltet ist.

So schlicht die Darstellung auf den ersten Blick erscheint, weist sie doch eine Reihe interessanter Details auf. Von oben nach unten betrachtet, fällt zunächst die konisch zulaufende Kopfbedeckung auf. Das Gesicht ist frei, die Augen sind groß dargestellt, Nase und Mund lassen sich nur erahnen. Die Ohren schauen unter der Kopfbedeckung hervor und sind zumindest im Falle des linken Ohrs nach vorn zum Betrachter hin gerichtet. Der linke Arm ist halb erhoben, die ausgestreckte Hand befindet sich auf Höhe des Ohrs, die Handfläche weist zum Betrachter. Die rechte Hand hält einen Gegenstand, bei dem es sich um einen Becher oder ein Trinkhorn handeln könnte, der Arm ist vor dem Körper angewinkelt. Der Unterleib ist durch ein rockartiges, in Falten gelegtes Gewand bedeckt.

Das rechte Bein ist von der Seite zu sehen, der Fuß leicht nach unten abgewinkelt. Unterhalb des Fußes setzt der längliche Körper eines Tieres, vermutlich einer Schlange, an, der in einem Tierkopf endet. Dieser ist durch eine bandartige Einschnürung vom Körper abgetrennt und weist mit der Schnauze nach unten. Die Augen sind klar zu erkennen, weniger deutlich auch die Ohren.

Einen Schlüssel zum Verständnis der Darstellung liefert der Tierkopf. Er erinnert an wikingische Vorbilder, die sich in der Tradition vendelzeitlicher Fibelfüße finden und später in den verschiedenen Tierstilen aufgingen. Mit einer gewissen Berechtigung kann also eine Datierung in die Wikinger- bzw. Slawenzeit angenommen werden. In diesem Kontext lassen sich durchaus Entsprechungen zu bestimmten Attributen und Ausstattungsmerkmalen finden. So sind konische Kopfbedeckungen gleichermaßen bei Slawen wie Wikingern belegt, wobei nicht immer sicher zu unterscheiden ist, ob es sich um einen Helm oder eine Mütze handelt. Die Bekleidung kann als Kittel oder Pumphose verstanden werden. Letztere wurden von Wikingern unter orientalischem Einfluss getragen, wie Darstellungen aus Nowgorod und Schweden zeigen. Von besonderem Interesse ist die Deutung des Gegenstandes in der rechten Hand, bei dem es sich um einen Becher oder ein Trinkhorn handeln kann.

Eine mögliche Deutung ergibt sich aus der nordischen Mythologie. In den Erzählungen der Edda trifft Thor mehrfach auf die Midgardschlange, bevor er sie bei der Götterdämmerung Ragnarök töten kann. Auf seiner Reise zum Riesen Hymir trifft Thor bei einer Bootsfahrt erstmals auf die Midgardschlange. Nur durch Hymirs Handeln gelingt ihr dort die Flucht. Zornig schlägt Thor den Riesen mit einer Ohrfeige zu Boden. Ein weiteres Kräftemessen zwischen Thor und Hymir stellt die Episode mit einem magischen Becher dar, den Thor zu zerbrechen ersucht wird. In der Edda finden sich demnach Hinweise auf einen magischen Becher, auf eine Schlange und auf die zum Schlag erhobene Hand, mit der Thor Hymir ohrfeigt.

Eine andere Deutungsoption ist mit Benedikt von Nursia (480-547) verbunden. Eine Episode seines Lebens handelt von einer Revolte der Mönche von Vicovaro (Italien), bei der diese versuchen, den Ordensgründer zu vergiften. Diese Geschichte führte dazu, dass der heilige Benedikt in späterer Zeit mit den Attributen "Kelch/Becher" und "Schlange" – als Symbol des vergifteten Weins – dargestellt wurde (Giorgi 2003, 58–62; Sitar 2012, 35, Kat. Nr. 1.8). Dementsprechend ließe sich an diese christliche Episode aus dem Leben Benedikts und durch eine Verbreitung durch Missionstätigkeit an eine Umsetzung in slawisch/wikingische Verhältnisse denken.

Funktional ist das Fundstück aus Heinrichshof als Beschlag einzuordnen, der auf einem Messergriff oder einer anderen organischen Unterlage befestigt war. In einem der beiden Nietlöcher befand sich noch ein 0,5 cm langer und 0,1 cm dicker, beidseitig gestauchter Niet.

Als seltenes Zeugnis slawisch-wikingischer Kleinkunst ist der Beschlag von besonderer Bedeutung, auch wenn es sich "nur" um einen Fund aus dem Oberboden handelt, der keinem der bei der Grabung dokumentierten Befunde zugeordnet werden kann. Eine ausführliche Publikation ist in den Archäologischen Berichten aus Mecklenburg-Vorpommern vorgesehen.

Dr. Andreas Selent

Literatur:

Biermann 2014: Felix Biermann, Ein "Götterbildbeschlag" aus der Uckermark als Zeugnis mittelalterlicher Glaubensvorstellungen im nordwestslawischen Raum. – Praehistorische Zeitschrift 89, 2014, 390–403.

Gabriel 1988: I. Gabriel, Hof- und Sakralkultur sowie Gebrauchs- und Handelsgut im Spiegel der Kleinfunde von Starigard/Oldenburg. – Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 69, 1988, 103–291.

Gabriel/Muhl 1994: I. Gabriel/A. Muhl, Der slawische Trinkhornmann von Seehausen, Lkr. Börde – Präsentation und Interpretation einer frühmittelalterlichen Kleinskulptur. – Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 94, 1994, 399–416.

Giorgi 2003: R. Giorgi, Die Heiligen. Geschichte und Legende. – Bildlexikon der Kunst 2. Berlin 2003.

Gräslund 2008: A.-S. Gräslund, Die Wikinger in Schweden. In: Die Wikinger. Begleitbuch zur Ausstellung "Die Wikinger" im Historischen Museum der Pfalz Speyer, 64–73. München 2008.

Heindel 1990: I. Heindel, Riemen- und Gürtelteile im westslawischen Siedlungsgebiet. – Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg 23. Berlin 1990.

Herrmann 1985: J. Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland. Ein Handbuch. – Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 14. Berlin 1985.

Krauße/Steuer 2006: D. Krauße/H. Steuer, Stichwort "Trinkhorn". – RGA2, 31, 2006, 239–259.

Mäkeler 2008: H. Mäkeler, Die Wikinger im Frankenreich. In: Die Wikinger. Begleitbuch zur Ausstellung "Die Wikinger" im Historischen Museum der Pfalz Speyer, 226–239. München 2008.

Nylén/Lamm 1991: E. Nylén/J. P. Lamm, Bildsteine auf Gotland. Neumünster 19912.

Schirren 2016: C. M. Schirren, Orakeltrunk oder Walkürengruß? Eine Hand mit Trinkhorn aus Groß-Strömkendorf, Lkr. Nordwestmecklenburg. – Materiały Zachodniopomorskie, Nowa Seria XII, 2016, 227–238.

Sitar 2012: G. Sitar, Katalogteil zu B. Ellegast, Das Leben des hl. Benedikt. In: A. Wieczorek/G. Sitar (Hrsg.), Benedikt und die Welt der frühen Klöster. – Publikation der Reiss-Engelhorn-Museen Bd. 50. Begleitband zur Sonderausstellung "Benedikt und die Welt der frühen Klöster" in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim vom 13. Mai 2012 bis 13. Januar 2013. Regensburg 2012.

Steinsland 1992: G. Steinsland, Altnordisches Heidentum. In: Wikinger Waräger Normannen. Die Skandinavier und Europa 800–1200. – XXII. Kunstausstellung des Europarates. Altes Museum Berlin. 2. September bis 15. November 1992. Uddevalla 1992,144-151.

Williams 2014: G. Williams, Krieg und Eroberung. In: Die Wikinger. Katalog zur Ausstellung "Die Wikinger" im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin vom 10. September 2014 bis 4. Januar 2015, 76-115. München 2014.

Wilson/Hall 1992: D. M. Wilson/R. Hall, Die Skandinavier und die Britischen Inseln. In: Wikinger Waräger Normannen. Die Skandinavier und Europa 800–1200. – XXII. Kunstausstellung des Europarates. Altes Museum Berlin. 2. September bis 15. November 1992. Uddevalla 1992, 96-105.

Zu den Gesta Danorum:

Saxo Grammaticus: Gesta Danorum. Hrsg.: J. Olrik und H. Ræder. Copenhagen 1931-1957. Royal Library Kopenhagen (http://wayback-01.kb.dk/wayback/20100504153427/http://www2.kb.dk/elib/lit/dan/saxo/lat/or.dsr/14/39/index.htm).

Zur Edda, Hymirlied:

F. Genzmer (Übersetzung)/K. Schier (Einleitung)/B. Rauschenbach (Redaktion), Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen. Vollständige Ausgabe. München 1992.

R. Simek, Lexikon der germanischen Mythologie. – Kröners Taschenbuchausgabe Bd. 368. Stuttgart 1984.

Zum Teppich von Bayeux:

W. Grape, Der Teppich von Bayeux. Triumphdenkmal der Normannen. München 1994.

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