Mittelalterliche Schiffbaukunst vom Feinsten: Das "Große Schiff von Wismar"

Fund des Monats Juni 2019

Abb. 1: Wismar, Ostsee II, Fpl. 32. Das Wrack nach der Freilegung in 3-4 m Wassertiefe. Der Bug befand sich rechts.Details anzeigen
Abb. 1: Wismar, Ostsee II, Fpl. 32. Das Wrack nach der Freilegung in 3-4 m Wassertiefe. Der Bug befand sich rechts.

Abb. 1: Wismar, Ostsee II, Fpl. 32. Das Wrack nach der Freilegung in 3-4 m Wassertiefe. Der Bug befand sich rechts.

Abb. 1: Wismar, Ostsee II, Fpl. 32. Das Wrack nach der Freilegung in 3-4 m Wassertiefe. Der Bug befand sich rechts.

Zwischen 1184 und 1190 wurden im heutigen Westschweden Eichen und Kiefern für den Bau eines großen Handelsschiffs geschlagen. Erfahrene Schiffbauer schufen daraus mit handwerklicher Präzision ein großes, klinkergebautes Handelsschiff, das schon wenige Jahre später seine letzte Fahrt an die südliche Ostseeküste antrat, wo es in der Wismarbucht versank. Im sandigen Schlick blieb fast die gesamte Backbordseite erhalten, teilweise bis über das Deck hinaus (Abb. 1). Ende 2017 wurde das Wrack unter Wasser dokumentiert (Abb. 2), anschließend in Einzelteilen geborgen (Abb. 3) und an Land detailliert untersucht (Abb. 4).

Es handelt sich um den bislang besterhaltenen und vollständigsten Fund eines Schiffstyps, der in wenigen Exemplaren aus dem Ostseeraum und von der norwegischen Westküste ("Großes Schiff von Bergen") bekannt ist. Er kennzeichnet die Übergangsphase von wikingerzeitlichen Bautraditionen zum nordischen Klinkerschiffbau des Mittelalters. Durch die Bordwand geführte Balken, später ein übliches Baumerkmal, tauchen an den Schiffen von Wismar und Bergen erstmalig auf.

Betrachtet man die erhaltenen Teile des Wismar Schiffs, so ergibt sich das Bild eines sorgfältig gebauten (Abb. 5) und wenig genutzten Fahrzeugs ohne Reparaturspuren. Der archäologische Befund zeigt allerdings auch, dass sich im 10. Plankengang mittschiffs ein großes Loch in der Außenhaut des Fahrzeugs befindet, welches offenbar bereits zum Zeitpunkt der Aufgabe des Fahrzeugs entstanden ist. Ebenso sicher ist, dass zumindest der Kiel des Schiffs während oder nach der Aufgabe entfernt wurde.

Die Lage des Wracks im Flachwasserbereich am Rande einer geschützten Bucht macht ein Seeunglück unwahrscheinlich. Der gute Zustand der erhaltenen Schiffsteile kann eher als Hinweis auf eine versuchte Reparatur als auf ein altersbedingtes Abwracken gedeutet wer­den. Möglich wäre zum Beispiel, dass das Schiff im flachen Wasser auf die Backbordseite gekrängt wurde, um einen Schaden am Kiel zu beheben, oder aber den Kiel auf Schäden zu untersuchen. Warum die geplante Reparatur nicht ausgeführt wurde, bleibt unklar.

Möglicherweise gab es erhebliche Schäden, wel­che eine Reparatur unmöglich oder aber unöko­nomisch machten. Sicher ist, dass das Schiff im flachen Wasser auf der Backbordseite liegen blieb. Die Sedimente im Wrack sprechen für eine lang­same Akkumulation über einen längeren Zeitraum, offenbar ist das Wrack also an Ort und Stelle liegen geblieben und langsam ein­sedimentiert.

Kiel, Steven, die meisten Balken und der Mast wur­den entweder zum Zeitpunkt der Aufgabe oder aber im Zeitraum danach entfernt. Alle diese Höl­zer konnten relativ einfach entnommen werden und besaßen einen hohen Wiederverwendungswert.

Das "Große Schiff von Wismar" war etwa 24 bis 26 m lang, 8 m breit und konnte bei 3 m Seitenhöhe etwa 50-60 t Last tragen. Der Bau solch großer, seegehender Handelsschiffe brauchte enorme Ressourcen. Sie werden deshalb als Indikatoren für professionalisierten See­handel mit Massengütern verstanden. Als Eigentümer werden reiche Kaufleute, Mitglieder des Adels oder des Klerus vermutet.

Auch das "Große Schiff von Wismar" muss in diesem Kontext gesehen werden. Die Bau- und Nutzungs­phase des Schiffs fällt in die Zeit des florierenden dänischen Seehandels unter der Herrschaft Knut VI. und Valdemar II. Der Fund des Wracks an der südlichen Ostseeküste, zu dieser Zeit Teil des dänischen Herrschafts­bereichs, ist daher wenig überraschend. Inter­essant sind jedoch die Rückschlüsse, die sich für die Geschichte der Stadt Wismar ergeben. Offensichtlich gab es mit dem 1209 erwähnten "portus Wissemer" bereits vor der Stadtgründung einen Hafen, der wichtig genug war, um von einem großen skandinavischen Handels­schiff angelaufen zu werden.

Dr. Jens Auer

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