Heimat-Front. Das Trainingsgelände für den Grabenkampf in der „Försterhofer Heide“

Fund des Monats Oktober 2024

Abb. 1: Soldaten des kaiserlichen Heeres im Training für den Grabenkampf. Ausschnitt aus der Postkartenserie eines Übungsplatzes bei Hannover.Details anzeigen
Abb. 1: Soldaten des kaiserlichen Heeres im Training für den Grabenkampf. Ausschnitt aus der Postkartenserie eines Übungsplatzes bei Hannover.

Abb. 1: Soldaten des kaiserlichen Heeres im Training für den Grabenkampf. Ausschnitt aus der Postkartenserie eines Übungsplatzes bei Hannover.

Abb. 1: Soldaten des kaiserlichen Heeres im Training für den Grabenkampf. Ausschnitt aus der Postkartenserie eines Übungsplatzes bei Hannover.

Vor fast genau 110 Jahren begann mit dem 1. Weltkrieg eine der globalen Katastrophen der Neuzeit, in deren Gefolge gewaltige politische Umwälzungen und schließlich auch der 2. Weltkrieg mit den bekannten Folgen stehen. Im kollektiven Gedächtnis spielte der erste auf industrieller Hochrüstung basierende Konflikt, der in nur vier Jahren zwischen 1914 und 1918 unvorstellbare hohe Zahlen menschlicher Opfer (davon ca. 8.500.000 Soldaten und 6.000.000 Zivilisten) verursachte, vor allem bis zum Beginn des 2. Weltkrieges eine Rolle. Für die Bürger und beteiligten Soldaten des deutschen Kaiserreiches und die Zeit der Weimarer Republik bedeutete dieser Krieg in erster Linie ein nicht selten traumatisierendes Fronterlebnis. Trotzdem waren große Teile des Reiches nur mittelbar vom Krieg betroffen, wobei die Versorgungskrise an der Heimat-Front mit dem „Steckrübenwinter“ 1916/17 und rund 800.000 Hungertoten im Deutschen Reich kollektiv besonders im Gedächtnis blieb ("Gott mit uns" -Wie begann der 1. Weltkrieg in Stralsund).

Militärisch entwickelte sich der Konflikt zwischen dem Kaiserreich mit seinen Verbündeten und der Allianz (sogenannte Entente mit Russland, Frankreich, England und später die USA) an den verschiedenen Fronten anders als von den militärischen Strategen geplant und erwartet. Der Vormarsch der kaiserlichen Armee an der Westfront erreichte zwar im September 1914 den französischen Fluss Marne, doch die verlustreichen Kämpfe der Verbündeten gegen das deutsche Heer vom 5. bis 12. September 1914 führten zu einer erstarrten Front. Das lange Zeit vorherrschende militärtaktische Konzept des bedingungslosen Angriffs war wegen der hohen Verluste nicht mehr haltbar. Zwischen November 1914 und März 1918 wurde gerade im Westen, d. h. Frankreich und Belgien, fortan ein erbitterter Stellungskrieg ausgetragen. Ursprünglich als Bewegungskrieg geplant, entwickelte sich der Konflikt zu einem zähen Ringen um immer nur wenig veränderliche Frontlinien. Die Soldaten gruben sich regelrecht ein, um den Angriffen des Gegners zu entgehen (Tony Ashworth, Trench Warfare 1914-1918. The Live and Let Live System [London 2000]; Oliver Richter, Grabenkrieg. German Trench Warfare Vol. 1 & 2. Tankograd – World War One. Imperial German Army Weapons and Soldiers of the Great War 1914-1918, Nr. 1005 & 1006 [Erlangen 2012]). Unvorstellbare Mengen an Kriegsmaterial, hohe Opferzahlen und zugleich nur geringe Geländegewinne prägten das Bild. Für den als Grabenkrieg bezeichneten Kampf sind ikonische Bilder der gnadenlosen Zerstörung und des Kampfes Mann gegen Mann im kollektiven Gedächtnis verblieben. Diesem enthemmten Töten hat der Schriftsteller und Pazifist Erich Maria Remarque 1928 mit seinem Roman „Im Westen nichts Neues“ gewissermaßen ein Mahnmal gegenübergestellt.

Das im Folgenden vorgestellte Objekt ist im Rahmen der systematischen Erfassung von oberirdisch erkennbaren Bodendenkmalen identifiziert worden. Auch wenn es sich um ein vergleichsweise „junges“ Denkmal handelt, so ergeben sich seine Denkmaleigenschaft und sein Denkmalwert durch den besonderen und nach wie vor anschaulichen Zeugniswert als historische Quelle zur Militärgeschichte (Beispiele für andere neuzeitliche militärgeschichtliche Denkmäler in der Rubrik „Fund des Monats“: Fingerabdrücke des "Kalten Krieges"… ein Laserscan aus dem Abtshäger Forst, Lkr. Vorpommern-Rügen und Unheimlicher Beton im Wald bei Malchow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte).

Bereits 1892 stellte die Verwaltung der Garnison (I. bis III. Füsilier-Bataillon des Infanterieregiments Prinz Moritz von Anhalt-Dessau Nr. 42) einen Antrag auf Pacht bei der Stadt für ein Moor- und Heidegelände in der Gemarkung Zitterpenningshagen, welches dem Kloster zum Heiligen Geist gehörte (Für die freundliche Unterstützung bei der Aktensichtung sei Dr. A. Neumerkel, Stadtarchiv Stralsund, herzlich gedankt). Das für ackerbauliche Nutzung wenig geeignete Gelände war durch die Bahnlinie Stralsund-Grimmen verkehrstechnisch gut erschlossen und bot mit seinen rund 80 Hektar Fläche ein ausreichendes Übungsgelände für Truppen der Infanterie. Dass bereits früher dort Schießübungen stattfanden, zeigt die Eintragung „Kugelfang“ an der Westgrenze des späteren Exerzierplatzes (Gemarkung Zitterpenningshagen, Lkr. Vorpommern-Rügen) in der dem Pachtvertrag beigefügten Karte. Genutzt wurde das Gelände teilweise auch in den 1920er und 30er Jahren, u. a. als provisorischer Flugplatz. Nach dem 2. Weltkrieg war es Übungsplatz für kleinere Gefechtsübungen der Bereitschaftspolizei bzw. Nationalen Volksarmee der DDR. In den Jahren 1992/93 erfolgte die Festlegung als Naturschutzgebiet wegen der besonders erhaltenswerten Trockenrasen- und Moorlandschaft. Der nördliche Teil des Gebiets, der für die folgenden Betrachtungen von besonderer Bedeutung ist, wurde nach dem 2. Weltkrieg mit Kiefern bepflanzt und war dadurch vor flächigen Veränderungen besonders geschützt. Bereits im ersten Pachtvertrag war dem Militär aufgegeben, den Ursprungszustand des Geländes nach Ablauf der Pachtzeit wiederherzustellen. Dass dies nicht erfolgte, ist für die historische Forschung und Denkmalpflege ein Glücksfall. Denn in den digitalen Geländemodellen des Airborne-Laserscans sind deutlich Strukturen identifizierbar, die auf Spuren militärischer Übungen zur Zeit des 1. Weltkrieges verweisen und deren Form von den Fronten im Westen wohlbekannt ist.

Auf ca. 9 Hektar Fläche ist ein Areal mit Ost-West und Nord-Süd verlaufenden Gräben durchzogen. Die Ost-West-Gräben haben einen gezackten, „zinnenartigen“ Verlauf mit vor- und rückspringenden Wänden. Die Nord-Süd verlaufenden Gräben sind s-förmig gewunden und verbinden den getreppten, doppelten Graben im Norden mit dem einfachen im Süden. Westlich des Grabensystems befindet sich eine Art Bypass-Graben. Östlich der Grabenwerke liegt eine viereckige Erdkonstruktion von je 30 m Kantenlänge. Zwischen den Gräben sind eine Vielzahl von kraterförmigen Vertiefungen und kleinen ringwallartigen Stellungen (Durchmesser ca. 10 m) erhalten. Ob hier z. B. mit Granatwerfern geübt oder absichtlich ein durch artilleristischen Beschuss „frontähnliches“ Gelände geschaffen wurde, ist nicht zu entscheiden (Dr. Johannes Müller-Kissing, Essen, sei herzlich für die Diskussion und militärtaktische Bewertung des Übungsgeländes im Detail gedankt. Außerdem stellte er aus seiner Sammlung Fotos zur Verfügung). Vielleicht hat hier auch die militärische Nachnutzung späterer Jahrzehnte Spuren hinterlassen. Die Verteidigung war Nord-Süd ausgerichtet, d. h. die Verteidigung erfolgte nach Süden. Die unter Abb. 3 dargestellte Interpretation orientiert sich an vergleichbaren Übungsplätzen bzw. Darstellungen in zeitgenössischen militärischen Handbüchern.

Mit Sicherheit geht die vorliegende Form der Gräben in der Försterhofer Heide auf standardisierte Feldbefestigungen der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zurück. Auffällig erscheint aber, dass Beobachtungen an der aktuellen Front aufgenommen und wohl in der Zeit um 1915 eingefügt worden sind. Vermutlich spiegeln sich erste Erfahrungen mit dem Stellungskrieg in Gräben während des Spätherbstes 1914 vor allem an der Westfront. Folglich begann man, die militärische Ausbildung um diese spezielle Form der Kampfführung zu erweitern. Mit der realistischen Dimensionierung von Kampfgräben sollten die übenden Eingezogenen, Reservisten und Frontsoldaten auf die aus militärisch-taktischer Sicht neue Situation des Gefechts an den festgefahrenen Fronten vorbereitet werden. Hier an der Heimat-Front wurden taktische Bewegungen und der technische Umgang gedrillt. Nur auf das reale Grauen des Krieges in seiner ganzen Brutalität konnte das Üben im pommerschen Sand die Soldaten nicht vorbereiten. Das Infanterieregiment Prinz Moritz von Anhalt-Dessau Nr. 42, auch das 5. Pommersche genannt, kämpfte als Teil der 3. Division bis in den späten November 1914 an der Westfront, wurde dann in den Osten gegen Russland verlegt und nahm erst am Ende des Krieges in der ersten Novemberhälfte 1918 bis zum Waffenstilstand und Kriegsende wieder an den Schlachten der Westfront in Flandern teil.

Übungsplätze vergleichbarer Art wird es im Deutschen Reich viele gegeben haben, doch blieben nur wenige Zeugnisse der militärischen Ausbildung des 1. Weltkrieges an der „Heimat-Front“ erhalten. Dies liegt vor allem auch an der kontinuierlichen Weiternutzung von Truppenübungsplätzen, teilweise bis in die Gegenwart, die ältere Spuren verwischt und überprägt hat. Dies sieht in Großbritannien etwas anders aus. Dort gibt es traditionell ein ausgeprägtes, in Forschung und Gesellschaft verankertes Interesse an der jüngeren Geschichte. Dies zeigt sich daran, dass diese Spuren der „Practice-Trenches“ als nationales Erbe verstanden werden und sie selbstverständlicher Teil historisch-archäologischer Untersuchungen und Dokumentationen sind (Militärische Stätten des Ersten Weltkriegs; Übersicht zu allen bekannten Übungsplätzen des 1. Weltkrieges in Großbritannien). Erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich sind Beispiele von Übungsgräben des 1. Weltkrieges z. B. bei Shoreham-by-Sea, Sussex, Pullingshill Wood, Buckinghamshire und Penally, Pembrokeshire.

Nicht Trainingszwecken, sondern der motivierenden Erläuterung und Akquise von Spenden für die Frontsoldaten diente ein als „Meding-Schanze“ bezeichneter, 1916 errichteter Schaugraben bei Halberstadt im heutigen Sachsen-Anhalt. Die saubere, idealisierende Ausführung, die ausdrücklich dem zivilen Besuch der Bevölkerung und Soldaten gewidmet war, hatte allerdings wenig mit der schmutzigen Realität an den Fronten selbst zu tun. Das Halberstadter Grabenwerk ist noch heute ein Denkmal der Kriegsgeschichte, touristisches Ausflugsziel und Kulisse von Reenactment-Inszenierungen. Aktuell wird eine modifizierte Form des Grabenkrieges in der Ukraine an verschiedenen Fronten praktiziert, da auch dort – vielleicht vergleichbar zur Situation des Kriegsbeginns in Frankreich und Belgien im Jahr 1914 – technologische Innovationen (vor allem Drohnen) und tradierte kriegstaktische Verhaltensmuster situativ bedingt neue Anpassungen der Kampftaktik erfordern. Dies hat Auswirkungen auch auf das Übungsprogramm europäischer Streitkräfte, die sich inzwischen wieder mit dem „Grabenkampf“ in der Ausbildung der Soldaten beschäftigen müssen.

Dr. C. Michael Schirren

Fund des Monats Oktober 2024

Heimat-Front. Das Trainingsgelände für den Grabenkampf in der „Försterhofer Heide“, Gemarkung Zitterpenningshagen, Lkr. Vorpommern-Rügen

2024 - Funde des Monats

2023 - Funde des Monats

2022 - Funde des Monats

2021 - Funde des Monats

2020 - Funde des Monats

2019 - Funde des Monats

2018 - Funde des Monats

2017 - Funde des Monats

2016 - Funde des Monats

2015 - Funde des Monats

2014 - Funde des Monats

2013 - Funde des Monats

2012 - Funde des Monats

2011 - Funde des Monats

2010 - Funde des Monats

2009 - Funde des Monats

2008 - Funde des Monats

2007 - Funde des Monats