Pünktlich zum Jubiläum: Der Bildstein aus Klotzow, Lkr. Vorpommern-Greifswald

Fund des Monats Februar 2025

Abb. 1: Klotzow, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die Schauseite des Bildsteins (Höhe etwa 1 m, Breite etwa 60 cm). Das Schräglicht macht die Darstellung sichtbar.Details anzeigen
Abb. 1: Klotzow, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die Schauseite des Bildsteins (Höhe etwa 1 m, Breite etwa 60 cm). Das Schräglicht macht die Darstellung sichtbar.

Abb. 1: Klotzow, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die Schauseite des Bildsteins (Höhe etwa 1 m, Breite etwa 60 cm). Das Schräglicht macht die Darstellung sichtbar.

Abb. 1: Klotzow, Lkr. Vorpommern-Greifswald. Die Schauseite des Bildsteins (Höhe etwa 1 m, Breite etwa 60 cm). Das Schräglicht macht die Darstellung sichtbar.

Nach wie vor ist es das Privileg des Lebens, die unglaublichsten Geschichten zu schreiben. Hätte es jemals Zweifel an dieser Binsenweisheit gegeben, wären sie spätestens im Juli 2024 ausgeräumt worden, als Peter Wittenberg am Giebel seines Hauses in Klotzow (Lkr. Vorpommern-Greifswald) ein wenig Gartenerde abtrug, um das Fundament trockenzulegen. Seine Arbeit wurde schon nach wenigen Zentimetern durch ein massives Hindernis unterbrochen: Ein Findling stand oder besser lag dem weiteren Bodenabtrag im Wege.

Pragmatisch beschloss Peter Wittenberg, zunächst die Oberfläche des Findlings freizulegen und dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Kurz darauf war klar: Dieser Stein ist ein besonderer Stein. Zuerst wurde etwas sichtbar, das wie ein Paar Schuhe aussah. Dann kamen weitere eingemeißelte Linien zum Vorschein, die sich in altertümlicher Weise zur Darstellung eines Menschen ergänzten. Ein Kunsthistoriker wurde hinzugezogen und um eine Einschätzung gebeten. Etwa zeitgleich kam die Nachricht über den Fund auch bei der Landesarchäologie an. Sehr schnell war klar: Es handelt sich, so die spontane Reaktion des Kunsthistorikers Detlef Witt aus Katzenow, um eine Sensation, oder in der etwas nüchterneren Sprache der Landesarchäologie: Um einen Fund von herausragender wissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher Bedeutung.

Worauf beruhte diese Einschätzung? In die Oberfläche des Steins ist tatsächlich, in einfachen Linien, die Darstellung einer menschlichen Figur eingemeißelt. Was Peter Wittenberg als Schuhe erkannt hatte, sind tatsächlich Schuhe. Als weitere Kleidungsstücke wurden ein tunikaartiges Gewand und eine Mütze erkannt. In der erhobenen rechten Hand trägt die Figur einen Gegenstand. Das Gesicht ist einfach gezeichnet, aber die Augen sind klar zu erkennen, ebenso das Kinn. Die Haare stehen seitlich unter der Mütze hervor. Um den Hals scheint die Figur einen mehrfach gewickelten Schal zu tragen. Der wichtigste Teil der Darstellung befindet sich aber vor dem Körper: Der Schal hängt hier herab und endet vor dem Bauch in einem liegenden Rechteck, das mit einem Kreuz ausgefüllt ist.

Art und Inhalt der Darstellung erinnern stark an die sogenannten Pommerschen Bildsteine, von denen in Mecklenburg-Vorpommern fünf Exemplare bekannt sind: Je einer in Bergen und in Altenkirchen auf Rügen, einer in Grüttow bei Anklam sowie zwei in Wolgast. Weitere Bildsteine gibt es an der polnischen Ostseeküste, in Masuren und im Ermland. Insgesamt handelt es sich um etwa 15-20 Exemplare unterschiedlicher Form, die einen Menschen mit einem oder mehreren Attributen zeigen. Die Bildsteine sind nicht immer einfach zu datieren, aber über den Stilvergleich mit anderen Darstellungen und über die Art der Attribute – überwiegend Trinkhörner und Kreuze – werden sie allgemein als Zeugnisse aus der Übergangszeit von den vorchristlichen slawischen Religionen zum Christentum verstanden. Als zusätzlichen Anhaltspunkt für die Datierung könnte man auch die mit dem Grüttower Bildstein verbundene Erzählung verstehen, nach der er zur Erinnerung an den gewaltsamen Tod des Fürsten Wartislaw von Pommern (vor 1148) aufgestellt worden sei („Wartislawstein“). Hier ist allerdings Vorsicht geboten, denn diese Erzählung ist wahrscheinlich neuzeitlichen Ursprungs.

Was den Stein aus Klotzow von den anderen bekannten Bildsteinen unterscheidet, ist der vor dem Körper hängende Schal, der in einem Rechteck mit einem Kreuz endet. Bereits unmittelbar nach der Entdeckung des Steines kam der Verdacht auf, es könnte sich um die Darstellung eines Palliums handeln. Das Pallium ist eine um die Schultern gelegte, mit Kreuzen bestickte Stola, die von Päpsten, Erzbischöfen und besonders verdienten Bischöfen getragen wird. Ein Ende hängt lang vor dem Körper herab und wird so getragen, dass die aufgestickten Kreuze sichtbar sind. In der mittelalterlichen (Kirchen-)Kunst finden sich zahlreiche Darstellungen, die diese Trageweise veranschaulichen. Im Unterschied zu der Darstellung auf dem Klotzower Bildstein endet das Pallium auf diesen Darstellungen aber immer gerade, allenfalls hängen noch einige Fransen an seinem Ende.

Die Meinungen darüber, ob mit der Darstellung auf dem Klotzower Bildstein trotzdem ein Pallium gemeint sein kann, gehen auseinander. Dagegen spricht nicht nur die ungewöhnliche Form, sondern auch das Fehlen anderer bischöflicher Attribute – auf dem Stein ist weder ein Bischofsstab noch eine Mitra dargestellt, auch kein aufgeschlagenes Buch. Andererseits muss dem Schöpfer des Klotzower Bildsteins zugute gehalten werden, dass ihm keine Vorlagen für die Darstellung zur Verfügung standen. Die Bilderwelt aus den bereits christianisierten Gebieten hatte Pommern zu dieser Zeit sicher noch nicht erreicht. Die Darstellung muss also aus dem Gedächtnis entstanden sein, vielleicht nur nach einem kurzen Blick auf einen christlichen Würdenträger mit einem Pallium.

Sucht man nach solchen christlichen Würdenträgern, die im 12. Jahrhundert, der wahrscheinlichen Entstehungszeit des Klotzower Bildsteins, in Pommern unterwegs waren, ist die Auswahl sehr klein: Tatsächlich kommt nur Bischof Otto von Bamberg in Frage, der 1124 und 1128 Missionsreisen nach Pommern unternahm, um die slawische Bevölkerung zu christianisieren. Otto hatte das Pallium 1111 von Papst Paschalis II. verliehen bekommen.

An diese Überlegungen schließt sich die Frage an, was die Figur in der rechten Hand hält. Auch darauf gibt es noch keine abschließende Antwort und vielleicht wird es sie auch nie geben, denn die eingemeißelten Linien lassen sowohl die Deutung als Trinkhorn als auch als eine Art Banner zu. Die Darstellung eines Trinkhorns wäre für Pommern nicht ungewöhnlich, wie ein Blick auf die Bildsteine aus Grüttow, Altenkirchen und Bergen zeigt. Banner wurden dagegen auf den Pommerschen Bildsteinen noch nicht identifiziert. Ihre Existenz ist aber auch nicht ganz auszuschließen, denn die Attribute der Figuren auf den Bildsteinen aus Grüttow und Wolgast („Gerovitstein“) sind nicht klar erkennbar.

Interessanterweise kommt die Kombination aus (christlichem) Kreuz und Trinkhorn auf den Bildsteinen mehrfach vor: Die Figur auf dem Bildstein von Bergen hält in der erhobenen linken Hand ein Kreuz, in der rechten Hand ein Trinkhorn vor dem Körper. Die „Vorderseite“ des Grüttower Bildsteins zeigt Trinkhorn und Kreuz nebeneinander. Wegen der scheinbaren Unvereinbarkeit der Symbole – das christliche Kreuz und das als Ausdruck der slawischen Religionen angesehene Trinkhorn – wird gelegentlich angenommen, das Kreuz sei nachträglich eingemeißelt worden. Das erscheint aber für den Bergener Bildstein unwahrscheinlich, da das Kreuz auf ihm erhaben dargestellt ist, also kaum nachträglich eingemeißelt worden sein kann. Auf dem Grüttower Bildstein tritt das Trinkhorn neben dem wuchtigen Kreuz so an den Rand, dass man sich auch bei ihm nicht vorstellen kann, dass das Kreuz nachträglich eingemeißelt wurde.

Vielleicht wurde die gemeinsame Darstellung von Kreuz und Trinkhorn im Pommern des 12. Jahrhunderts also gar nicht als so unvereinbar empfunden, wie sie uns heute erscheint. Der Bildstein aus Klotzow könnte diese Annahme unterstützen, denn auch hier wirkt das Kreuz nicht wie nachträglich eingearbeitet. Weder überschneidet es sich mit anderen Teilen der Darstellung, noch unterscheidet es sich in der technischen Machart von den anderen eingemeißelten Linien. Auch in der Gesamtkomposition der Darstellung, in der es den zentralen Platz einnimmt, wirkt das Kreuz absolut stimmig.

Ist es also denkbar, dass das Trinkhorn auf den Bildsteinen gar nicht als heidnisches Symbol gemeint ist? Offenbar gelangten im Mittelalter nicht wenige Hörner in den kirchlichen Gebrauch, indem sie im Anschluss an eine profane Verwendung sakralisiert oder indem sie direkt für den „kirchlichen Dienst“ geschaffen wurden. Ein Dissertationsprojekt an der Universität Köln verspricht neue Erkenntnisse zu dieser offenbar bisher kaum erforschten Objektgruppe.

Der Bildstein von Klotzow gibt also noch eine Reihe von Rätseln auf. Insgesamt sind die Pommerschen Bildsteine ein eher sprödes Forschungsobjekt, was sich darin widerspiegelt, dass die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema sehr überschaubar ist. Leider befindet sich auch keiner der in Mecklenburg-Vorpommern bekannten Bildsteine mehr in seiner ursprünglichen Lage. Alle wurden im Laufe der Geschichte schon mindestens einmal bewegt. Auch der Klotzower Bildstein befand sich nicht mehr an seinem ursprünglichen Standort, sondern war in sekundärer Nutzung als Trittstein oder Stufe an das Fundament des Hauses transportiert worden, vor dem er jetzt gefunden wurde.

Es ist also offen, ob die Bildsteine ursprünglich aufrecht standen, wofür einiges spricht, oder ob sie in einigen Fällen vielleicht auch lagen. Ebenso offen ist ihre Funktion. Denkbar ist, dass sie als Gedenkstein, Sühnestein oder Grabstein aufgestellt wurden, möglich ist aber auch, dass einige von ihnen als Grabplatte verwendet wurden. Durch den Verlust des ursprünglichen Fundkontextes – siehe oben – kann darüber leider nur spekuliert werden.

Die große Frage, die sich am Ende stellt, ist, ob ein Zusammenhang zwischen dem Klotzower Bildstein und den Missionsreisen Otto von Bambergs, die ihn 1124 und 1128 nach Pommern führten, hergestellt werden kann. Die Antwort lautet salomonisch: Das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder bestätigen noch ausschließen. Der Verdacht, dass die Darstellung in regionaler Ausdeutung einen christlichen Würdenträger mit einem Pallium zeigt, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Vor diesem Hintergrund ist es wirklich sensationell, dass Peter Wittenberg den Stein ausgerechnet 2024 fand, also in dem Jahr, in dem sich die erste Missionsreise des Bischofs Otto von Bamberg nach Pommern zum 900. Mal jährte.

Dr. Detlef Jantzen, Dr. Lars Saalow

Literatur:

Albrecht, Christoph: Slawische Bildwerke. Mainzer Zeitschrift 23, 1928, 46-52.

Biermann, Felix: Bischof Otto von Bamberg in Pommern – die Missionsreisen und ihre Wirkung im archäologischen Bild. In: Bischof Otto von Bamberg in Pommern. Studien zur Archäologie Europas 30, Bonn 2017, 97-147.

Holtz, Adalbert: Die pommerschen Bildsteine. Baltische Studien, Neue Folge 52, 1966, 7-30.

La Baume, Wolfgang: Bildsteine des frühen Mittelalters aus Ost- und Westpreußen. Blätter für deutsche Vorgeschichte 5, 1927, 1-11.

Langenheim, Kurt: Gedanken über die west- und ostpreußischen Bildsteine. In: Festschrift für Gustav Schwantes. Neumünster 1951, 230-233.

Pogoda, A.: Das Steinbild von Pientken, Kreis Lyck. Prussia 28, 1928, 369-371.

Ruchhöft, Fred: Arkona. Glaube, Macht und Krieg im Ostseeraum. Schwerin 2018.

Wienecke, Erwin: Untersuchungen zur Religion der Westslawen. Forschungen zur Vor- und Frühgeschichte 1, Leipzig 1940. Anhang I: Zum Problem der sogenannten „Babasteine“, 293-299.

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