Ausschuss und Opfergabe? Flintplanken aus Lubkow am Kleinen Jasmunder Bodden (Rügen)

Fund des Monats Januar 2025

Abbildung 1: Lubkow, Lkr. Vorpommern-Rügen. Erste Sichtung der Bestandteile des Hortes durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Wolfram Pitzke (Sassnitz).Details anzeigen
Abbildung 1: Lubkow, Lkr. Vorpommern-Rügen. Erste Sichtung der Bestandteile des Hortes durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Wolfram Pitzke (Sassnitz).

Abbildung 1: Lubkow, Lkr. Vorpommern-Rügen. Erste Sichtung der Bestandteile des Hortes durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Wolfram Pitzke (Sassnitz).

Abbildung 1: Lubkow, Lkr. Vorpommern-Rügen. Erste Sichtung der Bestandteile des Hortes durch den ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Wolfram Pitzke (Sassnitz).

Mit Beginn der Menschwerdung wird Stein als Werkzeug und Werkstoff eingesetzt. Mittels zunehmend komplexer Technologien lernte der Mensch, verschiedenste Gesteine trotz ihrer Härte und Sprödigkeit immer besser zu beherrschen. Steingeräte und die Fähigkeit, Gesteine zu bearbeiten, waren wesentliche Grundlagen kultureller Entwicklung. Die archäologische Forschung kann bei der Begutachtung von Steinartefakten nicht mehr direkt auf das Wissen des Menschen der Urgeschichte zurückgreifen. Stattdessen ist sie darauf angewiesen, Geräte aus Stein analytisch nach Merkmalen, die am Objekt direkt ablesbar sind, zu beurteilen. So kommt man allmählich dem technischen Verständnis des Menschen auf die Spur. Die Erfassung typologisch-technologischer Merkmale wird in der modernen Archäologie durch statistische Verfahren ergänzt und verfeinert. Steinzeitlichen Artefakten und Techniken ihrer Herstellung widmet sich die experimentelle Archäologie, z.B. durch Nachbau von Steingeräten und Nachempfinden vorgeschichtlicher Techniken. Im Interesse der Forschung stehen aber nicht nur die Geräte aus Stein, sondern auch der sprichwörtliche „Abfall“, also das, was bei der Herstellung übrig und liegen blieb. Die Lage der Abfälle weist nicht selten auf die Orte der Herstellung selbst hin, was z.B. eine Möglichkeit eröffnet, arbeitsteilige Prozesse und Arbeitsorganisation in Siedlungen und ihrem Umfeld zu erforschen.

Beim Bau einer Druckwasserleitung im Frühjahr 2024 am Südufer des Kleinen Jasmunder Boddens auf der Insel Rügen traten ungewöhnlich geformte Feuersteinstücke im Baggeraushub auf. Sie stammten aus der fast 4 m tiefen Startgrube für den Horizontalbohrer. Der Fund wurde über den Mitarbeiter der Baufirma, Leon Duch, den ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern Rene Schön und Wolfram Pitzke gemeldet, die den Fundplatz umgehend aufsuchten und auch die Landesarchäologie informierten. Eine nachträgliche Durchsicht des Baggergutes ergab, dass hier ein Konvolut in Form einer Deponierung von Planken vorliegen dürfte, bei denen es sich um ein frühes Bearbeitungsstadium bei der Beilklingenherstellung handelt.

Der Fundort (Lubkow, Lkr. Vorpommern-Rügen, Fpl. 20; Inv.-Nr. der Funde: ALM 2024/231,1–16) liegt auf einem Strandwallrücken, etwa 2, 5 m über dem heutigen Wasserspiegel des Boddens und nur 60 m vom offenen Wasser entfernt. Nach Beobachtungen der Baufirma und nachträglichen Sondierungen liegt der Strandwall auf einer Torfschicht auf, die sehr wahrscheinlich im Rahmen der Litorina-Transgression überflutet wurde. Die insgesamt 16 Flintplanken mit Längen zwischen 15,8 cm und 26,7 cm konnten durch die 14C-Datierung organischer Reste, die sich an einigen Stücken erhalten hatten, in die Zeit um 2500 v. Chr. datiert werden. Sie gehören damit in die Einzelgrabkultur des Nordischen Jungneolithikums. Auffällig ist, dass es sich bei den Planken, mit einem Gesamtgewicht von rund 22 kg, um Vorarbeiten für verschiedene Typen von Beilklingen handelt, die aber sichtlich schlecht gearbeitet oder defekt sind. Viele der Stücke weisen Risse und Bruchstellen auf, die eine weitere Verarbeitung unmöglich machten. Für die ausführliche Diskussion um angewandte Schlagtechniken und erkennbare Fehler im Ausgangsmaterial sowie bei der Bearbeitung sei den erfahrenen „Flintknappern“ (dieser englische Begriff steht für experimentelle Flintschläger) Marquardt Lund M.A. (Hamburg), Kai Martens (Hitzacker) und Wulf Hein (Frankfurt) herzlich gedankt. Andere Stücke tragen Merkmale von „handwerklichen“ Problemen, z.B. in Form falsch geführter Abschlagwinkel. Es erstaunt deshalb, dass man die eigentlich weitgehend für eine weitere Verarbeitung nutzlosen oder nur noch eingeschränkt brauchbaren Planken, von ihrem ursprünglichen Bearbeitungsort entfernt, hier deponierte. Kliffs und Erosionskanten an Seen und Flüssen waren im norddeutschen Raum Hauptrohstoffquelle des steinzeitlichen Handwerks, wo man die als eiszeitliches Geschiebe natürlichen Flintknollen aufsammelte. Oft wurden erste Bearbeitungen zu Grundformen direkt an Ort und Stelle durchgeführt, spätere Feinzurichtungen oder das Schleifen von Beilen folgten meist anderen Orts. Im Baggergut und der Umgebung waren jedenfalls keine der eigentlich für Werkplätze typischen Flintabschläge enthalten, was die ursprüngliche Herstellung der Planken an Ort und Stelle so gut wie ausschließt.

Während der bäuerlich geprägten Kulturphase des Neolithikums wurden in vielen Regionen Norddeutschlands und vor allem Skandinaviens Flintgegenstände, insbesondere Beilklingen, vermutlich aus kultischen Gründen niedergelegt. Zusammenfunde von Flintplanken und vollständigen Beilklingen sind vergleichsweise selten. Viele Horte enthielten Planken, die man zwar hätte weiterverarbeiten können, was jedoch nie geschah. Die offensichtlich technische Mangelhaftigkeit der Stücke von Lubkow wirft zusätzliche Fragen auf: Könnte es sich um eine symbolische Niederlegung gehandelt haben, bei der bewusst defekte Objekte ausgewählt wurden, um die besseren anderweitig zu verwenden? Quasi eine Art „frommer“ Betrug an den Mächten, denen man die Objekte zugedacht hatte? Sind es zurückgelassene Stücke minderer Qualität aus einem einst größeren Vorrat, der für die weitere Verwendung bestimmt war? Oder handelt es sich um unvollendete oder misslungene Arbeiten von „Lehrlingen“?

Ein Vergleich mit ähnlichen Funden aus Norddeutschland und Skandinavien zeigt, dass Depots häufig in Feuchtgebieten oder an anderen schwer zugänglichen, gewässernahen Orten niedergelegt wurden. Diese Plätze könnten eine besondere Bedeutung für rituelle Handlungen gehabt haben. Diskutiert wird auch die These, wonach die Lagerung von Flint in feuchten Böden die spätere Weiterbearbeitung erleichtern würde. Allerdings spricht auch die manchmal beobachtete Niederlegung der Stücke in bestimmten Anordnungen oder Mustern gegen die verbreitete Theorie von Handwerkervorräten. Vieles deutet darauf hin, in den Flintplanken von Lubkow eine bewusste Deponierung im Sinne einer kultischen Handlung zu sehen, doch bleibt unklar, warum in diesem Falle defekte und praktisch unbrauchbare Objekte deponiert wurden. Nur als Abfall wurden sie offenbar nicht angesehen.

Dr. Michael Müller M.A. und Dr. C. Michael Schirren

Literatur:

Peter Vemming Hansen u. Bo Madsen, Flint Axe Manufacture in the Neolithic. An Experimental Investigation of a Flint Axe Manufacture Site at Hastrup V (Enget, East Zealand). Journal of Danish Archaeology 2, 1983, 43–59.

Wulf Hein u. Marquardt Lund, Flinthandwerk (Ludwigshafen 2021).

Anders Högberg, Production Sites on the Beach Ridge of Järavallen. Aspects on Tool Preforms, Action, Technology, Ritual and the Continuity of Place. Current Swedish Archaeology 10, 2002, 137–162.
Michael Müller, Die Deponierungen der Trichterbecherkultur. Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung 21 (Bonn 2024). Link: https://doi.org/10.38071/2024-00762-8 

Knut Rassmann, Spätneolithikum und frühe Bronzezeit im Flachland zwischen Elbe und Oder. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 28 (Lübstorf 1993).

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