Fund des Monats April 2025

Böhmen oder nicht Böhmen, das ist hier die Frage! – Eine Scheibenkopfnadel aus Dobbertin, Lkr. Ludwigslust-Parchim

Abb. 1. Dobbertin, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Fpl. 47. Scheibenkopfnadel böhmischer Prägung.Details anzeigen
Abb. 1. Dobbertin, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Fpl. 47. Scheibenkopfnadel böhmischer Prägung.

Abb. 1. Dobbertin, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Fpl. 47. Scheibenkopfnadel böhmischer Prägung.

Abb. 1. Dobbertin, Lkr. Ludwigslust-Parchim, Fpl. 47. Scheibenkopfnadel böhmischer Prägung.

Dass wichtige Fundstücke sehr gewichtig sein können, hat jüngst der Bildstein von Klotzow (Fund des Monats Januar 2025) eindrucksvoll belegt. Dass dies aber nicht sein muss, zeigt die nachfolgend vorzustellende Scheibenkopfnadel aus Bronze, die der Bodendenkmalpfleger Dr. Friedhelm Zedler aus Gülzow-Prüzen am 05.12.2024 entdeckte, denn ihr Gewicht beträgt gerade einmal 27,8 g. Der Erhaltungszustand war so exzellent, dass man zunächst gar nicht an ein höheres Alter glauben wollte. Nur vom Rand fehlte ein kleines Stück und der Schaft war mittig verbogen (Abb. 1). Während die randlichen Schäden wohl darauf zurückzuführen sind, dass dieser Teil der Scheibe zuoberst im Boden lag und deshalb stärker korrodierte, ist der verbogene Schaft fraglos auf landwirtschaftliche Bodenbearbeitung zurückzuführen und erst in jüngerer Vergangenheit erfolgt, wie die abgeplatzte Patina in diesem Bereich zeigt (Abb. 2-3).

Gefunden wurde das Fundstück östlich des Ortes Dobbertin, Lkr. Ludwigslust-Parchim, am Rand einer größeren Niederung, nur etwa 5 m vom Übergang zum Mineralboden entfernt. Der Fundplatz wurde als „Dobbertin 47“ in die Ortsakten des Landesamtes eingearbeitet, das Fundstück erhielt die Inventarnummer ALM 2024/981. Begleitende Funde wurden nicht beobachtet. Auffindungsort und Fundumstände deuten auf eine absichtliche Niederlegung hin, so dass man die Nadel als „Einzelfund mit Hortcharakter“ werten darf.

Der Fund

Bei dem Fundstück handelt es sich um eine Nadel mit auffallend großer, vertikal gestellter Scheibe und gebogenem Schaft, der an der Scheibenrückseite mittig ansetzt. Der Schaftansatz ist unrund und lässt mehrere leicht abgesetzte Verstärkungsrippen erkennen (Abb. 4). Der Schaft selbst ist rundstabig und hat eine Stärke von 0,34 cm. Der Durchmesser der Scheibe beträgt 5,85 cm (Abb. 5). In ihrer Mitte befindet sich ein kegelförmiger Buckel. Die Gesamtlänge der Nadel betrug ehemals etwa 13,6 cm.

Besondere Beachtung verdient die Verzierung der Schauseite, die durch konzentrische Liniengruppen in fünf Zierzonen gegliedert ist (Abb. 5). Zentral befindet sich der unverzierte, massive kegelförmige Mittelbuckel (Abb. 6). Dieser wird durch einen Kranz nach außen offener Halbkreispunzen eingefasst. Abgetrennt durch drei konzentrische Kreise folgt dann ein Band aus radial angeordneten Halbkreispunzen. Dominiert wird die Schauseite durch ein 0,87 cm breites, daran anschließendes Zierfeld aus 15 nach außen weisenden, schrägstrichgefüllten, gleichschenkligen Dreiecken. Die meisten Dreiecke sind annähernd gleichgroß, lediglich eines – vermutlich die abschließende Figur – ist etwas schmaler, da der Platz nicht ausreichte. Die Grundseite der Dreiecke bildet die zur Mitte anschließende Kreislinie, die Schrägstrichelung verläuft parallel zum linken Dreiecksschenkel. In Randrichtung folgen dann zwei weitere durch radial angeordnete Halbkreispunzen ausgefüllte Zierbänder, die von Gruppen aus zwei bzw. drei konzentrischen Linien sowie außen einer einzelnen Begrenzungslinie eingefasst werden.

Handelt es sich um eine böhmische Scheibenkopfnadel?

Die relativ komplexe und abgesehen vom 15. Dreieck sehr sorgfältig aufgebrachte Verzierung des Dobbertiner Fundstückes ist außergewöhnlich und in Mecklenburg-Vorpommern beispiellos. Gute Entsprechungen findet sie hingegen bei den böhmischen Scheibenkopfnadeln der Stufe Bz D, die nicht selten ebenfalls ein Sterndekor aus schraffierten Dreiecken zeigen (z. B. Böhm 1936, Abb. 2-7; Říhovský 1979, 66 f. Nr. 296). Zudem können auch diese Scheiben mit einem Mittelbuckel ausgestattet sein (Böhm 1936, 17 Abb. 4–5).

Das Hauptvorkommen dieser Nadeln liegt im oberpfälzisch-böhmischen Raum sowie dem anschließenden Thüringen (von Brunn 1968, 269 f. Liste 23 Karte 10; Říhovský 1979, 67 f.). Der nördlichste Beleg stammt von der schwedischen Insel Öland (Montelius 1917, Taf. 65), ein Exemplar fand sich im Hortfund von Międzyzdroje, Powiat Kamieński, im östlichen Odermündungsgebiet (Kersten 1958, 42 f. Taf. 40 Nr. 412 i [„Misdroy“]), einzelne Exemplare sind zudem aus dem östlichen Brandenburg und dem östlichen Niedersachsen bekannt (von Brunn 1968, 269 f. Liste 23 Karte 10). Für Mecklenburg-Vorpommern konnte hingegen bislang kein Exemplar nachgewiesen werden.

Allerdings gibt es zwischen dem Dobbertiner Exemplar und den böhmischen Scheibenkopfnadeln einen gravierenden Unterschied: Die Dobbertiner Nadel ist einteilig gegossen, die böhmischen Exemplare sind hingegen zweiteilig gefertigt. Folglich ist der Dobbertiner Fund den böhmischen Scheibenkopfnadeln zwar sehr ähnlich, angesichts der einteiligen Fertigung aber nicht als Nadel dieses Typs anzusprechen.

Lüneburger Scheibenkopfnadeln böhmischer Prägung

Im Bereich der Lüneburger Gruppe gibt es hingegen sowohl zweiteilig als auch einteilig gefertigte Scheibenkopfnadeln, die zwar durch die böhmischen Exemplare beeinflusst, aber offenbar lokal gefertigt wurden (Laux 1976, 64 ff.). Deshalb wertet Friedrich Laux die einteilig gefertigten Scheibenkopfnadeln treffenderweise auch als „niedersächsische Umformung“ der böhmischen Scheibenkopfnadeln, was sowohl formal als auch hinsichtlich der Ornamentik gilt (Laux 1976, 65).

Hier finden sich auch Vergleichsfunde zum Dobbertiner Fundstück. Hinsichtlich seiner Verzierung steht ihm die einteilig gegossene Nadel von Brackel, Lkr. Harburg (Laux 1976, 65 Nr. 348 Taf. 28), besonders nahe, jedoch fehlt ihr der markante Mittelbuckel. Dieser ist bei dem unverzierten, ebenfalls einteilig gefertigten Exemplar aus Dötzingen, Lkr. Lüchow-Dannenberg, vorhanden (Laux 1976, 67 Nr. 356 Taf. 29). Mit einem Scheibendurchmesser von 5 cm ist dieses Exemplar nur geringfügig kleiner als die Dobbertiner Nadel und entspricht ihr auch typologisch recht gut. Laux vermutet eine Fertigung in der Nordheide und datiert sie in die Zeitstufe Bergen-Bleckmar, was in etwa der frühen Periode III entspricht. Auch die zeitliche Einordnung der böhmisch-oberpfälzischen Exemplare mit Mittelbuckel machen eine Datierung des Dobbertiner Schmuckstücks nach Periode III wahrscheinlich – auch wenn sich beide Typen im Fertigungsprozess unterscheiden.

Die Dobbertiner Nadel belegt somit zwar nicht den direkten Kontakt von Mecklenburg nach Böhmen oder in die Oberpfalz, sie lässt aber erkennen, dass der Kontakt zwischen der Mecklenburger und der Lüneburger Gruppe deutlich reger war, als sich dies bislang im Fundmaterial widerspiegelte.

Dr. Jens-Peter Schmidt

Literatur:

Böhm 1936: J. Böhm, Spätbronzezeitliche Scheibenkopfnadeln aus Böhmen. – Germania 20, 1936, 9–18.

von Brunn 1968: W. A. von Brunn, Mitteldeutsche Hortfunde der jüngeren Bronzezeit. – Römisch-Germanische Forschungen 29. Berlin 1968.

Kersten 1958: K. Kersten, Die Funde der älteren Bronzezeit in Pommern. – 7. Beiheft zum Atlas der Urgeschichte 7. Hamburg 1958.

Laux 1976: F. Laux, Die Nadeln in Niedersachsen. – Prähistorische Bronzefunde XIII, 4. München 1977.

Montelius 1917: O. Montelius, Minnen från vår forntid I. Stenåldern og Bronsåldern. Stockholm 1917.

Říhovský 1979: J. Říhovský, Die Nadeln in Mähren und im Ostalpengebiet (von der mittleren Bronzezeit bis zur älteren Eisenzeit). – Prähistorische Bronzefunde XIII, 5. München 1979.

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