Mehr als nur Blech: Was Gefäßreste aus einer slawischen Siedlung in Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, verraten

Fund des Monats Juli 2025

Abb. 1: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Fragmente eines Kessels aus Kupferblech mit Hervorhebung der Zackennahtverbindung zwischen Boden und Wandung im Zustand der Einlieferung bei der Landesarchäologie Mecklenburg-Vorpommern.Details anzeigen
Abb. 1: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Fragmente eines Kessels aus Kupferblech mit Hervorhebung der Zackennahtverbindung zwischen Boden und Wandung im Zustand der Einlieferung bei der Landesarchäologie Mecklenburg-Vorpommern.

Abb. 1: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Fragmente eines Kessels aus Kupferblech mit Hervorhebung der Zackennahtverbindung zwischen Boden und Wandung im Zustand der Einlieferung bei der Landesarchäologie Mecklenburg-Vorpommern.

Abb. 1: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Fragmente eines Kessels aus Kupferblech mit Hervorhebung der Zackennahtverbindung zwischen Boden und Wandung im Zustand der Einlieferung bei der Landesarchäologie Mecklenburg-Vorpommern.

Manchmal offenbart sich die Bedeutung eines archäologischen Fundes erst auf den zweiten oder gar dritten Blick. So erging es den ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern Jürgen Kümmel, Karsten Kuttritz und Ingo Westphal bei einer systematischen Detektorbegehung in der Gemarkung Murchin, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Im Bereich der slawischen Siedlungsstelle Fpl. 34, wo der Pflug in den letzten Jahren schon allerhand interessante Funde an die Oberfläche gebracht hatte, tauchten zunächst grün patinierte Blechfetzen in der Pflugschicht auf. Dann stießen die drei Ehrenamtlichen auf Höhe der Pflugsohle noch auf das durch den Pflug zerrissene Bodenstück eines größeren Gefäßes aus dem gleichen Material.

Abb. 2: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Details der Randausformung des Kessels mit Reparatur und Verstärkung sowie Abdruck organischen Materials (unterstes Bild).Details anzeigen
Abb. 2: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Details der Randausformung des Kessels mit Reparatur und Verstärkung sowie Abdruck organischen Materials (unterstes Bild).

Abb. 2: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Details der Randausformung des Kessels mit Reparatur und Verstärkung sowie Abdruck organischen Materials (unterstes Bild).

Abb. 2: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Details der Randausformung des Kessels mit Reparatur und Verstärkung sowie Abdruck organischen Materials (unterstes Bild).

Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der Blechteile durch die Landesarchäologie wurde dann deutlich, dass es sich um die Fragmente eines kupfernen Kessels (Bodendurchmesser ca. 33-34 cm, Wandungshöhe ca. 16 cm, Randdurchmesser ca. 40 cm; Gewicht der Fragmente insgesamt 1110 g) handelt. Eine technologische Beobachtung am Boden fiel besonders ins Auge: Die Verbindung zwischen dem schwach nach außen gewölbten Boden und der aufgehenden Wandung war umlaufend mit einer sogenannten Zackennaht hergestellt. Darunter versteht man eine toreutische Technik, bei der einzelne Blechstücke randlich in Abständen zwischen 5 und 10 mm und etwa genauso tief eingeschnitten werden. Dann biegt man die einzelnen Abschnitte im Wechsel jeweils schwach auseinander und fügt die eingeschnittenen Blechkanten mit den geraden Kanten der Gegenbleche in Art eines Gefüges zusammen. Durch wiederholtes Erhitzen, Verlöten und Hämmern schließt sich die Naht dann allmählich und ist in fortgeschrittenem Stadium oberflächig kaum noch erkennbar. Mittels dieser Technik ist die Herstellung belastbarer, wasserdichter Nutzgefäße, zumeist zylindrischer Grundformen möglich.

Abb. 3: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Zeichnerische Rekonstruktion des Kessels mit Ergänzung einer (im Fundmaterial nicht überlieferten, aber ursprünglich zwingend vorhandenen) vertikalen Zackennaht der Wandung.Details anzeigen
Abb. 3: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Zeichnerische Rekonstruktion des Kessels mit Ergänzung einer (im Fundmaterial nicht überlieferten, aber ursprünglich zwingend vorhandenen) vertikalen Zackennaht der Wandung.

Abb. 3: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Zeichnerische Rekonstruktion des Kessels mit Ergänzung einer (im Fundmaterial nicht überlieferten, aber ursprünglich zwingend vorhandenen) vertikalen Zackennaht der Wandung.

Abb. 3: Murchin, Lkr. Vorpommern-Greifswald, Fpl. 34. Zeichnerische Rekonstruktion des Kessels mit Ergänzung einer (im Fundmaterial nicht überlieferten, aber ursprünglich zwingend vorhandenen) vertikalen Zackennaht der Wandung.

Von dem Gefäß aus Murchin sind ca. 60 % überliefert, doch sind die Übergänge von Rand zu Wandung so beschädigt, dass man den ursprünglichen Winkel zueinander nicht mehr bestimmen kann. Der nur ca. 10-15 mm breite Rand ist teilweise stark zusammengepresst und scheint durch das Einziehen dünner Blechstreifen sekundär verstärkt. Außerdem ist an einer Stelle ein nur wenige Zentimeter breites Blechstück klammerartig um den Rand gelegt und angehämmert. Ein Niet mit quadratischer Platte ist mit einem dünnen Blechstück durch mehrere Bleche gefädelt und zeugt wohl von einer Reparaturarbeit oder Fixierung des Randes. Hinweise auf eine Halterung bzw. Henkel für einen Bügelgriff fehlen. Die zeichnerische Rekonstruktion des Fundes erfolgt deshalb auf Grundlage bekannter Kessel aus dem Schmiededepot von Mästermyr von der Insel Gotland, wo insgesamt drei kesselförmige Gefäße mit Durchmessern zwischen 22,3 und 49 cm bekannt sind (Arwidsson und Berg 1983). Ein kleines Kesselgefäß (Durchmesser 22,5 cm) mit Zackennaht wurde bereits in den 1970er Jahren bei Wendelstorf, Lkr. Rostock, in einer spätslawischen Siedlungsgrube entdeckt und publiziert (Lampe 1974). Die an den gotländischen Kesseln und dem Gefäß aus Wendelstorf erhaltenen Henkelattaschen dürften an dem Murchiner Kessel ebenfalls vorhanden gewesen sein, aufgrund der Fragmentierung haben sie sich offenbar aber nicht erhalten.

Abb. 4: Kupferkessel mit Zackennaht aus dem Schmiededepot von Mästermyr/Gotland (nach Berg u. Arvidsson 1983).Details anzeigen
Abb. 4: Kupferkessel mit Zackennaht aus dem Schmiededepot von Mästermyr/Gotland (nach Berg u. Arvidsson 1983).

Abb. 4: Kupferkessel mit Zackennaht aus dem Schmiededepot von Mästermyr/Gotland (nach Berg u. Arvidsson 1983).

Abb. 4: Kupferkessel mit Zackennaht aus dem Schmiededepot von Mästermyr/Gotland (nach Berg u. Arvidsson 1983).

Fragmente von Blechgefäßen mit Zackennaht waren aus dem westslawischen Kulturraum insbesondere Ingo Gabriel (1988) bei der Publikation der Funde aus der Hauptburg der Obotriten in Oldenburg/Wagrien aufgefallen. Schon damals hielt man solche Gefäße für Importe, wobei die Herkunftsangabe „orientalisch“ einen weiten Raum zwischen der Rus und dem islamischen Herrschaftsgebiet einschloss. Genauer war aber weder die Herkunft der Gefäße noch ihr Handwerkerkreis eingrenzbar. Ihr damals vergleichsweise sporadisches Aufkommen im westslawischen Siedlungsgebiet, nämlich nur in Oldenburg, auf der Burg auf dem Weinberg bei Hitzacker (Wachter 1998) und in der Siedlung bei Wendelstorf in Mecklenburg, veranlasste die Slawenforschung, ihnen eine besonders herausgehobene Rolle als Handelsgut zuzusprechen. Man meinte in ihnen sogar Prestigeobjekte in der slawischen Gesellschaft zu erkennen und brachte sie mit der höfischen Kultur des slawischen Adels in Zusammenhang.

Abb. 5: Beispiele für Gefäße mit Zackennaht aus Mecklenburg-Vorpommern und Gotland: 1 Wendelstorf, 2 Murchin, 3 Domararve/Öja auf Gotland (Umzeichnung einer Dose mit Steckdeckel), 4  Kutzow, 5 Relzow.Details anzeigen
Abb. 5: Beispiele für Gefäße mit Zackennaht aus Mecklenburg-Vorpommern und Gotland: 1 Wendelstorf, 2 Murchin, 3 Domararve/Öja auf Gotland (Umzeichnung einer Dose mit Steckdeckel), 4  Kutzow, 5 Relzow.

Abb. 5: Beispiele für Gefäße mit Zackennaht aus Mecklenburg-Vorpommern und Gotland: 1 Wendelstorf, 2 Murchin, 3 Domararve/Öja auf Gotland (Umzeichnung einer Dose mit Steckdeckel), 4 Kutzow, 5 Relzow.

Abb. 5: Beispiele für Gefäße mit Zackennaht aus Mecklenburg-Vorpommern und Gotland: 1 Wendelstorf, 2 Murchin, 3 Domararve/Öja auf Gotland (Umzeichnung einer Dose mit Steckdeckel), 4 Kutzow, 5 Relzow.

Für Skandinavien und insbesondere Gotland, wo sich das Vorkommen von vollständigen Gefäßen mit Zackennaht in Schatzfunden bzw. Deponierungen (so u. a. mehrere Gefäße im Schmiededepot von Mästermyr) und Gräbern konzentriert, haben Mårten Stenberger (1958) und Gustaf Trotzig (1991) wichtige Forschungen zu diesen Gefäßen vorangetrieben. Insbesondere Trotzig befasste sich mit technologischen Fragen, die es ihm ermöglichten, bestimmte Gefäßtypen und Techniken der Herstellung zu beschreiben. Er stellte bei seiner Bearbeitung der Metallgefäße die kesselförmigen Gefäße mit Zackennaht in seiner Gruppe der D-Gefäße zusammen. Von den 29 Nachweisen auf Gotland (siehe Trotzig 1991, 109 Fig. 99) handelt es sich in den mit Abstand meisten Fällen um Behälter für Silberschätze, dazu kommen Gefäße als Beigaben in Gräbern und das berühmte Schmiededepot von Mästermyr. Siedlungsfunde erwähnt Trotzig nicht, so dass der Eindruck entsteht, man habe auf Gotland diese Gefäße bewusst nur für ausgewählte Zwecke (Grabbeigabe, Schatzbehälter) ausgewählt. Trotz metallurgischer Analysen, die bei den D-Gefäßen solche mit auffällig hohem Kupferanteil und solche mit deutlicher Zinnbeimengung unterscheiden konnte, ist auch Trotzig die Lösung der Herkunftsfrage letztlich nicht gelungen. Hierzu hätte es vermutlich einer aufwendigen, seinerzeit noch nicht angewandten (Blei-)Isotopenanalyse mit Vergleichen von Metallen verschiedener Abbauregionen des Nahen Ostens bedurft. Zu bedenken ist außerdem, dass Gefäßproduktion und bergmännischer Abbau mit Gewinnung des Metalls nicht in den gleichen geographischen Räumen stattgefunden haben müssen. Beobachtungen am archäologischen Fundmaterial auf Gotland ermöglichen trotzdem einige Aussagen. So nahm die schwedische Forschung an, dass es sich bei der Zackennaht nicht um eine gotländische Technik handelt. Allenfalls eine Adaption durch einheimische Handwerker wurde erwogen (Trotzig 1991, 148). Die Ursprünge dieser Technik werden deutlich weiter östlich, über Zwischenstationen in Karelien, vor allem im Bereich der Turk-Tataren und bis in den persischen Raum verortet. Unter dem – allerdings interpretativen – Oberbegriff „orientalisches Tafelgeschirr“ fasste Ingmar Jansson (1988) bronzene Flaschen und Kannen mit zylindrischem Körper bzw. Hals zusammen. Für die Wikingerzeit wies er ihre Herkunft an Hand von Beispielen aus den östlichen Teilen des Kalifats (Irak und östlicher) nach, aber auch aus dem wolgabulgarischen Raum. Der Begriff „orientalisch“ weist also nur eine allgemeine Richtung und steht quasi als Arbeitsbegriff. Auch noch in der Gegenwart wird die Technik der Zackennaht bei Kupferschmieden, zum Beispiel im Iran, bei der Herstellung von kupfernen Gefäßen angewandt (https://www.youtube.com/watch?v=8lRc6LBs-Lk).

Abb. 6: Persischer Kupferschmied beim Aushämmern der Zackennaht im Bodenbereich eines Kupfergefäßes.Details anzeigen
Abb. 6: Persischer Kupferschmied beim Aushämmern der Zackennaht im Bodenbereich eines Kupfergefäßes.

Abb. 6: Persischer Kupferschmied beim Aushämmern der Zackennaht im Bodenbereich eines Kupfergefäßes.

Abb. 6: Persischer Kupferschmied beim Aushämmern der Zackennaht im Bodenbereich eines Kupfergefäßes.

 Aus Vorpommern und Mecklenburg kannte man lange nur das kesselförmige Gefäß (Dm. 22 cm) aus Wendelstorf östlich von Rerik, bis in den späten 1980er Jahren der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Karl Rausch in einer frühmittelalterlichen Siedlung bei Murchin (Fpl. 16) den Deckel einer kleinen Dose (Dm. 7 cm) aus Kupferblech entdeckte (Lampe und Schirren 2002). Der Fundplatz des Deckels liegt nur rund 700 m Luftlinie südöstlich des aktuellen Kesselfundes von Murchin. Auch der Deckel der Dose wies eine Zackennaht auf und wurde seinerzeit als möglicher Hinweis auf Altmetallhandel interpretiert. Auf Gotland wurden derartige Gefäße als Behälter für kleine Schatzfunde während der Wikingerzeit genutzt. Dort sind sie münzdatiert zwischen dem 10. und dem 11. Jahrhundert. Inzwischen gibt es, vor allem dank der intensiven Detektorsuche durch Ehrenamtliche, außer den genannten Objekten eine Vielzahl von Blechstücken mit Zackennaht aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie wurden auf slawischen Siedlungsplätzen und Burganlagen gefunden. Genannt seien hier überblicksweise Babke (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) Fpl. 2, Barth (Lkr. Vorpommern-Rügen) Fpl. 17, Beggerow (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) Fpl. 1, Borg (Lkr. Vorpommern-Rügen) Fpl. 5, Flessenow (Lkr. Ludwigslust-Parchim) Fpl. 1, Gramzow (Lkr. Vorpommern-Greifswald) Fpl. 13, Helmstorf (Lkr. Rostock) Fpl. 2, Ilow (Lkr. Nordwestmecklenburg) Fpl. 2, Kutzow (Lkr. Vorpommern Greifswald) Fpl. 1, Lancken-Dranske (Lkr. Vorpommern-Rügen) Fpl. 14, Neubauhof bei Dargun (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) Fpl. 2, Relzow (Lkr. Vorpommern-Greifswald) Fpl. 8, Schwerinsburg (Lkr. Vorpommern-Greifswald) Fpl. 1, Steinhausen (Lkr. Nordwestmecklenburg) Fpl. 2, Stolpe auf Usedom (Lkr. Vorpommern-Greifswald) Fpl. 14, Streu bei Binz (Lkr. Vorpommern-Rügen) Fpl. 2, Tribohm (Lkr. Vorpommern-Rügen) Fpl. 24, Upost (Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) Fpl. 9, Warksow (Lkr. Vorpommern-Rügen) Fpl. 4 und Wilhelmshof (Lkr. Vorpommern-Greifswald) Fpl. 1.

Weitere Fragmente mit den eher unscheinbaren technischen Merkmalen dürften unerkannt in den Magazinen liegen und sind vielleicht auch nicht jedem ehrenamtlichen Detektorgänger bei seiner Suche aufgefallen. Wir kennen außerdem von vielen ländlichen Siedlungen der Slawenzeit die Randstücke getriebener Blechgefäße, wohl zumeist Schalen, aus Buntmetall. Doch wie viele davon zu den „orientalischen“ gezählt werden können, lässt sich ohne metallurgische Analysen oder zumindest den Nachweis der typischen „Zackennaht“ nicht beantworten. Die Vielzahl von Neufunden „normalisiert“ also das Auftreten dieser ursprünglich als Exoten und Luxusgüter angesehenen Objekte, wie auch das von Metallgefäßen insgesamt. Offenbar muss von einer vergleichsweise weiten Verbreitung innerhalb westslawischer Haushalte im Frühmittelalter ausgegangen werden. Gerade kesselförmige Gefäße scheinen als Kochgefäße oder zur Zubereitung von Getränken benutzt worden zu sein. Ihre gelegentlich erhaltenen Henkel aus Eisen, aber vor allem die oft primitiv erscheinenden Flickungen und Verstärkungen der Ränder wirken handwerklich ungeübt. Sie zeugen von intensiver Benutzung und wohl auch Reparatur bei den Slawen. Letzteres lässt die Vermutung, es könne sich um Prestigegüter handeln, zusätzlich fragwürdig erscheinen. Auch mit sekundärer Verwendung der Kesselbleche und vielleicht auch mit Altmetallhandel oder Recycling bei slawischen Handwerkern ist weiterhin zu rechnen. Immerhin stellte der Murchiner Kessel mit einem rekonstruierbaren Gewicht von rund 2000 g ein erhebliches Rohstoffreservoir für die Herstellung diverser Kleinobjekte slawischer Buntmetallhandwerker dar. Das Material des Murchiner Kessels hätte rechnerisch für rund 650-700 der typischen pantoffelförmigen Messerscheidenbeschläge (bei einem Durchschnittsgewicht pro Beschlag von 3 g) gereicht!

Doch für den Archäologen bleiben andere Fragen offen, wie die rätselhafte Herkunft der Gefäße, ob nun aus gotländischen Werkstätten oder aus der Hand von geschickten Buntmetallschmieden aus dem fernen Osten. Archäometrische Untersuchungen zur Metallzusammensetzung, Herkunftsbestimmungen des Metalls oder Untersuchungen zu technologischen Spezifika der Toreutik dieser Gefäße würden mit Sicherheit über bisherige typologisch-chronologische Aussagen hinausführen. Auch die Frage nach den Handelswegen zu den Slawen, vielleicht über eine zentrale Verteilung auf der Insel Gotland, könnte sich auf diese Weise vielleicht klären lassen. Immerhin zeigen andere, sicher auf Gotland hergestellte Objekte, die ebenfalls an der südlichen Ostseeküste entdeckt wurden, die spürbare wirtschaftliche Ausstrahlung der Insel auf die benachbarten Küstenregionen. Gustaf Trotzig (1991, 117) verwies auf das gelegentliche Vorkommen der beschriebenen Gefäße nicht nur an der deutschen, sondern auch an der südlichen Ostseeküste Polens. Aus dem an Mecklenburg und Vorpommern südlich angrenzenden Brandenburg dagegen sind Gefäße mit Zackennaht bisher nicht bekannt geworden (Für Auskünfte zum brandenburgischen Fundmaterial und Diskussion sei Prof. Felix Biermann, Dr. Lukas Goldmann und Dr. Thomas Kersting herzlich gedankt). Und auch in Schleswig-Holstein scheint es nach Vorlage der Funde aus der Oldenburg keine weiteren Nachweise für die in Rede stehenden Gefäße gegeben zu haben (Freundliche Mitteilung von Dipl. Prähist. Ringo Klooß, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein). Andere auf Gotland hergestellte Objekte wie Schmuck zeigen, welche engen Verbindungen gerade der vorpommersche Raum zu der als Drehscheibe des wikingerzeitlichen Handels bezeichneten Insel in der Ostsee hatte: Eine Gotländerin in der Uckermark…? sowie Schirren (2017) und Schirren (2025).

Dr. C. Michael Schirren

Literatur

Arwidsson und Berg 1983
Greta Arwidsson u. Gösta Berg, The Mästermyr Find. A Viking Age Tool Chest from Gotland. Stockholm 1983.

Gabriel 1988
Ingo Gabriel, Hof- und Sakralkultur sowie Gebrauchs- und Handelsgut im Spiegel der Kleinfunde von Starigard/Oldenburg. In: Oldenburg – Wolin – Staraja Ladoga – Novgorod – Kiev. Handel und Handelsverbindungen im südlichen und östlichen Ostseeraum während des frühen Mittelalters. Internationale Fachkonferenz der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 5. – 9. Oktober 1987 in Kiel. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 69, 1988, 103-289 (hier Orientalische Blechgefäße 179-180 mit Abb. 30).

Jansson 1988
Ingmar Jansson, Wikingerzeitlicher orientalischer Import in Skandinavien. In: Oldenburg – Wolin – Staraja Ladoga – Novgorod – Kiev. Handel und Handelsverbindungen im südlichen und östlichen Ostseeraum während des frühen Mittelalters. Internationale Fachkonferenz der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 5. – 9. Oktober 1987 in Kiel. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 69, 1988, 564-647 (hier 623 mit Anm. 145-146).

Lampe und Schirren 2002
Willi Lampe u. C. Michael Schirren, Ein „orientalischer“ Blechdeckel aus einer jungslawischen Siedlung bei Murchin, Lkr. Ostvorpommern. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 9, 2002, 96-103.

Schirren 2015
C. Michael Schirren, Eine Gotländerin in der Uckermark…? Zu neu entdeckten tierkopfförmigen Fibeln der späten Wikingerzeit in Vorpommern und anderen Objekten gotländischer Provenienz. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 22, 2015, 37-48.

Schirren 2025
C. Michael Schirren, Von der Dose zur Scheibe. Umgearbeitete gotländische Dosenfibeln der Wikingerzeit aus Vorpommern. Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 32, 2025, in Vorbereitung.

Stenberger 1958
Mårten Stenberger, Die Schatzfunde Gotlands der Wikingerzeit. I/II Stockholm 1958.

Trotzig 1991
Gustaf Trotzig, Craftsmanship and Function: a study of metal vessels found in Viking Age tombs on the island of Gotland, Sweden. Museum of National Antiquities, Monographs 1, Stockholm 1991.

Wachter 1998
Berndt Wachter, Die slawisch-deutsche Burg auf dem Weinberg in Hitzacker/Elbe. Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte 25. Neumünster 1998.

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