Europäische Verbindungen: Die Stabdolche von Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte

Fund des Monats Juni 2024

Abb. 1: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Stabdolche in der Ausstellung im Moesgaard Museum bei Aarhus (Dänemark).Details anzeigen
Abb. 1: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Stabdolche in der Ausstellung im Moesgaard Museum bei Aarhus (Dänemark).

Abb. 1: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Stabdolche in der Ausstellung im Moesgaard Museum bei Aarhus (Dänemark).

Abb. 1: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Die Stabdolche in der Ausstellung im Moesgaard Museum bei Aarhus (Dänemark).

Im Museo Arqueológica Provincial de Alicante (MARQ) in Spanien ist noch bis zum 13. Oktober 2024 die Ausstellung „Dinastías. Los primeros reinos de la Europa prehistórica“ (Dynastien. Die ersten Königreiche im vorgeschichtlichen Europa) zu sehen. In der bislang größten Ausstellung zur Frühbronzezeit auf der iberischen Halbinsel sind Fundstücke aus insgesamt 20 Museen in Spanien, Ungarn, Deutschland, Belgien, Portugal, Dänemark und der Slowakei vereint, die die weitreichenden Kontakte und die entwickelten gesellschaftlichen Strukturen der Zeit vor rund 4000 Jahren sichtbar machen. Als Leihgabe aus dem Fundarchiv der Landesarchäologie Mecklenburg-Vorpommern sind die Stabdolche aus dem Hortfund von Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, in Alicante ausgestellt.

Die Stabdolche von Melz (Abb. 1) wurden 1970 bei Baggerarbeiten in den Sedimenten eines verlandeten Sees entdeckt. Etwa 1,75 m unter der heutigen Oberfläche kamen zunächst einzelne Fragmente zum Vorschein. Daraufhin erweiterten die Arbeiter die Fläche und bargen weitere Teile der Stabdolche. Bei einer Nachsuche im Aushub fanden die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Walter Karff und Hans Feicht weitere Fragmente. Die Fundgeschichte spielt insofern eine Rolle für die Beurteilung des Fundes, als dass keine Ausgrabung der Fundstelle stattfand und die Beschreibungen deshalb mit einer gewissen Vorsicht zu beurteilen sind. Auch die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger fanden bei ihrer Nachsuche wohl keine ungestörte Fundsituation mehr vor. Es fehlen also wichtige Informationen über die genaue Lage der Fundstücke zueinander, über die umgebenden Sedimente, über eventuelle Strukturen und mögliche weitere Funde, die zu dem Ensemble gehört haben könnten. Es ist auch nicht sicher, ob wirklich alle Fragmente der Stabdolche geborgen worden sind. Mit den Möglichkeiten der damaligen Zeit, ohne Metalldetektoren, können durchaus einzelne Fundstücke übersehen worden sein. Inzwischen ist die Fundstelle mehrfach mit Metalldetektoren begangen worden, ohne dass weitere Fundstücke aufgefunden wurden; das schließt aber nicht aus, dass illegale Detektorgänger die Fundstelle zwischenzeitlich schon geplündert hatten.

Abb. 2: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Aufnahme des Fundes kurz nach der Bergung.Details anzeigen
Abb. 2: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Aufnahme des Fundes kurz nach der Bergung.

Abb. 2: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Aufnahme des Fundes kurz nach der Bergung.

Abb. 2: Melz, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte. Aufnahme des Fundes kurz nach der Bergung.

Der Fund, wie er seit 1970 vorliegt, besteht aus fünf geschäfteten Stabdolchen, zwei Stabdolchschäften ohne Kopf, einem einzelnen Stabdolchkopf und einer genau wie die Dolchklingen geschäfteten Randleistenaxt (Abb. 2). Die Schäfte und die Köpfe waren ursprünglich im Überfangguss verbunden worden, indem ein dünner Ring um die Verbindungsstelle gegossen wurde (Abb. 3). Diese Verbindung erscheint nicht besonders stabil. Mehr Halt gaben die Stäbe aus Eschen- und Lindenholz, die wahrscheinlich über die ganze Länge im Inneren der hohl gegossenen Schäfte steckten und bis in die Köpfe reichten. Bei einem mittleren Durchmesser der Schäfte von gerade einmal 2,5-3 x 1,5 cm konnten sie allerdings auch keine großen Kräfte aufnehmen. Die Verbindung zwischen Schaft und Kopf war deshalb ein konstruktiver Schwachpunkt, der zu der Überlegung geführt hat, dass die Stabdolche wohl eher eine zeremonielle Funktion hatten und weniger für den Gebrauch als Waffe geeignet waren. Beschädigungen im Bereich der Klingen lassen es aber auch denkbar erscheinen, dass Stabdolche tatsächlich im Kampf eingesetzt wurden. Sollte es so gewesen sein, kommt der Kampfesweise und der Art, in der die Waffe Stabdolch geführt wurde, sicher eine große Bedeutung zu. Eine solche spezielle Art der Waffenführung ist am ehesten im Rahmen ritualisierter, regelbasierter Kämpfe denkbar, in der beide Seiten den Besonderheiten des Waffentyps Rechnung tragen, etwa ähnlich dem modernen Fechtkampf. Schwieriger ist es, sich eine fragile Waffe wie den Stabdolch in unreglementierten Kämpfen vorzustellen, in denen das Ziel primär darin besteht, den Gegner zu verletzen oder zu töten.

Typologisch gehören die Melzer Stabdolche zum Norddeutschen Typ, den Rassmann zu Recht zu den qualitätsvollsten Metallerzeugnissen im nordöstlichen Mitteleuropa zählte. Insbesondere die hohl gegossenen, sehr dünnwandigen, teilweise über 60 cm langen Schäfte erforderten ein außerordentlich großes gusstechnisches Können, das sich nicht spontan, sondern nur durch längeres, experimentierfreudiges Ausprobieren entwickeln konnte. Zum Guss der Stabdolche wurde eine hoch legierte Zinnbronze verwendet. Ob sie eher dem mitteldeutschen „Material Trebbichau“ nahe steht oder dem klassischen Ösenringkupfer nordalpiner Provenienz, müssen Untersuchungen der Bleiisotope zeigen. In der Zusammenschau spricht einstweilen vieles dafür, dass die Melzer Stabdolche im nordöstlichen Mitteleuropa, konkret im mitteldeutschen Raum, hergestellt wurden.

Die Datierung der Stabdolche von Melz beruht auf den Resten der Stäbe aus Eschen- und Lindenholz, die sich in den hohl gegossenen Schäften befanden. Über die Interpretation dieser Daten ist intensiv diskutiert worden, da sie eine hohe Standardabweichung aufweisen und somit einen gewissen interpretatorischen Spielraum eröffnen. Dabei spielt auch die Frage des Holzalters eine Rolle. Leider ist nicht mehr festzustellen, ob es sich um Kernholz handelte, aber auch mit einem gewissen Altholzeffekt liegen die Daten eher in der Zeit zwischen 2100 und 2000 v. Chr. als danach. Die Melzer Stabdolche stehen damit am Ort ihrer Niederlegung ganz am Beginn Bronzezeit bzw. gelangten in ein regional noch spätneolithisch geprägtes Milieu.

In welchem Kontext die Melzer Stabdolche an ihren Niederlegungsort südwestlich der Müritz gelangten, ist bislang nicht klar erkennbar. Die Region weist in der Übergangszeit vom Spätneolithikum zur Frühbronzezeit zwar durchaus Spuren von Besiedlung auf, deren Struktur bleibt jedoch unklar, da es sich in der Regel um Einzelfunde oder Fundstreuungen handelt. Etwa 1,5 km von der Fundstelle der Stabdolche war jedoch bereits 1941 ein Hortfund entdeckt worden, der einen Vollgriffdolch, vier Barrenringe und vier Halsringe enthielt. Er zeigt, dass regional ein politisches und/oder kultisches Umfeld für solche Deponierungen vorhanden war.

Betrachtet man das größere Bild, so sind die Melzer Stabdolche keineswegs die einzigen Stabdolche, die in das heutige Mecklenburg-Vorpommern gelangten. Rund ein Dutzend weitere Exemplare verteilen sich auf verschiedene Fundorte, die teils im Binnenland wie Melz, teils dicht an der Ostseeküste liegen. Überwiegend handelt es sich um Einzelfunde, nur in zwei Fällen (Blengow und Stubbendorf) sind zwei bzw. drei Exemplare zusammen deponiert worden. Melz war also insofern eine Ausnahme, als dass der Fund eine so hohe Zahl von Stabdolchen enthielt. Erst 2015 kam mit dem Hortfund von Malchin, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, ein weiterer Hortfund hinzu, der mit mindestens fünf Stabdolchen eine ähnlich hohe Zahl zusammen deponierter Stabdolche vom Norddeutschen Typ enthielt. Es ist bemerkenswert, dass damit von den europaweit weniger als 15 bekannten Hortfunden, die mehr als einen Stabdolch enthalten, immerhin vier im heutigen Mecklenburg-Vorpommern entdeckt worden sind. Das wirft ein besonderes Licht auf diesen Teil des „erweiterten Aunjetitzer Raumes“ (Horn 2014).

Vor der Niederlegung wurden die Köpfe der Melzer Stabdolche von den Schäften abgetrennt, indem die im Überfangguss aufgegossenen Ringe gebrochen wurden. Die Köpfe wurden, wenn die Berichte über die Auffindungssituation der Stabdolche stimmen, etwa zwei Meter von den Schäften im See versenkt. Die Sitte, Stabdolche vor der Deponierung durch die gewaltsame Trennung von Kopf und Schaft unbrauchbar zu machen, war nicht ungebräuchlich. Horn konnte zeigen, dass über 70 % der Stabdolche in Deponierungen auf diese Weise behandelt wurden. Offensichtlich sollten die Melzer Stabdolche, wie die meisten deponierten Waffen dieses Typs, also nicht wieder verwendet werden können.

Für die Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern haben Stabdolche seit langem eine besondere Bedeutung. Sie kommt nicht nur in den wissenschaftlichen Publikationen zum Ausdruck, sondern auch in der Verwendung von zwei Stabdolchen als beherrschendes grafisches Element auf dem Plakat „Achtet auf Bodenfunde“ aus den 1970er Jahren (Abb. 4). Seit 2014 sind die Stabdolche von Melz als Leihgabe im Moesgaard Museum bei Aarhus (Dänemark) ausgestellt (Abb. 5), das von mehreren hunderttausend Besuchern pro Jahr besichtigt wird. Nach Abschluss der Ausstellung in Alicante kehren sie zunächst nach Moesgaard zurück, bis sie schließlich den ihnen zugedachten Platz im Archäologischen Landesmuseum Mecklenburg-Vorpommern einnehmen werden.

Dr. Detlef Jantzen

Literatur

  • Horn 2011: Christian Horn, Die rituelle Zerstörung von Stabdolchen. – Archäologische Informationen 34, 2011, 49–63.
  • Horn 2014: Christian Horn, Studien zu den europäischen Stabdolchen. – Universitätsstudien zur prähistorischen Archäologie 246. Bonn 2014.
  • Horn/Schenck 2016: Christian Horn und Tine Schenck, Zum Ursprung der Stabdolche und stabdolchartiger Waffen in Europa. – Praehistorische Zeitschrift 91, 2016, 16–41.
  • Rassmann 2010: Knut Rassmann, Die frühbronzezeitlichen Stabdolche Ostmitteleuropas – Anmerkungen zu Chronologie, Typologie, Technik und Archäometallurgie. In: H. Meller/F. Bertemes (Hrsg.), Der Griff nach den Sternen. Wie Europas Eliten zu Macht und Reichtum kamen. Internationales Symposium in Halle (Saale) 16.–21. Februar 2005. – Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) 5, 807–821. Halle (Saale) 2010.
  • Schoknecht 1971: Ulrich Schoknecht, Ein neuer Hortfund von Melz, Kreis Röbel, und die mecklenburgischen Stabdolche. – Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jahrbuch 1971, 223–253.
  • Zich 2015: Bernd Zich, Der Stabdolch – Herrschaftssymbol oder Waffe? In: H. Meller/M. Schefzik (Hrsg.), Krieg – eine archäologische Spurensuche. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle/Saale, 6. November 2015 bis 22. Mai 2016, 275–278. Halle (Saale) 2015.

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